Als am Abend des 4. März die Chefs von CDU/CSU und SPD in Berlin vor die Kameras traten, da ahnten in der Bauwirtschaft vermutlich nur wenige, welche weitreichenden Folgen dieser Tag für ihre Branche haben wird. „Whatever it takes“: Was der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz da ankündigte, war nicht nur der Startschuss für eine massive Aufrüstung Deutschlands, sondern auch der Auftakt für ein XXL-Bauprojekt. Straßen, Schienen, Stromnetze, Krankenhäuser, Kitas und Schulen: 500 Milliarden Euro wollen Bund und Länder in den nächsten zwölf Jahren in die Modernisierung des Landes investieren, finanziert über zusätzliche Schulden. Schon zwei Wochen nach der Ankündigung war die Grundgesetzänderung beschlossene Sache. So schnell wurden selten so weitreichende Entscheidungen getroffen. An Geldfragen dürfte Schwarz-Rot nun kaum noch scheitern.
Die Bauwirtschaft bekommt mit dem 500-Milliarden-Euro-Schuldentopf, was sie seit Langem von der Politik gefordert hat: Planungssicherheit. In den kommenden Jahren wird es reichlich Aufträge der öffentlichen Hand geben – und vielleicht auch aus der Privatwirtschaft, falls diese nun wieder mit mehr Zuversicht auf den Standort Deutschland blicken sollte. Ein Wachstumsschub, ausgelöst durch einen Schuldenschub: Das war eigentlich mal der Plan der Grünen. Entsprechend amüsiert verfolgte Noch-Wirtschaftsminister Robert Habeck die Bundestagsdebatte, in der ausgerechnet Friedrich Merz, bis zur Bundestagswahl am 23. Februar der größte Schuldenbremsenverteidiger im Land, das von Habeck vergeblich geforderte Sondervermögen auf den Weg brachte.
Auch wenn nach dem Bundestagsbeschluss sowohl im Berliner Regierungsviertel als auch in der Wirtschaft die Erleichterung groß war – das Paket wirft Fragen auf. Das Bauhauptgewerbe in Deutschland hat einen Jahresumsatz von 160 Milliarden Euro. Ist es überhaupt in der Lage, Aufträge im Wert von 40 Milliarden Euro im Jahr oder mehr zusätzlich zu verbauen? Im Berliner Regierungsviertel hört man diesbezüglich auch skeptische Stimmen. Die Auslastung der Unternehmen im Bauhauptgewerbe sei schon recht hoch, heißt es dort. Und noch eine Sorge gibt es: Wenn jetzt vor allem neue Brücken, Bahntrassen und Schulen im Fokus stehen, könnte der ohnehin schon schleppende Wohnungsbau noch weiter erlahmen. Manch einer in Berlin fürchtet schon „piranha-artige“ Verteilungskämpfe um das neue Sondervermögen.
Wie wird die Summe aufgeteilt?
Wie viel Geld aus dem Schuldentopf wofür ausgegeben werden soll, steht noch nicht fest. Nur, dass 100 der 500 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds fließen sollen. Aus dem werden aktuell unter anderem der Ausbau der erneuerbaren Energien, der Ladeinfrastruktur und die energetische Gebäudesanierung gefördert. Weitere 100 Milliarden Euro des Sondervermögens können die Länder verteilen. Zur Frage, wie die Restsumme des Bundes, auf den Verkehrs- und den Gebäudebereich aufgeteilt werden soll, schweigen Union und SPD mit Verweis auf die laufenden Verhandlungen. Andreas Audretsch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, findet, „auch sozialer und klimafreundlicher Wohnungsbau“ müsse aus dem Sondervermögen finanziert werden. „Menschen haben ein Recht auf bezahlbares Wohnen. Geld steht jetzt zur Verfügung.“ Aber die Grünen können das bald nur noch von der Oppositionsbank aus beobachten.
In der Bauwirtschaft jedenfalls ist man sich einig: Wir schaffen das, heißt es unisono von Unternehmen. Das eigentliche Nadelöhr seien die langwierigen Vergabeprozesse der Behörden und auch die möglicherweise fehlenden Planungskapazitäten von Ingenieuren und Architekten.
Die Branche, auf der jetzt viele Hoffnungen ruhen, erlebt seit Jahren eine Flaute. 2025 dürfte das fünfte Jahr in Folge mit realen Umsatzverlusten sein. Seit 2021 sind die Auftragseingänge im Bauhauptgewerbe inflationsbereinigt um 13 Prozent zurückgegangen. Schwach ist allerdings vor allem der Wohnungsbau, der unter den stark gestiegenen Bau- und Finanzierungskosten besonders leidet. Schon heute deutlich stabiler präsentiert sich der sogenannte Wirtschaftstiefbau, der ebenfalls von dem neuen Milliardenpaket profitieren soll. Tiefbauunternehmen stemmen Infrastrukturprojekte – vom Schienenausbau über Stromtrassen bis zum Breitbandausbau. In diesem Segment ging es 2024 gegen den allgemeinen Trend in der Baubranche schwungvoll zu. Der klassische öffentliche Bau hingegen lahmt. Die Kassen der Kommunen, die 60 Prozent der öffentlichen Bauinvestitionen tragen, sind leer. Ohne zusätzliches Geld aus dem Fonds dürfe der Umsatz dieses Jahr stagnieren.
„Die Bauwirtschaft kann das leisten“
„In der Bauwirtschaft sind genügend Kapazitäten vorhanden“, sagt Wolfgang Schubert-Raab. 40 Prozent der Unternehmen im Hochbau und Wohnungsbau hätten zu wenige Aufträge, auch im Infrastrukturgeschäft gebe es Überkapazitäten und Preisverfall. Die Betriebe würde heute schon Aufträge annehmen, ohne Geld zu verdienen, nur um ihre Leute zu beschäftigen. Der Bauunternehmer aus Franken und Präsident des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe verweist zugleich auf „viele ungeklärte Fragen“, etwa wie die Mittel für die Kommunen oder den Klimafonds verwendet werden sollen. „Erst mal muss geklärt werden, wer unter welchen Voraussetzungen welches Geld wofür bekommt.“ Darüber werde mindestens ein Jahr ins Land gehen. Dann erst könne geplant und umgesetzt werden. Die 300 Milliarden Euro, die im Sondervermögen für Infrastruktur und Gebäude fest eingeplant sind, seien zwar eine Riesensumme, aufgeteilt auf zwölf Jahre aber machbar. „Die Bauwirtschaft kann das leisten.“
Ein echter Fortschritt sei, dass der Bau von Bundesstraßen und Bahntrassen endlich langfristig geplant werden könne, ohne wie bisher von Haushalt zu Haushalt denken zu müssen. Ende 2024 konnte die Autobahn GmbH des Bundes nach Schubert-Raabs Worten ihre Rechnungen nur bezahlen, weil überschüssige Gelder für die Bahn kurzfristig umgewidmet wurden. „So kann man keine Infrastruktur im Land aufrechterhalten.“ Mindestens so wichtig wie das Geld sei eine Reform der Planungsverfahren, damit die Ziele erreicht werden könnten. 85 Prozent der „Bauzeit“ entfalle aktuelle auf Planung und Genehmigung, nur 15 Prozent der Zeit werde tatsächlich gebaut.
Claude Jeutter, Vorstandsmitglied des Baukonzerns Porr , wertet das Paket als wichtigen Impuls. Endlich gebe es die Mittel und einen Konsens für den überfälligen Ausbau der Infrastruktur in Deutschland, sagt er. Wie viele in der Bauwirtschaft verweist aber auch er auf lange Genehmigungsverfahren und mögliche Engpässe in den Planungsbüros. „Das Paket wird nicht von heute auf morgen seine Wirkung zeigen.“ Auch Jeutter sagt: Die Bauwirtschaft könne die neuen Aufträge durchaus in der bestehenden Struktur abarbeiten. Der österreichische Konzern, der in Deutschland 3600 Menschen beschäftigt, sei mit dem Bau von Infrastruktur, etwa Stromtrassen, gut ausgelastet, besitze aber durchaus noch Luft nach oben. Dass die Baupreise weiter steigen, erwartet Jeutter nicht. Nach dem Anstieg infolge des Ukrainekriegs seien die Preise in den vergangenen zwölf Monaten gefallen. Er geht davon aus, dass sie nun stagnieren.
Erheblicher Anteil an der jährlichen Wirtschaftsleistung
Albert Dürr, geschäftsführender Gesellschafter der Stuttgarter Baugruppe Wolff & Müller, ist nach eigenem Bekunden ein Anhänger der Schuldenbremse. Dennoch begrüßte er das Paket mit Verweis auf den Investitionsstau der vergangenen Jahre. Die Summe relativiere sich zudem, wenn man bedenke, dass die Bauwirtschaft etwa 20 Prozent zur jährlichen Wirtschaftsleistung beitrage, argumentiert er. Mit einem kurzfristigen Auftragsschub sei ohnehin nicht zu rechnen. Bis alle Detailentscheidungen getroffen seien, könnten schnell ein bis zwei Jahre vergehen. Die Bauwirtschaft habe also Zeit sich einzustellen. Dürr geht davon aus, dass auch 40 Milliarden Euro jährlich an zusätzlichen Aufträgen machbar sind, der Bedarf werde sich schließlich nicht verdoppeln, wenn das Geld fließe. Der Fachkräftemangel sei zwar nicht wegzudiskutieren, aber die Bauwirtschaft komme damit zurecht und habe auch bisher Lösungen gefunden. Zudem sei Bauen Projektgeschäft, deshalb könnten die Unternehmen leichter „atmen“ als Industriekonzerne.
Nach Einschätzung des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie sind die Bauunternehmen derzeit nur zu rund 70 Prozent ausgelastet. Das gilt nach Darstellung des Verbandes auch für Tiefbauunternehmen. „Die Bauindustrie hat keine Kapazitätsprobleme, im Gegenteil“, sagt Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. Wegen der seit Jahren rückläufigen Investitionen sei das Personal der Unternehmen eher unterausgelastet, auch im Brückenbau. „In Deutschland ist noch nie ein Bauprojekt daran gescheitert, dass wir nicht leistungsfähig gewesen wären.“
Nun komme es zuallererst auf die Politik an. Sie müsse per Bundesgesetz regeln, wohin das Geld fließe. Erst dann herrsche Planungssicherheit. „Deutsche Bahn und Autobahn GmbH müssen klar benennen, welche Investitionsmittel sie für welche Projekte brauchen, welche Planungen bereits vorhanden sind, welche erarbeitet werden müssen“, mahnt Müller. Und pocht darauf, die Planung müsse dringend beschleunigt und vereinfacht werden. Einen Engpass an Bauingenieuren gibt es gleichwohl nicht nur in der Industrie, sondern auch auf den Ämtern. Viele Babyboomer gehen demnächst in Rente. Und dass durch Digitalisierung die Arbeit weniger wird, zeichnet sich noch nicht ab. Oft wurden bislang einfach die bestehenden langwierigen analogen Prozesse in digitale Formulare übertragen.
Mit der Festschreibung des Sondervermögens im Grundgesetz dürfte das Verkehrsministerium erheblich aufgewertet werden, eine Art Neben-Finanzministerium, wie es das Wirtschaftsministerium mit dem Klima- und Transformationsfonds schon heute ist. Der neue Schuldentopf fügt sich gut in die Überlegungen der CDU ein, ein Infrastrukturministerium zu schaffen, das neben dem Verkehr auch für das Bauen und vielleicht auch noch für die Energienetze zuständig sein soll. Nach nicht einmal vier Jahren könnte das gerade erst geschaffene Ministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen seine Eigenständigkeit schon wieder verlieren. Angesichts des Wohnungsmangels und der hohen Mieten in den Ballungszentren wäre dies den Bürgern zwar schwer zu erklären. Doch auch in der SPD kämpft nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre kaum jemand für ein eigenständiges Bauministerium.
Klara Geywitz hat als Ministerin zwar durchgesetzt, dass der Zuschuss des Bundes an die Länder für den sozialen Wohnungsbau von zwei auf 3,5 Milliarden Euro im Jahr gestiegen ist. Gegen die Bauflaute im frei finanzierten Wohnungsbau konnte die SPD-Politikerin aber wenig ausrichten. Das Ziel von 400.000 neuen Wohnungen im Jahr ist weit entfernt. Fertiggestellt wurden zuletzt weniger als 300.000, die Zahl der Baugenehmigungen liegt noch niedriger. Der Gesetzentwurf zum Gebäudetyp E, der ein einfacheres Bauen ermöglichen soll, schaffte es nach dem Ampel-Aus nicht mehr durch den Bundestag. Selbst wenn er unter Schwarz-Rot noch kommen sollte: An anderer Stelle wird das Bauen schon wieder teurer. Nach der Bekanntgabe des Schuldenpakets ist der durchschnittliche Zinssatz für zehnjährige Baukredite auf 3,7 Prozent gestiegen.
Zumindest im Berliner Regierungsviertel haben die Bauarbeiter derzeit schon genug zu tun. Ihre Pressekonferenz am 4. März hielten die Spitzen von Union und SPD vor einer provisorischen Zwischenwand des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses am Ufer der Spree ab. Hinter besagter Wand verbirgt sich ein Erweiterungsbau des Bundestags, an dem seit 2010 gewerkelt wird. Ursprünglich sollten die ersten Abgeordneten schon 2014 einziehen. Nun soll es, nach einer Verdoppelung der Kosten auf 400 Millionen Euro, wirklich bald so weit sein.