Mit keinem anderen Thema verbindet die Union die von ihr geforderte Politikwende so sehr wie mit der Migration. Zentral dabei ist die Forderung von CDU-Chef Friedrich Merz, dass auch Asylsuchende an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werden. Die SPD hatte das im Wahlkampf als europarechtswidrig bezeichnet. Einen Kompromiss scheint man aber gefunden zu haben, indem solche Zurückweisungen „in Abstimmung“ mit den europäischen Nachbarn stattfinden sollen. Ob Abstimmung Zustimmung heißt, darüber herrscht aber Uneinigkeit.
Es darf aber angenommen werden, dass Merz die Nachbarländer nicht vor vollendete Tatsachen stellen wird. Ob also schon von Tag 1 seiner Kanzlerschaft an, wie im Wahlkampf noch angekündigt, Asylsuchende zurückgewiesen werden, wird sich zeigen müssen. Außerdem dürfte Merz in nächster Zeit viel durch Europa reisen und Gespräche führen; mit einigen Spitzenpolitikern ist er zu der Frage der Zurückweisungen schon im Austausch. Denn im Ziel sind sich ja alle einig: Die irreguläre Migration muss eingedämmt werden.
Das Thema Migrationskontrolle hat bei zwei mehrstündigen Abendessen zwischen Emmanuel Macron und Merz eine wichtige Rolle gespielt, die Ende Februar im Elysée-Palast in Paris und Mitte März in der französischen Botschaft am Pariser Platz in Berlin stattfanden. Der französische Präsident will dem künftigen Bundeskanzler bei der Zurückweisung illegaler Migranten an der Grenze entgegenkommen.
Enger Austausch im deutsch-französischen Grenzgebiet
Frankreich umschifft auf der Grundlage von bilateralen Rücknahmevereinbarungen mit Italien und Spanien das Refoulement-Verbot bereits. Es wird noch geprüft, ob es einer schriftlichen Rücknahmevereinbarung bedarf. Zugleich soll darauf geachtet werden, dass die Zusammenarbeit im grenznahen Raum davon nicht beeinträchtigt wird.
Zu den Errungenschaften der deutsch-französischen Freundschaft zählt der enge Arbeits- und Freizeitaustausch im Grenzgebiet. Bei den Grenzkontrollen soll darauf geachtet werden, dass Pendler davon ausgenommen werden. Das soll auch für grenzüberschreitende öffentliche Verkehrsverbindungen gelten wie etwa die Straßenbahn in Straßburg, die bis Kehl fährt. Geplant sind eher Stichprobenkontrollen.
Österreich hatte Anfang des Jahres recht harsch auf die Ankündigung von Merz reagiert, Asylbewerber an den deutschen Grenzen zurückzuweisen, und dies dem deutschen Wahlkampf zugeschrieben. „Illegale Migration wird von uns bekämpft, aber auch illegale Zurückweisungen“, sagte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) noch im Januar. Das ist im Prinzip weiterhin die Position Wiens. Anders sieht das bei einem koordinierten Vorgehen aus – einvernehmliche Zurückweisungen wären ja auch nicht illegal.
Telefonat von Merz und Stocker
Der österreichische Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) bezeichnete es auf Anfrage der F.A.Z. als „erfreulich und notwendig“, dass Deutschland nun konsequent gegen illegale Migration vorgehen wolle. „Wir begrüßen den Kurswechsel und die Ankündigung Deutschlands, nur in Abstimmung mit den Nachbarstaaten vorzugehen.“ Österreich setze sich seit Jahren für einen robusten Außengrenzschutz ein. „Wenn der EU-Außengrenzschutz vollumfänglich gewährleistet ist, dann sind auch unsere innerstaatlichen Grenzen geschützt.“ In einem Telefongespräch hätten Merz und Stocker „vor ein paar Wochen“ dieses Thema angesprochen, hieß es aus dem Bundeskanzleramt am Wiener Ballhausplatz.
Polens Regierungschef Donald Tusk ist seit seiner Regierungsübernahme Ende 2023 einer der härtesten Verfechter einer strikten Migrationspolitik. Erst am Donnerstag setzte er per Erlass das Asylrecht an der Grenze zu Belarus für zwei Monate aus mit der Begründung, Minsk treibe gezielt Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten über die Grenze, um die EU zu destabilisieren. Das sei ein Missbrauch des Asylrechts, gegen den sich die EU wehren müsse. Darin ist sich Tusk mit Merz einig, beide kennen sich persönlich und haben einen guten Draht zueinander.
Warschau setzt darauf, dass Deutschland unter Merz‘ Führung das Thema Asyl konsequent anpackt und Polen nicht außen vor lässt wie im vergangenen September, als Berlin plötzlich Grenzkontrollen anordnete. Das sei „inakzeptabel“, erklärte Tusk damals, weil Polen den freien Warenverkehr bedroht sah, vor allem aber auch keine Migranten aus Deutschland zurücknehmen will. Zuletzt kam es an polnisch-deutschen Grenzübergängen zu von nationalistischen Gruppen aus Polen initiierten Straßenblockaden gegen die Rückführung von Migranten. Dabei waren auch Plakate mit dem Slogan „Stoppt den Migrationspakt!“ zu sehen.
Tusk hat schon angekündigt, den EU-Migrationspakt, der 2026 in Kraft treten soll, nicht umzusetzen. „Wir sind bereit, mit allen zusammenzuarbeiten, um Europa vor illegaler Migration zu schützen“, hatte er im Februar bei einer Pressekonferenz mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gesagt. Polen werde jedoch keine zusätzlichen Lasten auf sich nehmen, erklärte er und verwies auf die rund eine Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine, die sein Land aufgenommen habe.