Fraktur: Ein Plädoyer fürs Schuldenmachen

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Angesichts von Sondervermögen und Lockerung der Schuldenbremse ist derzeit viel davon die Rede, dass in Deutschland zu viel Geld aufgenommen und ausgegeben werde. Sparen gehörte ja mal zu unseren Tugenden wie Kämpfen und Grätschen. Dabei war das Image immer schon besser als die Sache selbst. Beispiel Weltspartag: Da gingen die Kinder zwar gerne zur Sparkasse oder Raiffeisenbank, aber nicht, weil sie da was hinbringen konnten, sondern weil sie etwas bekamen (Luftballons, Comics, Bonbons).

Wie so oft ist die Sprache auch hier verräterisch. Der „Pfennigfuchser“ steht im Ansehen der Menschen auf einer Stufe mit dem „Korinthenkacker“ und dem „Erbsenzähler“. Schaut jemand sparsam, so ist er verwirrt, irritiert, enttäuscht. Das Wort „spartanisch“ mag auf Sparta zurückgehen, enthält aber nicht zufällig die hässliche Silbe „spar“.

Als einst versucht wurde, den Griechen, die ihre Demokratie gerade nicht den sparsamen Spartanern verdanken, sondern den in jeder Hinsicht freigebigen Athenern, das Sparen schmackhaft zu machen, war viel von „Austerität“ die Rede – ein Wort, in dem wenigstens die Reichtum verheißende „Auster“ steckt.

Der unbezahlbare Gestus: Was kostet die Welt?

Beim Schuldenmachen geht es natürlich auch ums Geld. Dieses hilft, Gräben zwischen Koalitionspartnern zuzuschütten, daher ja auch Synonyme wie Kies oder Schotter. Es geht aber vor allem um den unbezahlbaren Gestus: Was kostet die Welt? In der Geschichte der Menschheit gab es immer mal wieder Phasen, in denen das Sparen ein Hauch von Erotik umwehte. Auch zu Zeiten der Finanzminister Lindner und Eichel war das so. Im Grunde wollen aber doch alle, selbst sich aufsparende Bausparerinnen, hinter Yanis „Scheiß auf die Schuldenbremse“ Varoufakis auf dem Motorrad sitzen.

Man könnte meinen, wer viel Geld aufnimmt, dem sei Geld wichtig. Das Gegenteil ist der Fall. Diese Leute haben nämlich begriffen, dass auch eine Billion am Ende nur eine Zahl ist. Sparen steht in Wahrheit für Zukunftsangst, Schuldenmachen für Zuversicht (irgendwer wird sie schon zurückzahlen), für das Leben im Hier und Jetzt und für Großzügigkeit, zumal im Umgang mit sich selbst.

Jeder kennt die Situation an der Supermarktkasse, wenn man sich mal wieder ausschließlich mit Konsumgütern eingedeckt hat, von denen die nachfolgenden Generationen nicht profitieren, nur die lokalen Brauereien. Da fragt die Frau oder der Mann an der Kasse: „Kassenzettel?“ Einerseits neigt man dann zur Antwort „Ja, bitte“, um dem Gegenüber das Gefühl zu vermitteln, dass man auch selbst ein bisschen aufs Geld achten muss, mithin auf Augenhöhe sei und anders als gewisse Politiker noch weiß, was ein Kilo Butter kostet.

Andererseits denkt man sich: Ein Mann, der ausgerechnet einer Kassiererin mit Argwohn begegnet und auf dem Supermarktparkplatz stehend überprüft, ob auch das Flaschenpfand richtig verbucht wurde – das bin nicht ich.

Putin will keine Lösung um jeden Preis

Nicht nur die Koalitionsverhandler, wir alle müssen uns entscheiden, auf welcher Seite wir stehen wollen. Auf der Seite des Westens, wo das Motto gilt: „Whatever it takes“, oder auf der Seite Russlands, für das Putin eben gesagt hat, es brauche keine di­plomatische Lösung „um jeden Preis“.

Gerade im Land Dostojewskis („Schuld und Sühne“) sollte man wissen, dass Schulden auch eine moralische, ja religiöse Dimension haben. Nicht umsonst sagte Friedrich Merz in Anlehnung ans Buch Genesis: „Die Zeiten des Paradieses sind vorbei.“ Aber was ist der Sündenfall?

In der F.A.Z. stand schon 2011 unter der Überschrift „Und vergib uns unsere Schulden“ ein Text, in dem es mit Bezug auf den Autor David Graeber heißt, Schulden hätten „zu einem autoritären Zuwachs des Staates geführt, der jetzt zunehmend unkontrolliert Opfer verordnen kann und vor allem wird“. Noch hätten die meisten Deutschen offenbar das Gefühl, dass sie die Schulden abbezahlen können. „Ändert sich dies, ändert sich alles.“ Bis es so weit ist, halten wir uns lieber an ein Wort des Boxpromoters Ebby Thust: „Ich lebe ständig über meine Verhältnisse, aber noch lange nicht standesgemäß.“