Das Amerika-Problem der deutschen Autokonzerne besteht nicht nur aus Zöllen

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Als ein ranghoher Manager der deutschen Autoindustrie kürzlich aus Washington zurückkehrte, hatte er erstaunliche Nachrichten im Gepäck. Die Trump-Regierung wolle mit den Europäern auf einem Gebiet kooperieren, das als milliardenschweres Zukunftsfeld gilt: das autonome Fahren. Die Gespräche, so erfuhr es die Führungskraft des Autozulieferers Bosch, sollten schnell konkreter werden. Ein Vertreter des amerikanischen „Bureau of Industry und Security“, kurz BIS, wurde in Berlin erwartet, auch auf Vermittlung des Verbands der Automobilindustrie, des VDA, wie in der Branche zu hören ist.

Volkswagen und andere Unternehmen waren interessiert am Austausch mit der US-Behörde, zu deren Aufgaben es zählt, „strategische Technologieführerschaft“ der Amerikaner in Schlüsselindustrien zu fördern. Der Termin kam zwar nicht zustande, und Trumps Zollkeule überlagerte dann kurzfristig alles andere. Doch es blieb der Eindruck, dass es durchaus Felder gibt, auf denen Amerika die Europäer an seiner Seite haben will.

Der Vorgang zeigt, wie vielschichtig die Beziehungen der Automobilbranche sind. Und in diesen Tagen werden sie rund um den Erdball neu sortiert. Nachdem Trump die Branche mit Importzöllen von 25 Prozent aufgeschreckt hat, steigt für VW, Mercedes, BMW und Co. der Druck, mehr Wertschöpfung in die Vereinigten Staaten zu verlagern. Gleichzeitig will Amerika die Europäer in einen Abwehrkampf gegen den technologischen Aufstieg Chinas einbinden. Abermals liegt der Fokus auf der Autobranche und hier auf dem Technologiefeld „Advanced Driver Assistance Systems“, kurz ADAS, wie die Branche alle Systeme nennt, die den Fahrer unterstützen.

China Vorreiter des autonomen Fahrens

Chinesische Unternehmen machen genau hier rasant Fortschritte. Die Volksrepu­blik ist in den vergangenen Jahren zum Vorreiter des autonomen Fahrens geworden. Branchenbeobachter gehen davon aus, dass in diesem Jahr zwei Drittel der in China verkauften Autos mit einem „Level 2“-System ausgestattet werden, das es dem Fahrer ermöglicht, in bestimmten Situationen die Hände vom Lenkrad zu nehmen. Wang Chuanfu, Gründer des weltgrößten Elektroautoherstellers BYD , sagte vor einigen Wochen, dass autonome Fahrsysteme in diesem Jahr zum Standard würden. BYD bietet sein eigenes, „Auge Gottes“ genannte System ohne Aufpreis schon in Autos an, die rund 10.000 Euro kosten. Viele der Level-2-Systeme sind so gut, dass die Fahrer auf Chinas Straßen kaum noch aufpassen. Manche Hersteller signalisieren durch Leuchten außen am Auto, dass der Autopilot das Fahrzeug steuert. Und weitaus leistungsfähigere Systeme sind längst in der Entwicklung.

Amerikanische Behörden sehen diesen Aufstieg mit Sorge. Die Vereinigten Staaten wollen die Wettbewerbsposition ihrer eigenen Technologiekonzerne wie Google und Nvidia stärken, schließlich dürfte sich der Weltmarkt für ADAS-Systeme nach Schätzung von Marktforschern bis Ende des Jahrzehnts auf 125 Milliarden Dollar mehr als verdoppeln – ein hochlukratives Geschäft. Gleichzeitig will Washington verhindern, dass Autos mit Chinatechnik über amerikanische Highways rollen, Daten sammeln und womöglich sogar aus der Ferne abgeschaltet werden können.

Die Behörde BIS, die dem Handelsministerium in Washington unterstellt ist, hatte vor wenigen Wochen schon eine viel beachtete Regelung erlassen. Diese verbietet praktisch die komplette Einfuhr und den Verkauf von aus China oder Russland stammender Automobiltechnik in Amerika, sowohl Hardware als auch Software. In einer Einschätzung von Fachanwälten für den Autoverband VDA ist von einem „effektiven Tech-Decoupling“ die Rede, das Amerika vorantreibe, also eine Abkopplung von chinesischer Technik.

Nicht nur Verbindungen zwischen Deutschland und den USA

Die deutschen Automobilkonzerne sind mit amerikanischen Unternehmen eng verbunden. Das Paradebeispiel ist der Volkswagen-Konzern, der mit dem Start-up Rivian aus Kalifornien seine komplette Software-Architektur für Autos der nächsten Generationen entwickeln will. Deutsche Zulieferer wie Bosch, Continental, Mahle und ZF sind in Amerika stark vertreten und beliefern dortige Hersteller mit Elektronik, Software und Sensorik. Über eine engere Kooperation und eine gemeinsame Regulierung für Robo-Fahrzeuge wollen die Deutschen gerne sprechen, zumal auch sie sich davon erhebliche Geschäftschancen versprechen können.

Dem stehen viele Schwierigkeiten entgegen, allen voran die enge Verflechtung der deutschen Autokonzerne mit China. VW, Mercedes und BMW sind dort seit Jahrzehnten vertreten und kämpfen mit hohen Investitionen darum, ihre Position im Wettkampf mit chinesischen Rivalen zu stabilisieren. Statt von einem wirtschaftlichen „Decoupling“ sprechen sie lieber von „Derisking“, wenn es um China geht, sprich: Die Risiken der Abhängigkeit sollen sinken, aber die Geschäftsbeziehungen erhalten bleiben. Um genau solche Themen ging es auch in einem Treffen von Wirtschaftsvertretern mit Chinas Präsident Xi Jinping am Freitag in Peking. Mit dabei: BMW und Mercedes.

Wenn es um die Zukunftstechnik für den Weltmarkt geht, ist die Seilschaft indes nicht mehr ganz so eng. Beispiel BMW: Die Münchner setzen in China auf eine enge Zusammenarbeit mit Huawei. Sie werden von 2026 an ihre in China produzierten Fahrzeuge der „Neuen Klasse“ mit dem Betriebssystem des chinesischen Kommunikationsriesen ausstatten. Im Reich der Mitte betreibt BMW vier große Forschungs- und Entwicklungszentren. In den drei extra für die Volksrepublik entwickelten Mittelklassemodellen wird eine Software von Huawei für die Vernetzung zwischen dem Smartphone und dem Auto sorgen. Dagegen verzichtet BMW für die übrigen fünf Fahrzeuge der „Neuen Klasse“, die für die westliche Welt bestimmt sind, auf die Huawei-Software und vertraut auf eine Kooperation mit dem amerikanischen Amazon-Konzern.

Ein bisschen Wolfsburg in China

Beispiel Mercedes: Die Stuttgarter bieten in der neuen Version ihres Kompaktwagens CLA automatisierte Fahrfunktionen auf dem Level 2++ an. Der Fahrer kann damit Navi-gesteuert unterwegs sein, ohne die Hände am Steuer zu haben – er muss allerdings den Verkehr im Auge behalten, weil er die Verantwortung behält und in der Lage sein muss, jederzeit einzugreifen. Bei dem System, das acht Kameras, fünf Radarsensoren und zwölf Ultraschallsensoren umfasst, arbeitet Mercedes mit dem amerikanischen Technologiekonzern Nvidia zusammen, der auch die Chips liefert – mit einer Ausnahme: In China setzt Mercedes einem Sprecher zufolge auf einen „starken, lokalen“ Partner.

VW hat in der Stadt Hefei gar eine Art chinesisches Wolfsburg etabliert, mit kompletter Technologieentwicklung für den chinesischen Markt. Zwar versucht Europas größter Autokonzern – wie viele globale Rivalen – weiter, möglichst viel gleiche Technik rund um den Globus einzusetzen, um die finanziellen Vorteile der Großserie zu erhalten. Doch auch er hat längst verschiedene Systeme, etwa in der Software. Die Pendants zu Rivian in Amerika sind chinesische Anbieter wie Horizon Robotics oder Xpeng, mit denen VW in der Volksrepublik die Technologieentwicklung vorantreibt.

Jetzt steht die Autoindustrie vor komplexen Verhandlungen. Vertreten wird sie durch die Europäische Kommission, aber im Kern müssen sie ihre ureigenen nationalen Interessen wahren. Manche sehen das Thema gar als Hebel, um Trump auf anderen Feldern Zugeständnisse abzuringen, etwa wenn es um die Importzölle geht. Das Thema ADAS sei eine Möglichkeit, „wie wir in Verhandlungen einsteigen“, sagt ein Manager eines großen Zulieferers.