Wie stehen Russen zu dem Krieg und Trump?

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Auf dem Arbat, Moskaus ältester Fußgängerzone, fotografiert eine junge Frau ihren Sohn zwischen fast lebensgroßen Aufstellbildern von Wladimir Putin und Xi Jinping. Das Kind legt einen Arm um den russischen, den anderen um den chinesischen Herrscher. Mit den Figuren lockt ein Souvenirladen Kunden an. Donald Trump fehlt bisher. Dabei ist der neue ameri­kanische Präsident auch in Moskau der Mann der Stunde, Putin lobt und umwirbt ihn.

Der Ladeninhaber trägt eine tarn­farbene Kappe mit der russischen Trikolore darauf. Ob er demnächst Trump auch aufstellt, will er nicht sagen, nur so viel: „Wir sind für Russland.“ Die junge Mutter spricht auf die Frage, was sie mit Trump verbinde, von einem „Licht am Ende des Tunnels“. Sie hoffe auf eine Waffenruhe in der Ukraine. Damit die komme, müsse sich „jeder ein bisschen bewegen“.

Konkreter wird es nicht in einer Moskauer Straßenumfrage der F.A.Z. zum Blick der Russen auf Trump. Sie beansprucht keine Repräsentativität und liefert weder Namen noch Bilder. Im vergangenen Jahr ist ein Moskauer, der im Sommer 2022 in einem Umfragevideo des ame­­rikanischen Senders Radio Free Europe/Radio Liberty russische Verbrechen in der Ukraine kritisiert hatte, zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilt worden. 

Das Video nannte keine Namen, doch Putins Ermittler identifizieren Leute mit Gesichtserkennungssoftware. Der Verurteilte, er heißt Jurij Kochowjez, hat im Herbst in einem Brief aus der Haft dazu aufgerufen, nicht den Helden zu spielen, sonst kriege man Probleme. Er hoffe, in einem neuen Austausch mit dem Westen freizukommen.

Knappe Mehrheit hat von Trump positives Bild

Solche Fälle trüben die Gesprächs­atmosphäre in Russland. Ein junger Mann auf dem Roten Platz sagt, Trump finde er „wunderbar“, schweigt aber zu Hoffnungen: „Ich bin doch ein einfacher Mensch und kann nichts beeinflussen.“ Am Dostojewskij-Denkmal vor der Lenin-Bibliothek hofft ein anderer junger Russe „auf Frieden, es sterben doch Menschen“. Ob es dazu komme, könne er nicht sagen. Aber immerhin tue sich etwas, anders als unter Trumps Vorgänger Joe Biden.

Teil der Folklore: Donald Trump zwischen Xi Jinping und Wladimir Putin auf Matrioschka-Puppen in Moskau
Teil der Folklore: Donald Trump zwischen Xi Jinping und Wladimir Putin auf Matrioschka-Puppen in MoskauAFP

Eine diffuse Hoffnung, dass der Krieg enden könne, zu Bedingungen, die für Russland günstig sind: Darauf beruht auch laut Lew Gudkow vom Lewada-Zentrum das positive Bild, das 51 Prozent der Russen von Trump hätten, während Biden 69 Prozent negativ beurteilten. Der So­ziologe ist der wissenschaftliche Leiter des einzigen unabhängigen Meinungs­forschungsinstituts des Landes.

Regelmäßig befragt es Russen, repräsen­tativ, anonym und ohne Bilder. Dafür wird das Lewada-Zentrum seit 2016 als „ausländi­scher Agent“ drangsaliert. An einem Freitag Mitte Februar hat das Justizministerium auch den 78 Jahre alten Gudkow persönlich mit diesem Stigma versehen. Am Montag darauf habe eine Moskauer Hochschule den Vertrag mit ihm gekündigt, sagt Gudkow. Den Mächtigen gehe es darum, „Einflussmöglichkeiten zu begrenzen“. Er muss nun vierteljährliche Re­chenschaftsberichte abgeben und mit Nachstellungen rechnen, will aber weiterarbeiten, sich weiter offen äußern. Wie jetzt gegenüber der F.A.Z.

Trumps positives Bild beruhe vor allem auf der „eigenen Hilflosigkeit der Russen“ und dem „Verständnis, dass wir in einer Sackgasse sind und man das Problem nicht auf militärischem Wege lösen kann“, sagt Gudkow in den Räumlich­keiten seines Zentrums in einer Passage zwischen dem Roten Platz und der Geheimdienstzentrale Lubjanka. Zwar sagten in Umfragen bis zu drei Viertel der Russen getreu der Staatspropaganda, „dass alles nach Plan läuft, dass Russland siegen wird“. Doch wachse zugleich das Gefühl, dass der Krieg mehr Schlechtes bringe als Gutes. Daher wolle eine große Mehrheit der Russen ein Ende der Kämpfe und Friedensverhandlungen, teile aber zugleich Putins Begründungen für den Krieg.

Wichtig, dass ihr Land nicht geächtet wird

Ziele wie die Anerkennung der Annexionen ukrainischer Gebiete, den Ausschluss eines NATO-Beitritts und eine De­militarisierung der Ukraine teilten 70 Prozent der Russen, sagt Gudkow. So würden alle Hoffnungen auf eine „äußere Figur“, einen „Retter“, projizieren: „Trump wird als Mann der Tat gesehen, als entschiedener Politiker, der gute Beziehungen zu Russland und zu Putin hat, der nicht schwätzt und der die Ukraine zwingen kann, die von Putin aufgestellten Bedingungen anzunehmen.“

Unangefochten: Putin am Freitag beim Treffen des Sicherheitsrats
Unangefochten: Putin am Freitag beim Treffen des SicherheitsratsKreml/AP

Zugleich beobachten Gudkows Sozio­logen, wie sich das Bild der Vereinigten Staaten in Russland verbessert hat. Als im Frühjahr 2022 klar geworden war, dass man die Ukraine nicht schnell niederringen würde, begann der Kreml, den Krieg zu einem Verteidigungsringen gegen die USA und NATO zu stilisieren. Im Mai 2022 sagten laut Gudkow nur zwölf Prozent, dass sie die Vereinigten Staaten positiv sähen. Jetzt sei dieser Wert auf 30 Prozent gestiegen, wiewohl eine Mehrheit das Land weiter schlecht beurteile.

Diese Verbesserung verdeutliche die Erwartungen an Trump. „Während Biden Putin als ‚Mörder‘ und ‚Aggressor‘ bezeichnete, denkt Trump, dass man mit Putin reden kann, und legitimiert ihn, stellt so seinen Status wieder her“, sagt Gudkow. Für „die russische Identität“ sei das Gefühl äußerst wichtig, dass ihr Land nicht geächtet werde, sondern ein normales Land sei, das Respekt und Anerkennung verdiene. Dass Trump nun mit Putin spreche und verhandele, sei für die meisten Russen schon ein „sehr großer Verdienst“.

Witkoff verbreitet etliche Kremldarstellungen

Zwar lässt Putin keine Bereitschaft erkennen, sich auf eine Waffenruhe einzulassen, wie sie Washington und Kiew vorgeschlagen haben. Doch die Russen verstünden, dass es jetzt um die Frage gehe, ob Putin Trump dazu bringen könne, seine Bedingungen anzunehmen – und ob Trump dann Druck auf die Ukraine aus­übe, sagt Gudkow. Gerade sieht es für Putin gut aus. Trump selbst wiederholt Narrative Putins und wirkt anfällig für dessen Charmeoffensive.

Ein Interview mit Steve Witkoff, das nun der Trump-Anhänger Tucker Carlson veröffentlicht hat, lässt darauf schließen, dass es Putin gelungen sein muss, mindestens Trumps Sondergesandten für sich einzunehmen. Witkoff, den Putin im Februar und am 13. März in Moskau empfangen hat, sagt darin, der rus­sische Präsident sei „super smart“ und ihm gegenüber „gnädig“ und „ehrlich“.

Putin habe ihm erzählt, dass er „für seinen Freund“ Trump nach einem Attentat gebetet und bei einem russischen Künstler ein Porträt des amerikanischen Präsidenten in Auftrag gegeben habe. Er, Witkoff, habe es Trump übergeben, der „war eindeutig davon berührt“. Witkoff echot in dem Gespräch mit Carlson, der bereits im vergangenen Jahr Putin interviewt hatte, zudem etliche Kremldarstellungen. Er fragt etwa mit Blick auf annektierte ukrainische Gebiete: „Wird die Welt anerkennen, dass das russische Gebiete sind?“

Das Interview verstärkt den Eindruck, dass Trump willens ist, Putin sehr weit entgegenzukommen. Doch was, wenn die Gespräche doch scheitern? Wenn Trump hart bleibt und mit neuen Sanktionen droht? Dann erscheine Putin wieder als „entschlossener Politiker, der Interessen und Sicherheit der Nation verteidigt“, sagt der Soziologe Gudkow. Die Risiken für Putin, die Russen zu enttäuschen, seien daher gering. Schon jetzt baut Putin vor, warnt vor zu großen Erwartungen. Für den Fall des Scheiterns der Gespräche, die in Saudi-Arabien geführt werden, stehen viele Sündenböcke parat – Europäer, Ukrainer, ein amerikanischer „tiefer Staat“.

Der Ukrainekrieg als harte, aber nötige Sache

Gudkow glaubt auch nicht, dass die Kriegsmüdigkeit der Russen Putin beeinflusst. Zwar reagiere der Präsident auf starke Reaktionen der Bevölkerung, wie es sie nach der „Teilmobilmachung“ im September 2022 gegeben hat: Binnen weniger Tage verließen damals Zigtausende das Land, an Flughäfen und Grenzübergängen in Nachbarländer bildeten sich Schlangen. Das sei, was Putin fürchte, sagt Gudkow: ein plötzlicher, unerwarteter Mas­senprotest. Um so etwas zu vermeiden, werde Putin nicht dem Druck des un­ter Nachschubproblemen leidenden Militärs nachkommen und keine weitere Mobilmachung anordnen.

Doch Demonstrationen oder öffentliche Kritik gibt es in Russland praktisch nicht mehr. Die Kriegsmüdigkeit liefert keine Bilder. Gudkow bezweifelt sogar, dass Putin überhaupt davon erfährt, so sorgfältig würden die Informationen, die ihn noch erreichen, filtriert. Putins Begegnungen „mit dem Volk“ sind genau inszeniert, der Krieg erscheint darin als eine harte, aber nötige Sache, die man gemeinsam meistere.

Putins Apparat sorgt dafür, dass die Russen die Inflation, die in den Lewada-Befragungen vor kriegsbedingten Sorgen als Hauptproblem genannt wird und offiziell bei rund zehn Prozent liegt, nicht mit den gewaltigen Ausgaben für die Rüstung oder den Sanktionen infolge des Angriffskriegs verbinden. Im Staatsfernsehen werde die Teuerung „entweder als spontaner, von niemandem provozierter Prozess“ dargestellt, oder es werde davon gesprochen, dass die Regierung sich bemühe, ihre Folgen zu lindern, sagt Gudkow. Die Zusammenhänge seien „zu schwierig für das Massenbewusstsein“. Parolen ersetzen die Logik.

Überall an Straßen und Bushaltestellen prangen Fotos von Kriegern mit Orden. „Stolz Russlands“, steht daneben. Auch an der Tür zur Passage, in der Gudkows Meinungsforscher arbeiten, wirbt ein Poster dafür, sich für viel Geld als Soldat zu verpflichten. Nicht Argumente zählten, damit die Leute die Botschaften verinnerlichten, sagt Gudkow. Sondern die ständige Wiederholung.