Es gibt noch gute Nachrichten vom Autohersteller Ford. Die kommen zwar nicht aus Deutschland, wo die Aufregung darüber groß ist, dass der amerikanische Mutterkonzern nicht mehr für die Verluste der Kölner Tochtergesellschaft geradestehen will, sondern aus Rumänien. In Craiova, im Südwesten des Landes, betreibt Ford mit der türkischen Koç-Holding eine große Autofabrik. Dort ist von der die Branche verunsichernden Krise wenig zu spüren.
Im Gegenteil. Die Zeichen stehen auf Wachstum. Die Zahl der Mitarbeiter im Drei-Schicht-Betrieb ist von 5000 auf 6600 geklettert, die Autoproduktion erreichte mit mehr als 250.000 Einheiten im vergangenen Jahr ein Rekordniveau. Nach Investitionen von 500 Millionen Euro sollen hier künftig sogar 300.000 Autos im Jahr vom Band laufen – darunter möglichst viele Elektrofahrzeuge.
Drei Modelle werden seit Ende vergangener Woche an die Kundschaft in ganz Europa ausgeliefert: Der Puma Gen-E, E-Transit Courier und der E-Torneo Courier. „Wir stolz darauf, an der Spitze des Wandels der Branche zu stehen und zu einer nachhaltigeren Zukunft beizutragen“, sagt Güven Özyurt, der Vorsitzende des Gemeinschaftsunternehmens Ford Otosan, zum feierlich begonnenen Verkaufsstart.
In Craiova laufen E-Autos und Verbrenner von einem Band
Natürlich weiß auch Özyurt, dass die E-Auto-Kundschaft wählerisch geworden ist, dass die Akzeptanz für E-Autos mit dem Streichen staatlicher Kaufprämien vielfach in sich zusammengebrochen ist. 37.000 Euro für einen Puma Gen-E wollen eben doch nicht viele Kunden auf den Tisch legen. Flexibilität wird deshalb in Craiova großgeschrieben. Das Werk sei das einzige in Europa, in dem Autos und leichte Nutzfahrzeuge, ausgestattet mit Verbrenner oder Batterie, von einem Band liefen, sagt Otosan-Vizechefin Josephine Payne.
Zu den geplanten Produktionszahlen schweigt sie sich zwar aus. Doch werden auch in Craiova Verbrenner weiterhin die Überhand haben, obwohl sie gleich neben der von Hunderten orangefarbenen Kuka-Robotern gepflasterten Produktionsstraße eine nagelneue Batteriemontage aufgezogen haben. Die Zellen kommen vom koreanischen Partner SK aus Ungarn, zu Batterien zusammengesetzt werden sie vor Ort.
Allerdings sind es weniger, als man vor drei Jahren bei der Planung erwartet habe, sagt Werksleiter Dan Ghirisan. Die Kapazität von 150.000 Batterien werde man dieses Jahr wohl nur zu einem Drittel ausnutzen. Das benachbarte Motorenwerk ist besser ausgelastet: Hier laufen mehr als 300.000 der 1.0 Liter Eco-Boost-Motoren vom Band.
Ford-Werk ist wichtig für die rumänische Wirtschaft
Da ist es nur logisch, dass auch das Ford Management die Pläne der EU lobt, das ab 2035 vorgesehene Verbot von Verbrennern aufzuweichen oder zu strecken. „Aber wir werden zusätzliche Unterstützung brauchen“, sagt John Davis, der bei Ford das weltweite Geschäft mit elektrischen Nutzfahrzeugen und Bussen koordiniert. Ihm geht es nicht nur um finanzielle Anreize, sondern auch um mehr Hilfe beim Ausbau der Ladeinfrastruktur.
Ford Otosan ist neben Dacia der zweite Autohersteller in Rumänien. Der seit 1999 zur Renault-Gruppe gehörende Fahrzeughersteller Dacia hat mit knapp 310.000 Autos im vergangenen Jahr noch die Nase vorn. Doch Ford Otosan holt schnell auf. Binnen eines Jahrzehnts haben sie die Autoproduktion verfünffacht.
Für Rumänien ist das Werk in der 300.000-Einwohner-Stadt Craiova wirtschaftspolitisch ein Pfund: „Ford Otosan ist eines der bedeutendsten Unternehmen in unserem Land“, sagt Ministerpräsident Marcel Ciolacu bei der Feier, zu der Ford Journalisten aus mehreren Ländern eingeladen hat. Passend dazu sind die drei Automodelle auf der Bühne hinter ihm drapiert: in den Farben blau, gelb und rot – den Nationalfarben Rumäniens.
Der rumänische Automobilsektor ist laut der deutschen Auslandswirtschaftsagentur GTAI mit einem Anteil von 13 Prozent am Bruttoinlandsprodukt einer der bedeutendsten Wirtschaftszweige des Landes. Unternehmen der Kfz-Industrie beschäftigten voriges Jahr an die 260.000 Leute. Deutsche Zulieferbetriebe spielen darunter eine große Rolle.
Ford arbeitet mit Koç-Familie seit fast 100 Jahren zusammen
Wie viel die Beschäftigten in Craiova verdienen, will das Management nicht sagen. Nur dass es wettbewerbsfähige Gehälter seien, oberhalb des Mindestlohns. Der beträgt seit Januar für eine Vollzeitstelle umgerechnet 813 Euro im Monat. Das Werk in Craiova ist nicht nur für Rumänien bedeutsam. Es ist, wie Autowerkleiter Ghirisan stolz sagt, das effizienteste der vier Produktionsstandorte des türkisch-amerikanischen Gemeinschaftsunternehmens Ford Otosan. Die anderen drei liegen in der Türkei.
Ford und die Koç-Familie, die in der Koç-Holding das größte türkische Firmenimperium gebündelt hat, arbeiten schon seit 1926 zusammen. An Ford Otosan sind beide zu je 41 Prozent beteiligt, der Rest ist an der Börse Istanbul notiert. Mit gut zehn Milliarden Dollar Börsenkapitalisierung liegt Ford Otosan auf Rang acht der größten türkischen Aktiengesellschaften, vier Plätze hinter der Muttergesellschaft Koç-Holding, die auf gut 12 Milliarden Dollar kommt.
Auch Koç hat eine ehrgeizige grüne Agenda. So war der Marktstart der E-Autos ein guter Anlass für Gründer-Enkel Ali Koç, Vizechef des Verwaltungsrates der Holding, nach Rumänien zu kommen und überhaupt um auf das große Engagement seiner Gruppe in dem Land hinzuweisen. 900 Millionen Euro betrage das Investment. Koç baue Autos, fertige Kühlschränke und Waschmaschinen, liefere gepanzerte Fahrzeuge für die Armee. Aktuell entstehe für 250 Millionen Dollar ein Solarpark, und für den Bau eines Krankenhauses suche man derzeit das passende Grundstück. Ford Otosan hatte Ford die Fabrik 2022 für 575 Millionen Euro abgekauft. Weitere 140 Millionen Euro erfolgsabhängiger Zahlungen stünden noch aus, bestätigt Barry Spendlove, der Finanzvorstand von Ford Europe.
Das Werk in Craiova hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Gegründet 1976, als Gemeinschaftsunternehmen des damals sozialistischen Staates und des französischen Autobauers Citroën, wurden Kleinwagen für den Verkauf im In- und Ausland gefertigt. Das Geschäft brach nach der Wende Anfang der 90er-Jahre zusammen. Dann erwarb der südkoreanische Mischkonzern Daewoo die Anlagen, doch ging er selbst 2002 bankrott. Der amerikanische Konzern General Motors übernahm die Autosparte, hatte aber für das rumänische Werk keine Verwendung und gab es 2006 an die Regierung zurück, bevor Ford es zwei Jahre später für 57 Millionen Dollar übernahm und bis zum Weiterverkauf 2022 an Ford Otosan 1,5 Milliarden Dollar investierte.
Der Standort hat eine bewegte, beinahe fünfzigjährige Geschichte hinter sich. Fast alles hat sich seit der Gründung 1976 hier geändert: der politische und wirtschaftliche Rahmen, Eigentümer, Produktionsweisen und Fahrzeugmodelle. Doch eins ist trotz aller Umbrüche gleich geblieben: der hohe Anteil weiblicher Beschäftigter in der Produktion. Werksleiter Ghirisan sagt: „Die Hälfte meiner Mitarbeiter sind Frauen.“