Der syrische Präsident Ahmed al-Scharaa hat am Samstagabend eine neue Regierung vorgestellt, die das Land in der Übergangszeit der kommenden fünf Jahre führen soll. Danach sollen laut einer diesen Monat verabschiedeten Verfassungserklärung Wahlen abgehalten werden und eine neue Verfassung in Kraft treten.
„Die heutige Bildung einer neuen Regierung ist eine Erklärung unseres gemeinsamen Willens, einen neuen Staat aufzubauen“, sagte Scharaa. Die neuen Institutionen sollten auf der Grundlage von „Verantwortung und Transparenz“ errichtet werden. Der Machthaber hatte die Geschäfte des Landes bislang mit einer kleinen Mannschaft von Vertrauten geführt.
Die neue Regierung, die 23 Minister umfasst, gilt als Test für die Glaubwürdigkeit Scharaas, der eine inklusivere Führung versprochen hat. Unter Angehörigen von Minderheiten und liberalen Syrern herrscht Misstrauen gegenüber den Islamisten an der Spitze des Staates. Sie fürchten um ihre Rechte.
Schlüsselressorts mit Vertrauten besetzt
Der Druck auf Scharaa, nicht zuletzt aus dem Ausland, hatte zugenommen, nachdem Milizen unter dem Banner der Damaszener Führung Mitte des Monats Hunderte Angehörige der alawitischen Minderheit ermordet hatten – der Bevölkerungsgruppe des im vergangenen Dezember gestürzten Machthabers Baschar al-Assad.
Die Regierung, die der Übergangspräsident jetzt berufen hat, ist tatsächlich breiter aufgestellt. Der Bildungsminister gehört zur kurdischen Minderheit. Der Transportminister ist Alawit, der Landwirtschaftsminister gehört zur Minderheit der Drusen. Für das Ressort für soziale Angelegenheiten und Arbeit berief Scharaa eine christliche Aktivistin, die sich für Frauenrechte und religiöse Toleranz eingesetzt hatte. Sie ist die einzige Frau im Kabinett.
Schlüsselressorts sind indes weiter mit Vertrauten Scharaas besetzt, die aus den Reihen seiner Islamistenallianz „Hay’at Tahrir al-Scham“ (HTS) stammen. Außenminister Asaad al-Schaibani, der als einer der einflussreichsten Männer in der Führung gilt, bleibt im Amt, ebenso Verteidigungsminister Murhaf Abu Qasra. Zum Innenminister berief Scharaa seinen Geheimdienstchef Anas Khattab.
Kritische syrische Beobachter und liberale Oppositionelle mahnen, die neue Regierung sehe auf dem Papier zwar gut aus, es bleibe aber abzuwarten, wie sich die informellen Machtstrukturen in der Zukunft auswirken. Die Übergangsverfassung gibt dem Präsidenten enorm viel Macht, was auch unter westlichen Diplomaten Skepsis hervorgerufen hatte.
Zudem herrscht darüber Sorge, dass Scharaa in Syrien einen tiefen Staat und Parallelstrukturen mit getreuen Seilschaften errichtet. Misstrauen erregte etwa die Einrichtung eines „Generalsekretariats für politische Angelegenheiten“ innerhalb des Außenministeriums. Kritiker zogen Parallelen zum alten System, in dem in den Ministerien immer auch ein Vertreter der Baath-Partei, der alten Staatspartei saß. Das Generalsekretariat sei ein Versuch des Außenministers, mit HTS verbundene Kader zu „formalisieren“ und seiner Führung zu unterstellen, schreibt die Fachpublikation „Syria in Transition“ auf der Plattform X. Es verschaffe Schaibani weitreichenden Einfluss darauf, wie Ministerien und Regierungsstellen geführt werden.