Sprengt der Soli die Koalitionsgespräche?

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Das waren noch Zeiten, als sich die Bundesrepublik unter der seligen Regentschaft Helmut Kohls von kriegerischen Verpflichtungen einfach freikaufen konnte. 16,9 Milliarden Mark überwies die Bonner Regierung Anfang der 1990er-Jahre nach Washington, um ihren Beitrag zur Befreiung des kurz zuvor vom benachbarten Irak überfallenen Kuwait zu leisten. Es war eine der letzten westlichen Militärinterventionen, an denen sich deutsche Soldaten nicht selbst beteiligen mussten.

Für Kohl war diese Art der Scheckbuchdiplomatie noch in anderer Hinsicht ein Glücksfall: Er konnte die Mehrkosten als Grund für eine Steuererhöhung anführen, ohne seine Zusage zu brechen, die deutsche Einheit gewissermaßen aus der Portokasse zu finanzieren. Vom Sommer 1991 bis zum Sommer 1992 erhob er „vor dem Hintergrund der jüngsten Veränderungen in der Weltlage (Entwicklungen im Mittleren Osten, in Südost- und Osteuropa und in den neuen Bundesländern)“ einen befristeten „Solidaritätszuschlag“, hinzu kamen höhere Steuern auf Benzin, Heizöl, Tabak und Versicherungen.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Erst ein paar Jahre später, zum 1. Januar 1995, führte er den Zuschlag unbefristet wieder ein, diesmal einzig und allein „zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands“. Seit 2021 wird der Aufschlag nur noch für die obersten zehn Prozent der Einkommensteuerpflichtigen fällig, das Aufkommen beträgt trotzdem noch knapp 13 Milliarden Euro – etwa halb so viel, wie wenn alle die Abgabe zahlen müssten, weil die höheren Einkommensgruppen entsprechend mehr beitragen.

Im schlimmsten Fall fehlten 60 Milliarden Euro

Für die im Werden begriffene Koalition aus Union und SPD könnte das allerdings zu einem Problem werden. Denn am Mittwoch wird das Bundesverfassungsgericht über die Klage von sechs FDP-Politikern entscheiden, die in ihrer Eigenschaft als Steuerzahler schon zu Zeiten der vorausgegangenen großen Koalition eine Verfassungsbeschwerde anstrengten. Im schlimmsten Fall müsste der Bund das Geld rückwirkend für fünf Jahre zurückzahlen, dann fehlten im Haushalt rund 60 Milliarden Euro. Das wäre ungefähr so viel wie nach dem Urteil zur Schuldenbremse, an dem die alte Ampelkoalition letztlich zerbrach.

Ob sich eine Mehrheit der Richter zu solch einem drastischen Schritt entschließt, erscheint nach der mündlichen Verhandlung im November fraglich. Die Kläger argumentierten mit dem Wegfall der Einheitskosten nach dem Auslaufen des entsprechenden Solidarpakts im Jahr 2020, der Kollision einer reinen Bundessteuer mit dem Föderalismusprinzip und dem Charakter der Abgabe als einer verkappten Reichensteuer.

Die Regierung führte die fortbestehenden Lasten der Teilung an, sicherheitshalber aber auch den Umstand, dass eine Entscheidung des Verfassungsgerichts aus dem fernen Jahr 1972 dem Bund ziemlich freie Hand fürs Erheben solcher Ergänzungsabgaben gelassen hat. Die Fragen der Richter ließen unterschiedliche Präferenzen erkennen, und womöglich bringt das politische Beben nach dem Schuldenbremsen-Urteil einige von ihnen auch dazu, zumindest nicht leichtfertig einen weiteren politischen Sprengsatz zur Detonation zu bringen.

Gibt es noch vereinigungsbedingte Lasten?

Da ist es fast schon ein Glück, dass sich die Koalitionsgespräche zwischen Union und SPD verzögern. Ursprünglich sollte in den Arbeitsgruppen an diesem Montag schon Einigkeit herrschen. Davon kann gerade in Haushalts- und Steuerfragen keine Rede sein, die Gespräche werden die Woche über noch andauern. Wenn es in Karlsruhe hart auf hart kommt, könnten sich die Verhandler also noch mal über ihre Zahlen beugen. Erfreulicher werden die Gespräche dadurch allerdings nicht.

Schon das Karlsruher Verfahren und die Debatte darum werfen politisch die Frage auf, ob es mit dem Aufschlag ewig weitergehen kann. Dann würden sich auch die kleinteiligen Fragen erübrigen, um die vor Gericht die Kontrahenten stritten. Zum Beispiel darum, ob es nach dem Auslaufen des Solidarpakts überhaupt noch vereinigungsbedingte Lasten gibt oder ob große Teile des Ostens heute nicht einfach strukturschwache Regionen sind, wie es sie auch im Westen gibt – oder ob sich das nicht sogar dadurch ausgleicht, dass abgewanderte Ostdeutsche in den westlichen Ländern ihre Steuern und Sozialbeiträge entrichten.

Egal ob die Richter den Zuschlag nun kippen oder nicht: Eigentlich wäre es für die künftige Regierung klüger, das Thema so oder so abzuräumen. Auf das Geld ganz zu verzichten, kommt dabei freilich nicht infrage. Schließlich erscheint schon jetzt fraglich, wie Union und SPD alle Zusagen aus ihrem großzügig bemessenen Sondierungspapier überhaupt bezahlen wollen, und die von den Grünen durchgesetzte Zweckbindung für einen Teil des Infrastruktur-Sondervermögens hat den Spielraum noch mal begrenzt.

Was Wolfgang Schäuble vorschwebte

Obendrein hatten sich die Sozialdemokraten schon im alten Regierungsbündnis aus Verteilungsgründen gegen den Wunsch der FDP gewehrt, den Zuschlag ersatzlos zu streichen. Schließlich hatten sie schon unter der Kanzlerin Angela Merkel darauf bestanden, ihn für die oberen Einkommensgruppen weiter zu erheben. Voll zu entrichten ist der 5,5-prozentige Aufschlag auf die Steuerschuld aktuell für Ledige ab einem Einkommen von knapp 120.000 Euro im Jahr, ab 73.000 Euro wird er teilweise fällig. Für Verheiratete oder für Steuerpflichtige mit Kindern liegen die Grenzen entsprechend höher.

Der Krieg um Kuwait diente 1991 der Regierung als Vorwand, um den Solidaritätszuschlag einzuführen.
Der Krieg um Kuwait diente 1991 der Regierung als Vorwand, um den Solidaritätszuschlag einzuführen.Paris Match via Getty Images

Naheliegender erschiene die Variante, den Aufschlag in den gewöhnlichen Einkommensteuertarif zu integrieren, wie es schon Wolfgang Schäuble vorschwebte, dem christdemokratischen Finanzminister der Jahre 2009 bis 2017. Das würde zwar einen höheren Spitzensteuersatz bedeuten. Letzterer könnte dann aber später greifen, wie es CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann im Wahlkampf schon vorschlug. Unter dem Strich wäre damit auch für sehr hohe Einkommen keine Mehrbelastung verbunden.

Formal wäre es allerdings eine Erhöhung von Steuersätzen, und die Frage ist, ob der designierte Kanzler Friedrich Merz sich nach dem – vorsichtig formuliert – etwas unehrlichen Umgang mit dem Schuldenthema auch noch dieser Debatte aussetzen will. Die Offenheit für einen höheren Spitzensteuersatz, die er in Vorbereitung des Grundsatzprogramms mal in dieser Zeitung signalisiert hatte, musste er aufgrund von Widerspruch aus den eigenen Reihen wieder zurücknehmen.

Einnahmen von derzeit rund 13 Milliarden Euro

Hinzu kommt allerdings ein weiteres Problem. Die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag stehen dem Bund allein zu, das Aufkommen der Einkommensteuer hingegen muss er sich mit Ländern und Kommunen teilen. Kaum irgendwo sind sich die Haushaltspolitiker auf Bundesebene allerdings so einig wie in der Analyse, dass die Länder den Bund ohnehin schon über Gebühr ausnähmen.

Weitere Zugeständnisse waren ohnehin schon nötig, um die Schuldenpläne der Regierung am Freitag durch den Bundesrat zu bringen – etwa jene 100 Milliarden Euro, die aus der Kreditaufnahme für die Infrastruktur direkt an Länder und Kommunen fließen sollen. Immerhin sicherte das sogar die Zustimmung der Linkspartei, die in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern mitregiert. Nur FDP und BSW ließen sich nicht erweichen, sie blieben bei ihrem Nein, weshalb vier Regierungen in der Länderkammer nicht zustimmen konnten.

Allerdings zeigte sich Merz, was Zugeständnisse an die Länder betrifft, zuletzt erstaunlich konziliant. Beispielsweise beklagte er in seiner Bundestagsrede zu den Schuldenpaketen am vorigen Dienstag detailreich die schlechte Finanzlage der Kommunen in Nordrhein-Westfalen – und übernahm damit fast wortgleich die Klagen des örtlichen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst.

Allzu früh freuen sollten sich die betroffenen Steuerzahler allerdings noch nicht, dass der Zuschlag von 5,5 Prozent auf die geschuldete Einkommen- oder Körperschaftsteuer entfällt. Gleiches gilt für Anleger, die auf Kapitalerträge ganz unabhängig von der Höhe nicht bloß 25 Prozent Abgeltungsteuer zahlen, sondern inklusive Soli eben 26,375 Prozent, was sich für viele allerdings erst nach einem gründlichen Studium der unübersichtlichen Steuerbescheinigung erschließt.

Nun gäbe es allerdings noch eine weitere Möglichkeit, mit dem Soli umzugehen: Man könnte ihn einfach umwidmen zu einer Ergänzungsabgabe für die Verteidigung, die den Haushalt in den kommenden Jahren mutmaßlich ähnlich stark belasten wird wie vor 35 Jahren der Beitritt von fünfeinhalb neuen Bundesländern. Das haben einzelne Ökonomen immer wieder gefordert, zuletzt auch Lars Feld, der den früheren FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner beriet. Auch Danyal Bayaz, der grüne Finanzminister aus Baden-Württemberg, schloss sich in der F.A.S. dieser Forderung an.

Die Einnahmen von derzeit rund 13 Milliarden Euro im Jahr würden die zusätzlichen Militärausgaben zwar bei Weitem nicht decken, aber es wäre doch ein Zeichen, dass die derzeit im Erwerbsleben stehende Generation ihren finanziellen Beitrag zur Bewältigung der geopolitischen Krise leistet und nicht alle Lasten in die Zukunft verschiebt.

In gewisser Weise wäre es eine Rückkehr zu den Anfängen des Solidaritätszuschlags, der seinerzeit auch mit der Verteidigung eines souveränen Landes gegen den völkerrechtswidrigen Einmarsch fremder Truppen begründet wurde, den ein autoritärer Herrscher angeordnet hatte. Nur dass es heute um das große Russland geht, nicht um den vergleichsweise kleinen Irak, und die benötigten Summen deshalb sehr viel beeindruckender ausfallen.