Die blaue Spirale über Hamburg bestand wohl aus Raketentreibstoff

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Gegen neun Uhr am Abend des 24. März herrschte klarer Himmel über Norddeutschland. Doch zwischen den Sternen stand da plötzlich eine bläuliche Spirale am Himmel. Das Phänomen war kurz zuvor schon über England beobachtet worden und beunruhigte nun die Menschen zwischen Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Lokale Medien berichten von besorgten Anrufen bei der Polizei, Sender konnten sich kaum retten vor Bildern und Videoclips, die man ihnen zuschickte. Es sah auch wirklich unwirklich aus – als hätte irgend ein Wurmloch eine neue Spiralgalaxie in unsere kosmische Nachbarschaft gespuckt.

Doch das Phänomen hat sehr wahrscheinlich eine ganz prosaische Erklärung. Denn an jenem Montag war auf dem Raketenstartplatz der Space Force Station am Cape Canaveral in Florida um 13:48 Uhr Ortszeit – in Deutschland war es da 19:48 Uhr – eine Rakete von Typ Falcon 9 des Unternehmens SpaceX gestartet. Ihre wiederverwendbare Unterstufe landete nach der Trennung von der Oberstufe in rund 80 Kilometern Höhe planmäßig wieder am Startgelände in Florida. Die Oberstufe aber könnte nach der Hauptbrennphase und dem Abkoppeln der Nutzlast im niedrigen Erdorbit verbliebenen Treibstoff abgelassen haben, wie es oft passiert, bevor man Raketenstufen in der Erdatmosphäre verglühen lässt.

Der Treibstoff besteht bei der Falcon 9 neben Sauerstoff aus einem Spezialkerosin namens RP-1. Die Kälte des Weltraums ließ den abgelassenen Raketensprit nun offenbar zu Kristallen gefrieren, die in großer Höhe noch von der am Boden bereits untergegangenen Abendsonne beschienen wurden. Die Spiralstruktur ergab sich dann wahrscheinlich aus der Rotation der Raketenstufe um eine ihrer Achsen, die blaue Farbe schließlich lässt sich mit den Abmessungen der Kerosinkristalle erklären: Sie waren zu klein, um den längerwelligen roten Anteil des Sonnenlichts effektiv genug zu streuen. Sonnenlicht mit unterdrücktem Rotanteil ist bläulich.

Kein Kommentar von SpaceX

„Sofern die Beobachtungen kurz nach 20:00 Uhr mitteleuropäischer Zeit (MEZ) stattgefunden haben, liegt die Vermutung nahe, dass es sich um die erwähnte Trägerrakete gehandelt hat“, sagt Andeas Schütz vom Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR). „Hinzu kommt die Flugbahn, der Aufstiegswinkel, der Feuchtegrad der Atmosphäre sowie die vorherrschenden Temperaturen. Wenn all das zusammen kommt, kann es zu einer solchen Leuchterscheinung kommen.“ Tatsächlich sind ähnliche Phänomene infolge abgelassenen Raketentreibstoffs auch früher schon beobachtet worden

Eine Bestätigung dieser Vermutungen durch SpaceX gibt es nicht – und es ist auch keine zu erwarten, denn die am Montag gestartete Mission mit dem Kürzel NROL-69 beförderte eine geheime militärische Nutzlast für die U.S. Space Force in den Weltaum. Bekannt ist nur ihr Logo, eine Origami-Kolibri und ihr Motto „Numquam hibernare“ („Niemals im Winterquartier“). Offiziell ist der Start als erfolgreich gemeldet. Ob sich aus der Rotation der Oberstufe nach Absetzen der Nutzlast Rückschlüsse auf Details der Mission ziehen lassen, die eigentlich nicht öffentlich werden sollten, dürfte nun so manchen Raumfahrtinteressierten beschäftigen.

Bleibt die Frage, ob das Ablassen dermaßen sichtbarer Mengen Kerosin in der Hochatmosphäre nicht ein ziemlicher Umweltfrevel ist. Haben Hamburger oder Mecklenburger nun sogar Gesundheitsprobleme zu befürchten? Die Frage kann eindeutig verneint werden. Auch Linienflugzeuge lassen immer mal wieder Treibstoff ab – etwa, wenn sie früher landen müssen als geplant und dann für eine sichere Landung zu schwer wären. Das passiert nicht oft, aber auch nicht selten. Allein über Deutschland kam es zwischen 2010 und 2023 zu durchschnittlich 23 Treibstoffablässen pro Jahr, im Schnitt waren es jeweils 25 Tonnen Kerosin.

Diese Treibstoffablässe durch Linienjets erfolgen in wesentlich geringeren Höhen als bei einer Raketenoberstufe, nämlich mitten in der unteren Atmosphäre. Aber auch dort zersetzen sich die feinen Kohlenwasserstofftröpfchen im Sonnenlicht und in Reaktion mit dem Luftsauerstoff schnell zu Kohlendioxid und Wasser – die Stoffe, die auch beim normalen Verbrennen des Kerosins entstehen. Ein Bericht des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2020 sah jedenfalls „nach derzeitigem Wissensstand keine kritischen Umweltauswirkungen von Treibstoffschnellablässen auf Boden, Grundwasser, Luft und menschliche Gesundheit“.