Wie Union und SPD die Konflikte lösen wollen

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Zehn Tage lang haben die Fachpolitiker von CDU, CSU und SPD über 16 Themenkomplexe gebrütet. Die Arbeit der 19 Personen umfassenden Verhandlungsgruppe, die daraus jetzt einen gemeinsamen Koalitionsvertrag verfertigen soll, haben sie dabei aber nicht leichter, sondern schwieriger gemacht. Auch wenn einzelne Arbeitsgruppen sogar deutlich vor der Frist am frühen Montagabend ihr ausgearbeitetes Papier verschickten, nahmen in den vergangenen Tagen die Meldungen über erhebliche Probleme in anderen Gruppen zu. Bei einigen Themen sind die Arbeitsgruppen sogar hinter die schon im Sondierungspapier getroffenen Vereinbarungen zurückgefallen und im Streit auseinander gegangen.

Das liegt zum einen daran, dass die Fachpolitiker in ihren Arbeitsgruppen ja explizit nicht das große Ganze in den Blick nehmen sollten, sondern einen begrenzten Bereich. Zum anderen gehört die Zurschaustellung eines gewissen Dissens auch zum politischen Geschäft. Denn wenn sich zu schnell geeinigt würde, dürfte sich vermutlich ein Verhandlungspartner über den Tisch gezogen fühlen – oder zumindest diesen Eindruck gegenüber der eigenen Partei erwecken.

Insofern ist der Konflikt, der zum Beispiel in der Arbeitsgruppe Innen und Mi­gration zutage trat, zwar von Bedeutung. Aber er markiert auch nicht das Ende der Gespräche. Am Donnerstagabend wurde von Unionsseite die Nachricht verbreitet, die Verhandlungen seien abgebrochen worden. Die SPD bestritt das auf Nachfrage sofort. Klar aber ist, dass vor allem die Frage der Leistungskürzungen zu enormem Ärger geführt hat. Die Union schlug vor, vollziehbar ausreisepflichtigen Asylbewerbern die staatlichen Leistungen bis auf ein Minimum zu kürzen, das sogenannte Bett-Seife-Brot-Modell. Die SPD-Seite in der Gruppe hält das für inhuman. So ging man auseinander.

Strittige Politikfelder gibt es genug

Aber: Schon am Sonntagabend setzte man sich wieder zusammen. Außerdem hatte die SPD die Hürde von Bett, Seife und Brot schon einmal genommen. Im Sicherheitspaket der Ampelkoalition, das im Oktober nach dem Attentat von Solingen verabschiedet wurde, ist genau das für diejenigen Asylsuchenden vorgesehen, für deren Antrag ein anderer EU-Staat zuständig ist und deren Ausreise „rechtlich und tatsächlich möglich“ ist.

An diese Art von Kompromisslinien wird sich nun vermutlich die Steuerungsgruppe halten, auf die jetzt die schwierigste Aufgabe der Verhandlungen zukommt: die Bildung eines Bündnisses, mit dem alle gut leben können. Diese Gruppe wird auch die Paketlösungen schnüren. Bekommt an einer Stelle die SPD etwas, muss sie an anderer Stelle der Union Zugeständnisse machen. Neben den Parteivorsitzenden von SPD, CDU und CSU, also Lars Klingbeil, Saskia Esken, Friedrich Merz und Markus Söder, sitzen in der Verhandlungsgruppe unter anderem auch ­Ministerpräsidenten und die Generalsekretäre der Parteien.

Strittige Politikfelder, die miteinander verhandelt werden müssen, gibt es genug. Neben der Migration etwa das Bürgergeld. Sollen Ukrainer im SGB-II-System bleiben, also weiterhin Bürgergeld beziehen, oder geringere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten? Die Massenzustromrichtlinie der EU, die Hintergrund der aktuellen Praxis ist, gilt bis März 2026. Die Union will die Kosten für das Bürgergeld reduzieren. Die SPD argumentiert, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wäre schnell überlastet, müsste es jetzt auch noch alle Ukrainer betreuen.

Der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann wollte nach den Sitzungen der Parteigremien am Montag nicht allzu konkret werden. Wichtig sei aus Sicht der CDU, dass es wirklich einen „Politikwechsel“ in Deutschland gebe. Er bezog sich dabei auf Migration, Wirtschaft und Soziales, insbesondere das Bürgergeld. Der „Politikwechsel“ werde daran festgemacht, „ob wir in diesen Punkten erfolgreich sein werden oder nicht“, sagte er. Klar ist, dass der Druck auf die Verhandler der Union auch innerparteilich hoch ist, nach den Grundgesetzreformen der vergangenen Wochen und den damit ­verbundenden Schuldenaufnahmen, jetzt auch der SPD Zugeständnisse abzuringen. Im Sondierungspapier hatte schließlich zu Einsparungen und Staatsreform nur ein schmaler Satz gestanden.

Um diese Zugeständnisse zu erringen, soll es auch nicht an dem engen Zeitplan scheitern – solche Signale sendet die CDU seit einigen Tagen jedenfalls aus. Linnemann sagte am Montag, es komme jetzt „auf die nächsten Wochen“ an. „Wir lassen uns nicht unter Druck setzen.“ Wenn der Koalitionsvertrag nicht gut werde, „dann ärgern wir uns zwei, drei Jahre“. Allerdings wird es ohne Zeitdruck auch nicht gehen. Die CDU will die Delegierten eines kleinen Parteitags noch über den fertigen Vertrag abstimmen lassen, die SPD hält ein digitales Mitgliedervotum ab, das zehn Tage dauert. Die Wahl von Friedrich Merz zum Bundeskanzler ist bislang für den 23. April geplant, der Woche nach Ostern. Bis zu diesem Moment bleibt Olaf Scholz weiterhin Kanzler.