Teststart der deutschen Rakete Spectrum schlägt fehl

8

„Erfolg ist ein sehr weiter Begriff“, sagte Juliana Metzler von der Firma Isar Aerospace. Da waren es noch knapp zwölf Minuten bis zum Teststart des ersten vollständig integrierten Exemplars der „Spectrum“ am Sonntagmittag um 12.30 Uhr vom Andøya Space Center in Norwegen. Mit dieser Rakete will das Start-up aus Ottobrunn bei München Raumfahrtgeschichte schreiben. Als erste allein in Deutschland entwickelte und gebaute Trägerrakete soll die „Spectrum“ auch die erste sein, die von europäischem Boden aus eine Erdumlaufbahn erreicht.

So weit kam die „Spectrum“ an diesem 30. März dann aber noch nicht. Immerhin hob sie vorbildlich von ihrer ebenfalls nagelneuen Startrampe vor der verschneiten Felsküste der Insel Andøya vor der Küste Nordnorwegens ab. Doch bereits 18 Sekunden später begann sie sich immer bedenklicher zur Seite zu neigen, im nächsten Moment stand sie kopf und fiel durch den unteren Bildrand der Liveübertragung, die spontan auf Bergpanorama umschaltete. Eine weitere Sekunde später war nur ein gewaltiger Knall zu hören.

„Die Trägerrakete wurde etwa 30 Sekunden nach dem Start terminiert, und die Rakete fiel ins Meer“, erklärte Isar Aerospace gegen 14 Uhr auf der Website des Unternehmens. „Die Startrampe scheint intakt zu sein. Mit diesem Testflug konnten wir erfolgreich wertvolle Daten für zukünftige Missionen sammeln. Dank der strengen Sicherheitsvorkehrungen sowohl bei Isar Aerospace als auch am Andøya Spaceport war alles Personal zu jedem Zeitpunkt in Sicherheit.“

Immerhin kam die Rakete von der Rampe

„Überhaupt auf der Startrampe zu stehen ist schon ein enormer Erfolg“, hatte Juliana Metzler zuvor erklärt. Und das offenbar saubere Abheben bei sonnigem Wetter – nachdem der Test mehrfach wegen zu starker Winde hatte verschoben werden müssen – ist ebenfalls mehr, als womit Konstrukteure einer völlig neuen Rakete rechnen können. Nicht wenige Jungfernflüge endeten schon mit einer Explosion auf der Rampe. Auch war die aus Kohlefaser gefertigte Rakete bei ihrem ungeplanten Salto nicht gleich zerbrochen.

Was genau schiefgegangen ist, das wird erst die Auswertung aller übertragenen Daten ergeben. „Wir hatten ein sauberes Abheben und 30 Sekunden Flug“, zitiert die Firmenwebsite Daniel Metzler, den CEO und Mitgründer von Isar Aerospace. „Und wir konnten sogar unser Selbstzerstörungssystem validieren.“ Zwei weitere Raketen für neue Teststarts seien bereits in Fertigung, erklärte die Firma. Diese Tests dürften allerdings frühestens im Sommer stattfinden.

Eine Nutzlast ging durch den Start nicht verloren. Die „Spectrum“ war mit leerem Frachtraum gestartet. Die 28 Meter hohe Rakete besteht aus zwei Stufen und ist dafür ausgelegt, bis zu einer Tonne Nutzlast in eine niedrige Erdumlaufbahn zu bringen. Zum Vergleich: Die neue Ariane 6 ist je nach Ausführung mit zwei oder vier Hilfstriebwerken 56 oder 62 Meter hoch und schafft bis zu 10,9 respektive 21,9 Tonnen ins erdnahe All.

Vom Vorteil, mit Propan ins All zu fliegen

Eine Besonderheit der „Spectrum“ sind nicht zuletzt ihre insgesamt zehn „Aquila“-Triebwerke – neun für die Unterstufe, ein weiteres in der Oberstufe, das für den Betrieb außerhalb der Atmosphäre optimiert ist. Die in 3D-Druck-Verfahren gefertigten Brennkammern werden, wie bei anderen Orbitalraketen, mit flüssigem Sauerstoff als Oxidator beschickt. Doch der verbrennt dort nicht Wasserstoff (wie die Ariane 6) oder das Spezialkerosin RP-1 (wie die Falcon 9) oder aber Methan (wie das Spaceship), sondern vielmehr Propan, also das Gas, mit dem Campingkocher betrieben werden.

Propan ist etwas teurer als Methan, hat aber gegenüber diesem einige entscheidende Vorteile: Einmal ist es leichter zu verflüssigen und zu transportieren. Zum Zweiten ermöglicht die Kombination mit flüssigem Sauerstoff, mehr Energie in ein vorgegebenes Volumen zu packen. Das liegt an dem etwas niedrigeren Schmelzpunkt des Propans, was erlaubt, es weiter herunterzukühlen. Drittens ist Propan schon bei Temperaturen flüssig, bei denen Sauerstoff noch nicht verdampft. Damit lassen sich Raketen mit diesen beiden Flüssiggasen besonders verlustarm betanken.

Isar Arerospace wurde 2018 von Absolventen der Technischen Universität München gegründet, hat heute rund 400 Mitarbeiter und gilt als das finanziell am besten aufgestellte europäische Start-up der Raumfahrtbranche. Dank Geldgebern, zu denen etwa Airbus Ventures und die Porsche Holding gehören, hat das Unternehmen 400 Millionen Euro im Rücken. Und schon vor dem ersten Testflug sind die Auftragsbücher bis 2027 gefüllt. Am Standort Ottobrunn bei München bestehen Fertigungskapazitäten für bis zu zehn Raketen im Jahr. Eine neue Fabrik im 20 Kilometer entfernten Vaterstetten ist allerdings schon im Aufbau. Dort würde sich die jährliche Stückzahl auf bis zu vierzig Exemplare steigern lassen.

Tatsächlich besteht für kleine Nutzlasten, wie „Spectrum“ sie transportieren soll, eine nicht geringe Nachfrage. Zahlreiche junge Raumfahrtfirmen arbeiten an entsprechenden Trägerraketen. In Deutschland sind das neben Isar Aerospace auch die Firma HyImpulse aus der Nähe von Heilbronn und die Rocket Factory Augsburg (RFA). Die Augsburger haben vor, ihre RFA One noch in diesem Jahr in Französisch-Guayana abheben zu lassen. Mit Sauerstoff und RP-1 in den Tanks ist sie vergleichsweise konventionell angetrieben. HyImpulse dagegen, dessen Orbitalrakete SL1 ihren ersten Testflug frühestens 2026 absolvieren wird, möchte etwas ganz anderes ausprobieren: In den Triebwerken der SL1 verbrennt flüssiger Sauerstoff den Feststoff Paraffin. Statt mit Campinggas wie die „Spectrum“ fliegt diese Rakete also quasi mit Kerzenwachs.