Die Skepsis kommt von ganz oben. Gerade erst hat CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz die Schuldenbremse lockern lassen, um die Bundeswehr in Zukunft dauerhaft großzügig auszustatten – frei nach dem Motto: „Whatever it takes“. Da mahnte er auch gleich zur Vorsicht: „Wir können nicht alle Probleme mit Geld lösen“, sagte er zuletzt auf dem F.A.Z.-Kongress. „Wir brauchen eine komplett andere Bundeswehr, und nur dafür darf das Geld ausgegeben werden.“ Ändern müssten sich unter anderem die Methodik der Beschaffung und das Planungswesen.
Der Angriff dürfte sich auch gegen das Beschaffungsamt der Bundeswehr richten, das schon seit Jahren in der Kritik steht für ineffiziente Abläufe und endlose Prüfschleifen. Dessen Präsidentin schlägt jetzt zurück: Am Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, wie es offiziell heißt, werde es nicht scheitern.
Die Koblenzer Behörde kann nach den Worten ihrer Präsidentin Annette Lehnigk-Emden „mit der zu erwartenden Auftragsflut umgehen“. Das Amt habe in der Vergangenheit bewiesen, dass es schnell und flexibel auf die Forderungen der Zeitenwende reagieren könne, und das „mit sehr guten und messbaren Ergebnissen“, schreibt sie auf Anfrage der F.A.Z.
Bitte keine Endlos-Rechtsstreitigkeiten mehr!
Messlatte ist das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro, das Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Februar 2022 mithilfe einer Zweidrittelmehrheit von Bundestag und Bundesrat in das Grundgesetz schreiben ließ. Schon damals wurden Bedenken laut, ob das Beschaffungsamt und das komplizierte deutsche und europäische Vergaberecht die Aufgabe bewältigen könne.
Dann gab es einen Wechsel an der Spitze der Behörde, die Regeln wurden gestrafft, auch die deutschen Rüstungshersteller bekamen klare Ansagen aus dem Verteidigungsministerium: Endlos-Rechtsstreitigkeiten wie die Patentauseinandersetzung um den Ersatz für die Sturmgewehre G 36 von Heckler & Koch müssten ein Ende haben.

Noch immer ist es von außen schwierig, die Abläufe in der Behörde zu bewerten. Aber die neue Präsidentin Lehnigk-Emden verweist auf Erfolge: In der letzten Legislaturperiode habe ihre Behörde gut 180 sogenannte 25-Millionen-Euro-Vorlagen durch das Parlament gebracht – Großaufträge also, denen der Bundestag zustimmen muss – und Verträge mit einem Gesamtvolumen von knapp 150 Milliarden Euro umgesetzt. Das Nadelöhr liege also nicht im Beschaffungsamt.
Auch der Sicherheitsexperte Frank Sauer von der Bundeswehr-Universität in München kritisiert die komplexen Entscheidungsstrukturen. Diese müssten schlanker und schneller werden, sagte der Politikwissenschaftler im F.A.Z. Podcast für Deutschland. Derzeit müssten für die Parlamentsbefassung Hunderte von 25-Millionen-Euro-Vorlagen geschrieben werden – mit einem „massiven Aufwand“. Allerdings müsse sich auch das „Mindset“ verändern, forderte er. Die Mitarbeiter in Koblenz brauchten mehr „Ellbogenfreiheit“ und weniger Regulierung. Sie dürften nicht immer nur grundsätzlich an eins denken, nämlich Rechtssicherheit – und dass unter Umständen irgendwann der Bundesrechnungshof sich an irgendetwas stoßen könne. Deshalb müssten sich auch die Regeln noch weiter ändern.
Kritik auch aus der Industrie
Tatsächlich ist das Koblenzer Amt mit seinen 11.300 Beschäftigten und elf Dienststellen, davon eine in Amerika, die größte technische Behörde in Deutschland. Es steht schon wegen seiner schieren Größe unter dem Verdacht, ineffizient zu sein. Kritik gibt es regelmäßig auch aus der Industrie, wenn Projekte lahmen. Umgekehrt wird auf den Fluren der Koblenzer Behörde immer wieder unverhohlen die Scharmützel der Industrie beklagt. Unterlegene Anbieter würden regelmäßig gegen die Vergabe der Aufträge vorgehen und so den Beschaffungsprozess lähmen. Außerdem sei das Amt nur Teil einer großen Beschaffungskette, es lege weder Bedarfe noch die Finanzierung fest.
Die Aufgaben jedenfalls sind groß: die Behörde kümmert sich nicht nur um Beschaffung, auch um die Wartung, Instandhaltung, Ersatzteile, und Verwertung der alten Wehrtechnik. Die Palette reicht von Zelten über Panzerhaubitzen, den Kampfjet F-35 bis zu Kommunikationssatelliten und Cyberabwehr. Rund 12.000 Beschaffungsverträge hat das Amt im Vorjahr geschlossen, mehr als 2000 Projekte abgearbeitet.
Lehnigk-Emden verweist darauf, dass schon 2024 aus dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen erste Waffensysteme bei der Bundeswehr eingeführt wurden, unter anderem leichte Kampfhubschrauber. Dieser Erfolg sei auch das Resultat von verkürzten internen Prozessen und dem im Sommer 2022 verabschiedeten Gesetz zur Beschleunigung von Beschaffungsmaßnahmen für die Bundeswehr. Nach den neuen Regeln können mehrere „Lose“, also Teilaufträge, unter bestimmten Voraussetzungen zusammen vergeben werden. Außerdem verspricht sich die Politik Erleichterung durch „Markterkundungen“, die explizit nach markt- oder handelsüblichen Produkten sucht. Entwicklungslösungen müssen künftig besonders begründet werden, um die Verfahren transparenter zu machen. Noch in diesem Jahr würden weitere Waffensysteme an die Armee ausgeliefert, darunter Patriot-Lenkflugkörper und den Kampfpanzer Leopard 2, sagt die Behördenchefin und stellt klar: „Unser Amt liefert also!“
Ein 30-Milliarden-Euro-Loch – jährlich
Tatsächlich ist die Einkaufsliste, die mit dem 100-Milliarden Euro-Sondervermögen beglichen wurde, lang. Schon im vergangenen Sommer vermeldete der Haushaltsausschuss, das Geld sei faktisch schon aufgebraucht, jedenfalls bis 2027 verplant. Über mehr als ein Dutzend Seiten zieht sich der Wirtschaftsplan des Sondervermögens Bundeswehr im letzten, vom Parlament beschlossenen Haushalt 2024. Für die Zeit ab 2028, so warnten schon viele, werde jedes Jahr ein 30-Milliarden-Euro-Loch klaffen. Mit den bisher im Haushalt vorgesehenen 52 Milliarden Euro sei das NATO-Ziel von derzeit zwei Prozent der Wirtschaftsleistung nicht zu stemmen, mehr als 88 Milliarden Euro – besser mehr – seien nötig. Dieser Debatte hat Merz noch vor seiner Kanzlerschaft ein Ende bereitet. Nicht nur der Verteidigungsetat auch die Kosten für den Katastrophenschutz sind künftig von der Schuldenbremse ausgenommen, können also durch Kredite finanziert werden.
Die Beschaffungsbehörde orientiert sich heute erklärtermaßen vor allem an Zeit und verfügbarem Angebot. Im Amtsdeutsch heißt das: Der Faktor Zeit sei „handlungsleitend“. Im Lichte der Zeitenwende würden marktverfügbare Lösungen bevorzugt. Bedeutet: Schnell kaufen, was es gibt und nicht langwierig neue Lösungen selbst entwickeln. Klar sei aber auch, sagt Lehnigk-Emden, dass Produkte für die militärische Beschaffung nicht fertig im Regal lägen, sie könnten deshalb „auch nicht morgen auf dem Kasernenhof stehen“.
Für eine schnelle Beschaffung braucht es nach ihren Worten neben finanziellen Mitteln auch einen flexiblen Rechtsrahmen und eine wehrtechnische Industrie, „die ihre Lieferzeiten verkürzen kann“. Und nicht zuletzt die Entscheidungsbereitschaft auf allen Ebenen: „In der Politik, im Verteidigungsministerium bei uns und auch der Industrie“.