Will der Schin Bet Netanjahu stürzen?

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Geheimdienste spielen in vielen Ländern eine zwielichtige Rolle. Oft werden ihnen illegale Methoden nachgesagt, bisweilen auch üble Machenschaften. Israels Inlandsgeheimdienst – nach den hebräischen Anfangsbuchstaben oft Schin Bet oder Schabak genannt – ist nicht so berühmt-berüchtigt wie der Auslandsgeheimdienst Mossad. Zu seinen Aufgaben gehören Staatssicherheit, Bekämpfung von Terrorismus im Inland und Aufklärung in den besetzten palästinensischen Gebieten.

Auch dem Schin Bet wird oft vorgeworfen, beispielsweise Palästinenser zu foltern. Jetzt stehen jedoch Vorwürfe einer ganz anderen Größenordnung im Raum. Hat Israels „Allgemeiner Sicherheitsdienst“ sich verschworen, die Regierung zu Fall zu bringen?

Diese Anschuldigungen sind seit einigen Tagen zu hören – aus der Regierung selbst. So behauptete Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der Schin Bet sammele auf Anweisung seines Direktors Ronen Bar „Beweise gegen die politische Führung“. Das, so hieß es in einer Mitteilung von Netanjahus Büro, „erinnert an verkommene Regime, untergräbt die Grundlagen der Demokratie und zielt darauf ab, die rechtsgerichtete Regierung zu stürzen“. Netanjahu habe dem keinesfalls seine Zustimmung erteilt, wurde in der Mitteilung hervorgehoben – gegenteilige Behauptungen seien „eine weitere Lüge“.

Acht Petitionen gegen die Entlassung

Vordergründig geht es darum, dass einem israelischen Medienbericht zufolge der Inlandsgeheimdienst eine Undercover-Untersuchung dazu begonnen hat, ob die Polizei von „Kahanisten“ unterwandert ist – also von Anhängern des radikalen jüdischen Rabbiners Meir Kahane, dessen rassistische, suprematistische Ideen unter Siedlern großen Einfluss entfaltet haben. Bekennender Kahanist ist beispielsweise der rechtsradikale Politiker Itamar Ben-Gvir. Er ist – seit kurzem wieder – Minister für Nationale Sicherheit in Netanjahus Kabinett, ihm untersteht die Polizei.

Der Schin Bet gibt an, es gebe keine solche Untersuchung und habe auch keine gegeben – jedenfalls nicht gegen die Führung der Polizei und den Minister. Dass die Angelegenheit in Israel dennoch sehr hohe Wellen schlägt, hat auch damit zu tun, dass die Regierung und Schin-Bet-Chef Bar gerade in einem erbitterten Konflikt ineinander verhakt sind.

Am vergangenen Donnerstag stimmte das Kabinett auf Ersuchen Netanjahus einstimmig dafür, Bar zu entlassen. Der Ministerpräsident gab an, er habe kein Vertrauen mehr in ihn. Der Vorgang wurde allerdings rasch aufgehalten: Acht Petitionen gegen die Entlassung wurden umgehend eingereicht, und am Freitag erließ das Oberste Gericht eine einstweilige Verfügung. Gleichzeitig demonstrierten Zehntausende gegen die Entscheidung der Regierung. Spätestens am 8. April – zwei Tage, bevor Bars Amtszeit dem Kabinettsbeschluss zufolge enden soll – will das Gericht die Anhörung in der Sache abhalten.

Israelische Polizisten nehmen am 19. März in Tel Aviv Demonstranten während einer Demonstration gegen die Regierung fest.
Israelische Polizisten nehmen am 19. März in Tel Aviv Demonstranten während einer Demonstration gegen die Regierung fest.dpa

Der Vorgang facht den institutionellen Konflikt weiter an, der zwischen der Regierung und der Judikative herrscht, seit Netanjahus Regierungskoalition Ende 2022 an die Macht gekommen ist. Die Regierung bestritt in einer Eingabe am Montag, dass das Gericht sich in die Angelegenheit einmischen darf. Außerdem könne die Regierung nicht dazu gezwungen werden, weiter mit Bar zusammenzuarbeiten. Das ist in der Praxis gar nicht so einfach, denn der Schin Bet ist eng in den Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen eingebunden.

„Qatargate“-Untersuchung

Gleichzeitig führt Netanjahu den Kampf gegen Bar auf politischer Ebene fort. So präsentierte er am Wochenende eine komplexe Theorie. Das Ziel war, die Behauptung von Kritikern zu widerlegen, er wolle den Geheimdienstchef loswerden, weil dieser Finanzströme aus Qatar an Mitarbeiter Netanjahus untersuche – die sogenannte „Qatargate“-Affäre. In einer Videobotschaft führte Netanjahu aus, er habe Bar Ende Februar angewiesen, den Untersuchungsbericht des Schin Bet zum Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 umgehend vorzulegen, binnen zwei Wochen.

Es war klar, dass dieser Bericht auch Bars Mitverantwortung für das damalige Sicherheitsversagen thematisieren und somit den Druck auf den Geheimdienstchef verstärken würde, zurückzutreten. Unmittelbar danach, behauptete Netanjahu weiter, habe Bar die Untersuchung gegen die Mitarbeiter im Ministerpräsidentenamt in Auftrag gegeben. In Netanjahus Worten: „Die Fakten beweisen eindeutig, dass die Entlassung nicht dazu diente, die Untersuchung zu verhindern – die Untersuchung diente dazu, die Entlassung zu verhindern.“

Mehrere israelische Journalisten haben inzwischen dargelegt, dass die Darstellung des Ministerpräsidenten nicht stimmt. Schon vor Ende Februar gab es Berichte über die „Qatargate“-Untersuchung. Netanjahu zufolge ist all das Teil eines „tiefen Staates“, der gegen ihn ­vorgeht.

In diesem Licht sehen er und seine Koalitionspartner auch die angebliche Untersuchung zur Unterwanderung der Polizei. Ben-Gvir reagierte darauf noch wesentlich erhitzter als Netanjahu. Erst äußerte er, Ronen Bar dürfe nicht nur gefeuert werden – er müsse vor Gericht kommen, weil er einen Putsch geplant habe. Am Montag forderte er dann, der Geheimdienstchef solle „in Einzelhaft gesteckt werden“.

Bei einer Sicherheitsberatung, bei der auch Bar anwesend war, kam es offenbar sogar zu einer lautstarken Auseinandersetzung – dass er mit dem Shin-Bet-Chef körperlich aneinandergeraten sei, bestreitet Ben-Gvir indessen. Bar soll ihm jedenfalls entgegengehalten haben: „Gestern habt ihr mich des Verrats beschuldigt, heute droht ihr damit, mich ins Gefängnis zu schicken – morgen werdet ihr damit drohen, mich hinzurichten.“