Friedrich Merz hat im Wahlkampf und danach deutlich gezeigt, dass er Außen- und Sicherheitspolitik als Chefsache versteht – und als Kanzler einiges anpassen will, um deutschen Interessen besser gerecht zu werden. Allerdings zeigt das eingereichte Papier der Arbeitsgruppe 12 zur Außen- und Verteidigungspolitik, dass er auf dem Weg zum Koalitionsvertrag noch an entscheidenden Stellen die CDU-Positionen wird durchsetzen müssen. Denn gerade bei Projekten, die seiner Partei im Wahlkampf wichtig waren, liegen die Positionen von SPD und Union weit auseinander: vor allem bei der Entwicklungshilfe, dem Wehrdienst – und beim Nationalen Sicherheitsrat. Das Arbeitsgruppen-Papier liegt der F.A.Z. vor.
Gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik gibt es viele Sätze zur Selbstvergewisserung. Wo sieht man sich selbst in der Welt, und wie alle anderen um sich herum? Im Papier wirken diese Stellen geeint und wenig überraschend. Allerdings fällt mit Blick auf Amerika auf, dass zwar davon gesprochen wird, dass die Beziehungen zu den USA von „überragender Bedeutung“ blieben. Aber weiter vorn steht, dass erstmals seit Ende des Zweiten Weltkrieges Deutschland und Europa in der Lage sein müssten, die Sicherheit in Europa maßgeblich selbst zu gewährleisten. Das zeigt auch eine wachsende Distanz. Oder schlicht eine realistische Einschätzung des Partners in Washington und seiner Zuverlässigkeit.
Von den ukrainischen Grenzen ist keine Rede mehr
Das Bekenntnis zu EU und NATO bleibe unverrückbar, heißt es. Geeint ist auch die Passage zur Ukraine. Sie sei als starker und souveräner Staat von zentraler Bedeutung für die eigene Sicherheit. Man werde daher die militärische, zivile und politische Unterstützung der Ukraine mit den Partnern „substanziell stärken und zuverlässig fortsetzen“. Man will sich für einen „echten und nachhaltigen“ Frieden einsetzen, zu dem materielle und politische Sicherheitsgarantieren gehörten, und auch am Wiederaufbau der Ukraine wolle man sich beteiligen. Es steht in dem Papier nichts mehr zu der Frage des Territoriums und der Grenzen der Ukraine, und nichts zum deutschen Beitrag zu den Sicherheitsgarantien.
Aus der im Papier beschriebenen schwierigen Sicherheitslage für Deutschland und Europa ergab sich für Merz im Wahlkampf schon eine zentrale Forderung, die in der Arbeitsgruppe noch nicht entschieden wurde: die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates im Bundeskanzleramt. Das ist eine Passage im Papier, wo sich die eckigen Klammern mit den Forderungen von Union und SPD noch gegenüberstehen. Die Union will den Bundessicherheitsrat zu einem Nationalen Sicherheitsrat weiterentwickeln. Die SPD will das nicht, und schlägt stattdessen einen Nationales Lagezentrum vor, um aktuelle Großlagen besser übersehen und einschätzen zu können – allerdings gibt es in ähnlicher Form bereits einen Krisenreaktionszentrum im Auswärtigen Amt.
Streitpunkt Verteidigung
Auch bei den Absätzen zur Bundeswehr und Verteidigungspolitik warten noch große Brocken auf die Runde der Chefverhandler in den nächsten Tagen. Offen ist in dem Papier zum Beispiel noch, ob man als Ziel für die Verteidigungsausgaben bis zum Ende der Legislaturperiode 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung festlegen soll, wie es die Union in eine eckige Klammer geschrieben hat. Auch bei Thema Wehrdienst ist man nicht einig. Die Union will die Aussetzung der Wehrpflicht beenden, weil ein konsequenter und rascher Aufwuchs der Streitkräfte notwendig sei. Die SPD hat den Satz in ihre eckige Klammer geschrieben: „Der neue Wehrdienst soll auf Freiwilligkeit basieren.“
Diametral stehen sich die Vorstellungen von Union und SPD auch der Entwicklungshilfe gegenüber. Das ließ sich schon erwarten, als die SPD dem Unions-Gruppenleiter Johann Wadephul (CDU) die Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze gegenübergesetzt hat. In dem Papier gehen die Vorstellung nun weit auseinander, was mit der Entwicklungshilfe geschehen soll. Merz hatte im Wahlkampf bei einer außenpolitischen Grundsatzrede deutlich gemacht, diese müsse sich besser einfügen in die Instrumente der deutschen Außenpolitik, um Interessen durchzusetzen.
Eine Auflösung des Entwicklungshilfeministeriums (BMZ) wäre ein konsequenter Schritt in diese Richtung gewesen. Tatsächlich hat die Union in dem Papier geschrieben, dass man das BMZ in das Auswärtige Amt integrieren wolle. Die SPD will hingegen das BMZ sogar aufwerten, und alle „entwicklungspolitischen Schnittstellen“ mit anderen Ministerien und deren Leistungen zur Entwicklungshilfe dort bündeln. Auch will die SPD festschreiben lassen, dass 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung weiter für Entwicklungshilfe ausgegeben werden sollen. Die Union fordert hingegen, dass die Quote sinkt, weil man den Haushalt konsolidieren müsse.
Ein Begriff taucht in dem Papier nicht mehr auf: feministische Außenpolitik. Im Koalitionsvertrag der Ampel hatte noch der Satz gestanden: „Gemeinsam mit unseren Partnern wollen wir im Sinne einer Feminist Foreign Policy Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen und Mädchen weltweit stärken und gesellschaftliche Diversität fördern.“