Tödliche Resistenzen: Neue Antibiotika bezahlt vom Staat?

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Stand: 25.03.2025 16:49 Uhr

Immer mehr Keime lassen sich mit herkömmlichen Antibiotika nicht mehr bekämpfen. Es braucht also neue. Doch Pharmakonzerne haben sich aus der Entwicklung zurückgezogen. Wie der Staat das ändern könnte.

Von Susanne Tappe und Yasmin Appelhans, NDR

Antibiotikaresistenzen werden weltweit zu einem immer größeren Problem. Denn mehr und mehr Keime lassen sich auch mit sogenannten Reserve-Antibiotika nicht mehr bekämpfen – mit Wirkstoffen also, die nur als Reserve im äußersten Notfall eingesetzt werden sollen. Bereits heute sterben deshalb jährlich mehr als eine Million Menschen weltweit. Bis 2050 könnten es pro Jahr mehr als 39 Millionen Menschen sein, prognostizieren Experten im Fachmagazin The Lancet.

Das Problem: Lange wurden übermäßig viele Antibiotika eingesetzt. Dadurch kamen viele Bakterien mit ihnen in Kontakt, passten sich recht schnell an und bildeten Resistenzen. Aktuell sollen sich resistente Keime unter den Kriegsverwundeten in der Ukraine ausbreiten. Ein Teil der Lösung nun: Es braucht neue Antibiotika. Doch seit den 1980er-Jahren wurden nur noch bekannte Wirkstoffe modifiziert, keine wirklich neuen Wirkstoffklassen mehr entwickelt. Die großen Pharmakonzerne haben sich aus der Antibiotika-Entwicklung weitgehend zurückgezogen.

Antibiotika-Entwicklung rechnet sich nicht

Sie lohne sich einfach nicht, sagt Harald Zimmer vom Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfa). Was auch daran liege, dass Antibiotika – eben um Resistenzen zu vermeiden – möglichst sparsam eingesetzt werden sollen und die Hersteller deswegen nicht so viel davon verkaufen können. Vor allem kleine Start-ups aus dem Umfeld von Universitäten forschten noch in diesem Bereich, aber für die sei das am Ende häufig ein Verlustgeschäft, wenn nicht sogar existenzbedrohend. “Von sieben Unternehmen, die seit 2019 modifizierte Antibiotika entwickelt oder auf den Markt gebracht haben, sind drei pleitegegangen und vier mussten massiv Leute entlassen”, so Zimmer. Deswegen brauche es staatliche Förderung – nicht nur als Anschubfinanzierung für die Forschung, sondern auch darüber hinaus.

Das schlägt auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina vor. Sie hat eine Stellungnahme verfasst, wie genau die Förderung aussehen sollte. Mitautor Dietmar Harhoff, Direktor am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München, hält eine mögliche Kombination aus vier Instrumenten für besonders aussichtsreich. “Ich beginne mal mit dem Subskriptionsmodell. Das ist eine Art Abonnement, in dem den Unternehmen, die jetzt den neuen Wirkstoff entwickeln, jährliche Einnahmen garantiert werden.”

Damit ließe sich auch die Einstellung der Produktion bereits bekannter Antibiotika verhindern, sagt Harhoff. Und der Staat könne damit Lieferengpässen entgegenwirken, wie es sie zuletzt bei Antibiotika für Kinder gab. Großbritannien und Schweden erproben dieses Fördermodell bereits.

Staatliche Förderung könnte helfen

Darüber hinaus könnte der Staat Markteinführungsprämien für neue Antibiotika zahlen und ihre Entwicklung mit Prämien für das Erreichen bestimmter Meilensteine unterstützen, schlägt Harhoff vor. Und zuletzt gebe es noch eine Fördermöglichkeit, für die gar kein Geld vom Staat fließen müsste. “Stellen Sie sich bitte vor, ein Pharmaunternehmen hat ein sehr profitables Medikament auf dem Markt, einen sogenannten Blockbuster. Der Patentschutz für diesen ‘Blockbuster’ läuft irgendwann aus. Dann sollte der Staat dem Unternehmen anbieten, die Schutzrechte zu verlängern, wenn das Unternehmen im Gegenzug ein Antibiotikum auf den Markt bringt.”

So ließe sich ein wenig profitables Antibiotikum mit dem weiterhin geschützten “Blockbuster” querfinanzieren. Und falls der Antibiotika-Produzent selbst keinen “Blockbuster” im Angebot hat, wäre es ihm erlaubt, die Patentschutz-Verlängerung gewinnbringend zu verkaufen.

Rund drei Milliarden Euro für ein neues Medikament

Die Förderinstrumente sollten europaweit zur Anwendung kommen, sagt Dietmar Harhoff, koordiniert durch die EU und finanziert durch die Mitgliedsstaaten. Doch wie teuer wird das? “Das lässt sich nur schätzen und ist von Medikament zu Medikament unterschiedlich. Aber im Schnitt benötigen Sie für die Entwicklung eines Antibiotikums über zehn Jahre jährlich zwischen 200 und 350 Millionen Euro. Das heißt, es entstünden Gesamtkosten von ungefähr zwei bis dreieinhalb Milliarden – pro neuem Antibiotikum”, sagt Wirtschaftswissenschaftler Harhoff.

Diese Schätzung deckt sich in etwa mit der von Verbandsvertreter Harald Zimmer. Deutschland als wirtschaftlich starkes EU-Land müsse rund zehn Prozent der Förderkosten tragen, sagt Zimmer, also etwa 350 Millionen Euro. Insgesamt würden in den nächsten Jahren wohl etwa zehn bis 15 neue Antibiotika gebraucht.

Daneben alternative Therapieansätze

Neben der Entwicklung neuer Antibiotika ist es wichtig, die Bildung neuer Resistenzen einzuschränken. Geforscht wird zum Beispiel an der Möglichkeit des sogenannten Antibiotika-Schaukelns: Dabei werden verschiedene Wirkstoffe in kurzer Sequenz abwechselnd gegeben. Das Bakterium hat dadurch nicht genug Zeit, gegen einen der Wirkstoffe eine Resistenz zu entwickeln.

Außerdem wird damit experimentiert, bakterielle Infektionen statt mit Antibiotika mit Bakteriophagen zu behandeln. Das sind Viren, die Bakterien infizieren und sie so abtöten können. In sogenannten Phagenbanken, zum Beispiel in Braunschweig, werden Bakteriophagen oder deren Enzyme gesucht, die gegen den jeweiligen Bakterienstamm helfen können. In Deutschland wird die Phagentherapie bislang aber nur experimentell eingesetzt, wenn nichts anderes mehr hilft.

Sparsamer Antibiotika-Einsatz besonders wichtig

Das Wichtigste sei deshalb, den Einsatz von Antibiotika möglichst weit zu reduzieren, sagen Experten. Denn noch immer kommen Antibiotika zu häufig zum Einsatz. Zuletzt wurden sogar Reserveantibiotika für den Notfall wieder häufiger verschrieben. Das zeigt eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der Krankenkasse AOK. Dass dagegen vorgegangen werden muss, hat inzwischen auch die internationale Politik erkannt. Im vergangenen Jahr hat die UN-Vollversammlung eine Deklaration mit dem Ziel verabschiedet, weniger Antibiotika einzusetzen – zum Beispiel bei Tieren in der Landwirtschaft.