Kommen sie nun oder kommen sie nicht? Ganz sicher sein kann man sich da bei Donald Trump nie. Aber nach aktuellem Stand werden die Vereinigten Staaten in der kommenden Woche Zölle in Höhe von 25 Prozent auf Automobilimporte erheben. Hinzu kommt die geplante Ankündigung sogenannter reziproker Zölle am 2. April („Liberation Day“), für die die EU Berichten zufolge mit einer Größenordnung von 20 Prozent rechnet. 25 Prozent Strafzoll gibt es obendrauf für Länder, die Öl oder Gas aus Venezuela importieren. Und dann sind da noch die Zölle auf Einfuhren aus Kanada und Mexiko, von denen ein Teil ab dem 2. April anfällt.
Mit Trumps Zollkaskade rückt insbesondere ein Mann näher an sein Ziel, sämtliche Prämissen der republikanischen Wirtschaftspolitik seit dem Zweiten Weltkrieg auf links zu drehen: Oren Cass, geboren 1983 in Boston, an der Harvard-Universität zum Juristen ausgebildet, Chef der konservativen Denkfabrik American Compass.
Er wirbt wie kein Zweiter auf der amerikanischen Rechten für höhere Zölle, die, so argumentiert er, letztlich der amerikanischen Industrie und der Arbeiterklasse zugute kämen. Damit bringt er die ökonomische Fachwelt gegen sich auf. Im Weißen Haus findet er indes mehr Gehör denn je zuvor.
Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Cass hat es sich zum Ziel gemacht, aus den lange als elitär verschrienen Republikanern eine Arbeiterpartei zu machen. Dabei begann seine Karriere 2012 ausgerechnet als Berater jenes Mannes, der die Personifizierung der alten republikanischen Partei schlechthin ist: Mitt Romney. Der Präsidentschaftskandidat hatte einst die Investmentfirma Bain Capital gegründet, für die auch Cass arbeitete. In Romneys Wahlkampf gegen Barack Obama gehörten zum Leitbild konservativer Politik noch eine Beschränkung des Staates, Freihandel, unbegrenzter Kapitalismus.
Scheren sich die Republikaner nicht um Arbeiter?
Romney verlor seine Wahl, auch weil er die Arbeiterklasse verlor. 64 Prozent der Amerikaner ohne Highschool-Abschluss und 63 Prozent der Personen mit einem Einkommen unter 30.000 Dollar im Jahr stimmten für Obama. Von Romney blieb der Satz in Erinnerung, 47 Prozent der Amerikaner sähen sich als Opfer, seien abhängig vom Staat und für die Republikaner als Wähler ohnehin verloren.
Cass ließ das Ergebnis – und der öffentliche Eindruck, die Republikaner interessierten sich nicht für die Armen – nicht los. Er ging zum rechten Manhattan Institute und begann von dort aus die Arbeit an einer Neuerfindung des republikanischen Programms. Als der damalige Senator Marco Rubio 2014 eine Reform zur Bekämpfung der Armut in den Vereinigten Staaten vorschlug, verwies er ausdrücklich auf Cass als Ideengeber.
2018 erschien Cass’ Buch „The Once and Future Worker“, das sich wie ein Manifest für die wirtschaftspolitische Neuerfindung der republikanischen Partei unter Donald Trump liest. Es ist ein grundsätzlicher Bruch mit dem Wirtschaftsliberalismus der amerikanischen Nachkriegsordnung: für starke Gewerkschaften, gegen Steuersenkungen für Reiche, für staatliche Lohnsubventionen. „Seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts“ sei die amerikanische Politik „dem Wirtschaftswachstum nachgejagt, in der Erwartung, dass die Vorteile mit der breiten Bevölkerung geteilt würden“, schreibt Cass
Aber während das Bruttoinlandsprodukt sich verdreifacht habe, seien die mittleren Arbeiterlöhne kaum gestiegen. Wenn die USA nach Wachstum strebten, aber dabei gute Industriejobs opferten, könnten sie „für eine Weile beeindruckende Statistiken produzieren“, so Cass weiter. „Aber wir werden nicht den Wohlstand erzeugen, den wir wollen.“ Cass forderte deshalb eine Umorientierung, weg von bestmöglichen Ergebnissen für Verbraucher hin zu ebensolchen für Arbeiter.
Begeisterung von J. D. Vance
Dafür gab es Kritik aus libertären Kreisen, die dahinter ein Rezept für Kartellbildung und höhere Preise witterten, aber auch einiges Lob. Das Buch sei ein „Weckruf für die politische Klasse und für das ganze Land“, und „eines der wichtigsten, die ich je gelesen habe“, schrieb damals ein gewisser J. D. Vance. Der war gerade bekannt geworden mit seinen Memoiren über eine Kindheit in den Appalachen, einer jener abgehängten Gegenden Amerikas, für die Cass sich nun stark machte.
Als Cass im Jahr 2020 die Organisation American Compass als neue Stimme der Marktskepsis im konservativen Milieu gründete, fühlte sich die „Washington Post“ schon zu Vergleichen mit Martin Luther verleitet. Was Cass da lostrete, so die Zeitung, könne der Anfang einer ähnlichen Umwälzung werden, wie es der Anschlag der 95 Thesen an der Kirche von Wittenberg war.
Wie sehr sich die Republikaner schon in Cass’ Sinne gewandelt haben, zeigte ihr Wahlsieg im November. Trump gewann 62 Prozent der Amerikaner ohne Highschool-Abschluss, ein Spiegelbild des Ergebnisses von Romney.
Spätestens seit die beiden Cass-Fans Vance und Rubio als Vizepräsident und Außenminister an Trumps Kabinettstisch sitzen, dürften dessen Argumente im Weißen Haus noch mehr Gehör finden. Schon an der politischen Initiative Project 2025, die vor der Wahl einen Masterplan für die radikale Umkrempelung des Landes unter einer neuen Trump-Regierung entwickelte, wirkte Cass mit.
Auf der Suche nach amerikanischen Interessen
Am lautesten wirbt Cass derweil für ein Instrument, das er in seinem Buch 2018 noch skeptisch beurteilte: Zölle. Höhere Einfuhrabgaben, schrieb er im Oktober, seien Trumps am meisten missverstandener Vorschlag. Eine Firma, die ihr Werk in Ohio schließe, um eines in China zu eröffnen, habe verständlicherweise ihre eigene Profitmaximierung im Sinn, aber nicht die Interessen Amerikas.
Ein Dorn im Auge ist Cass das Handelsdefizit der USA, das im Güterhandel knapp eine Billion Dollar beträgt. Die Schuld daran sieht er in einem naiven Umgang mit anderen Ländern, die mit Subventionen statt mit fairem Wettbewerb die Abwanderung der Industrie aus Amerika befeuert hätten.
Zölle, so Cass, bereinigten das, was Ökonomen eine Externalität nennen: ein Schaden, der nicht in den Marktpreisen reflektiert wird, so wie auch Umweltverschmutzung. Eine heimische Industrie sei wichtig für die nationale Sicherheit, für die Verteidigungsfähigkeit ebenso wie für die Resilienz der Lieferketten. Und eine starke Industrie erzeuge erst neue Ideen und damit die Produktivitätssteigerungen, die für Wirtschaftswachstum essenziell sind. „Als Apple seinen Mac Pro in Texas bauen wollte“, schreibt Cass im „Atlantic“, „scheiterte das Projekt an einem Mangel an Schrauben.“
Ökonomen seien bei Zöllen zu fokussiert auf die kurze Frist, in der vielleicht die Inflation steige. Langfristig stärke mehr Protektionismus aber die Industriebasis. Gern verweist Cass auf die Gründungsjahre der Vereinigten Staaten und auf das enorme Wirtschaftswachstum in Ostasien im 20. Jahrhundert. In beiden Fällen hätten erst Zölle den nötigen Raum für den Aufbau einer Industrie geschaffen.
Unter Ökonomen stoßen Cass’ Argumente auf scharfe Kritik. „In Diskussionen über Politik gibt es eine grundsätzliche Zweiteilung zwischen denen, die versuchen, sich auf Beweise zu stützen. Und denen, die sich einfach irgendeinen Quatsch ausdenken“, sagt der Ökonom und Leiter des Peterson Institute for International Economics in Washington, Adam Posen. Cass verbreite „Propaganda“, die „konträr zum ökonomischen Mainstream sowohl in ihren empirischen Falschbehauptungen als auch in ihrer logischen Inkohärenz“ sei. Er behaupte „Dinge, die nachgewiesen unwahr sind. Auch wenn er einflussreich ist, ist das eine Schande und sollte so benannt werden.“ So hatte Cass etwa in einer Analyse impliziert, dass das Einkommen amerikanischer Männer relativ zu den Lebenskosten im Mittel um 36 Prozent gefallen sei. Andere Berechnungen zeigten aber dem rechten „American Enterprise Institute“ zufolge einen Anstieg um 35 Prozent nach Steuern.
Es gäbe bessere Werkzeuge, sagen Ökonomen
„Sehr irreführend“ seien Cass’ Argumente in der Handelspolitik, sagt der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, Maurice Obstfeld. Sie beruhten auf „elementaren Logikfehlern, einer verzerrten Wahrnehmung der Realität, oder Täuschung.“ Obstfeld weist in einem gemeinsam mit der Ökonomin Kimberly Clausing verfassten Aufsatz darauf hin, dass die Kosten umfassender Zölle hoch wären, sei es in Form von hoher Inflation oder einer Schwächung der Produktivität von Unternehmen, deren Vorprodukte mit Zöllen belegt werden. Als Trump 2018 Zölle in viel kleinerem Umfang erhob als nun vorgesehen, stiegen die Preise für Endkunden um den vollen Betrag des Zolls. Die Inflation zog an, die Zentralbank musste mit Zinserhöhungen gegensteuern. Und die amerikanische Industrie wurde geschwächt, nicht gestärkt.
Um Cass’ Ziele zu erreichen, gebe es bessere, günstigere Werkzeuge, schreiben Clausing und Obstfeld, von Subventionen und Steueranreizen für Investitionen bis zur Stärkung öffentlicher Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Die historischen Beispiele, mit denen Cass seinen Protektionismus begründet, seien Agrargesellschaften mit einem großen Pool an freier landwirtschaftlicher Arbeitskraft gewesen, die effizienter genutzt werden konnte – zumal die tatsächliche Wirkung der Zölle selbst damals unklar sei. Heute hingegen herrscht in Amerika weitgehend Vollbeschäftigung.
Überhaupt, so Obstfeld, sei es ein Missverständnis, dass das von Trump und Cass oft beklagte Handelsdefizit der USA die Ursache für Deindustrialisierung oder langsames Wachstum sei. Schließlich wachse Amerikas Wirtschaft stärker als jene von Ländern mit großem Handelsüberschuss wie Deutschland. Vielmehr seien Handelsdefizit und Stellenabbau in der Industrie zwei Symptome mit denselben vielfältigen Ursachen, von denen längst nicht alle bei den bösen Ausländern zu finden seien. Dazu zählten die niedrige Sparrate der Amerikaner, aber auch eine höhere Nachfrage in nicht handelbaren Sektoren. Dann würden sich Ressourcen in diese Sektoren verschieben, um die Nachfrage zu decken, die Importe würden an anderer Stelle zunehmen – und die Amerikaner seien als Resultat besser dran.
Kritik an Steuererhöhungen
Der Ökonom David Autor, der mit seiner Forschung zum „China-Schock“ gezeigt hat, wie stark die Auswirkungen der Globalisierung auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt waren, spricht über Cass’ Ziele noch einigermaßen wohlwollend. Dann aber sagt auch er: „Nimmt man Orens Ziele als gegeben, sind die Trump-Zölle eine furchtbare Politik“, weil sie nicht nur Importe teurer machen, sondern auch Exporte erschweren. Denn knappe Arbeitskraft und Kapital müssten dann aus der Exportbranche in Sektoren abfließen, in denen bisher importiert wurde. Trump ficht das freilich nicht an. Er wird wohl weiter seinen protektionistischen Kurs fahren, ganz im Sinne von Oren Cass’.
Nicht alles, was der Präsident macht, stößt derweil bei Cass auf Gefallen. So denkt man im Weißen Haus über eine Verlängerung der in Trumps erster Amtszeit verabschiedeten Steuersenkungen für Reiche nach. Das, warnte Cass neulich in der „New York Times“, sei genau die Art von „Nischenanliegen“, der die Republikaner früher hinterhergelaufen seien und die nun Trumps Projekt zum „Entgleisen“ bringen könne. Man kann es als Zeichen dafür werten, dass die alte republikanische Partei noch nicht ganz tot ist.