Putin, Trump und Deutschlands Abschreckung: ”Die Gefahr ist riesengroß”

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Von Manstein war militärisch anderer Meinung als Hitler, in seinen Befehlsbereichen exekutierte der Offizier den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion.

Die Wehrmacht hat sich zutiefst schuldig gemacht, so an der bestialischen Ermordung von Juden und Sinti und Roma. Aber auch ein anderes Verbrechen geht auf ihr Konto: Die Wehrmachtsführung hatte keinerlei Vorsorge für eine menschenwürdige Unterbringung von vielen Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen nach dem deutschen Überall auf die Sowjetunion 1941 getroffen. Die Wehrmacht hat sie stattdessen elendig verhungern und krepieren lassen. Von den 5,7 Millionen Rotarmisten, die in deutsche Kriegsgefangenschaft gegangen waren, sind bis Kriegsende 3,3 Millionen umgekommen. So viel zu diesem Unsinn von der “sauberen” Wehrmacht, der noch so lange kursierte.

1945 haben die Alliierten Deutschland dann die Machtmittel genommen, die sie ihm 1918 gelassen hatten: Das Deutsche Reich und das deutsche Militär existierten nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai nicht mehr.

Das war der größte Bruch in der gesamten deutschen Militärgeschichte überhaupt: Es gab schlicht kein deutsches Militär mehr. Es sollte nach 1945 dann auch rund zehn Jahre dauern, bis Deutsche wieder Soldatenuniform trugen, ausgelöst durch den Ost-West-Konflikt. Und selbst nach der Wiederbewaffnung sind keine deutsche Regierung und kein deutsches Militär mehr in der Lage gewesen, eigenständig Krieg zu führen. Deutsches Militär war fest in die jeweiligen Bündnissysteme integriert, die von den Supermächten dominiert wurden.

Das in Bundesrepublik und DDR geteilte Deutschland wurde dann zum am stärksten militarisierten Land der Welt.

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DDR-Grenztruppen 1978: Die DDR war ein hochgradig militarisierter Staat. (Quelle: Zentralbild/ullstein-bild)

Das galt zumindest für die DDR. Dabei war die NVA der DDR zunächst militärisch inkompetent. Sie war eine Hilfstruppe der sowjetischen Streitkräfte, dazu kursierte die absurde Idee, dass auch Generäle und Admiräle einen Monat im Jahr als einfache Arbeiter an der Werkbank stehen sollte. Der Professionalität tat das keinen Dienst. Später hat sich das geändert, aber darüber haben wir ja schon früher gesprochen. Beim Bezug von Waffensystemen waren DDR und NVA übrigens bis zum Ende von der Sowjetunion abhängig. Das ist ein Unterschied zu Westdeutschland.

Dort musste Konrad Adenauer Wiederbewaffnung und Westbindung gegen allerlei Widerstände durchsetzen.

Die Möglichkeit dazu eröffnete der Koreakrieg, der insbesondere die USA zu der Ansicht brachte, dass es ohne einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag nicht ginge. Es bestand bei den konventionellen Streitkräften eine enorme Diskrepanz zwischen Ost und West. Angesichts dieser Erfordernisse bekam man von US-General Dwight D. Eisenhower sogar eine “Ehrenerklärung” für die Wehrmacht, obwohl Eisenhower sehr gut wusste, wie schuldig diese Leute gewesen sind.

Im Unterschied zur DDR entwickelte die Bundesrepublik dann erneut eine Rüstungsindustrie.

Ja. Zunächst erhielt die Bundeswehr nach ihrer Gründung amerikanische Waffen, später kamen eigene Entwicklungen dazu. Der erste Leopard aus den Sechzigerjahren ist ein Beispiel, der Leopard 2 ist heute durch den russischen Krieg gegen die Ukraine wieder sehr bekannt.

Als “wahrscheinlich beste Wehrpflichtarmee der Nato” erhielt die Bundeswehr 1976 Lob von einem britischen Militärattaché. Stimmt das?

In den ersten Jahren wurde die Bundeswehr durch Skandale und verfehlte Planungen geschwächt. Seit den 1970er-Jahren wurde die Truppe aber effizienter verwaltet, gut ausgerüstet und erheblich aufgerüstet. Ihr Beitrag zur Bündnisverteidigung war dann einer der Gründe, warum der Warschauer Pakt zusammenbrach, denn spätestens nach 1980 verlor das sowjetische geführte Bündnis seine konventionelle Überlegenheit. Gleichzeitig sank in der NVA allmählich die Moral von Offizieren und Soldaten.

Gerade die Offiziere wollten nicht mehr ihren Kopf hinhalten, das war ein Mitgrund für den Zusammenbruch der DDR. Eigentlich war die NVA hochideologisiert, aber Erich Honecker und die SED-Führung wollten den Offizieren die Bezüge zusammenstreichen und Entlassungen vornehmen. Manche Soldaten mussten auch zum Teil unter lebensgefährlichen Bedingungen in Bergwerken und dergleichen arbeiten, weil es in der DDR nicht genug Arbeitskräfte gab. Kurzum, die Loyalität zum Regime brach zusammen, deswegen konnte sich die DDR-Führung ihrer Armee auch nicht sicher sein, als die Demonstranten im Herbst 1989 auf der Straße standen.

Helmut Kohl 198 in einem Panzer: Nach der Wiedervereinigung 1990 wurde die Bundeswehr massiv zusammengespart.Vergrößern des Bildes
Helmut Kohl 1988 in einem Panzer: Nach der Wiedervereinigung 1990 wurde die Bundeswehr massiv zusammengespart. (Quelle: Thomas Wattenberg/dpa)

Wladimir Putin erlebte eine solche Demonstration in der KGB-Villa in Dresden.

Das hat ihm sicher überhaupt nicht gefallen. Denn weder sowjetische Truppen noch DDR-Soldaten erschienen, sondern blieben in ihren Kasernen.

Nun wurde allerdings die Bundeswehr nach 1990 auch verkleinert und abgerüstet, langfristig wurde sie von der Politik vorrangig für Unterstützungs- und Auslandseinsätze vorgesehen.

Auch das geschah eher halbherzig. Die Friedensdividende ging auf Kosten der Entwicklung der Bundeswehr, die Wiedervereinigung war teuer und musste irgendwie finanziert werden. Wir dürfen auch die sogenannte Weizsäcker-Kommission nicht vergessen, die im Mai 2000 ihren Bericht über die Bundeswehr vorlegte. Feststellung war, dass die Bundeswehr zu groß, teilweise veraltet und obendrein falsch ausgerichtet sei. Eine der Folgen bestand darin, dass die Bundeswehr sich mehr an die Privatwirtschaft hängen sollte: Die Bundeswehr wartete ihre Fahrzeuge nicht mehr selbst, sondern Privatfirmen erledigten das. Das war ein großes Problem für die Bundeswehr, eine Armee, die ihre eigenen Fahrzeuge nicht mehr wartet und repariert. Und wenn das mal das einzige gewesen wäre …

Was kritisieren Sie noch?

Die Bürokratie ist außer Kontrolle geraten, auch für die Bundeswehr. Daran leidet sie bis heute. Nehmen wir Afghanistan, da wurde peinlich darauf geachtet, dass der Müll getrennt und die Straßenverkehrsordnung eingehalten wurde. Nichts gegen Umweltschutz, aber das ist doch völlig absurd. Da nimmt es kaum Wunder, dass die Bundeswehr auch solche Rekrutierungsprobleme nach der Aussetzung der Wehrpflicht hatte und hat.

Die Debatte über eine Reaktivierung der Wehrpflicht ist im Gange. Was denken Sie?

Wir haben für eine vollumfängliche Reaktivierung der Wehrpflicht gar nicht die Kapazitäten. Dafür braucht es Kasernen, die sind entweder dichtgemacht oder desolat. Neue Standorte müssten gebaut werden, das wird viele, viele Milliarden kosten. Eine Berufsarmee hat ebenso ihre Probleme: Wie will die Politik die Leute denn locken? Bislang habe ich da keine überzeugenden Argumente gehört.

Die Zeit drängt. Zahlreiche Experten sind sich einig, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Russland unter Wladimir Putin den Zusammenhalt der Nato testen wird.

Die Gefahr ist riesengroß. Wer das nicht erkannt hat, dem ist nicht mehr zu helfen. Niemand hierzulande hat ein Interesse, dass sich dieser Krieg über die Grenzen der Ukraine hin ausweitet. Erst recht nicht in Zeiten, in denen Donald Trump die transatlantische Partnerschaft demontiert.

Nun ist die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben gelockert worden. Gibt Ihnen das etwas Zuversicht?

Deutschland und Europa müssen ein Abschreckungspotenzial aufbauen. Das ist die einzige Sprache, die Putin versteht. Das ist auch das Einzige, was Trump beeindruckt. Wenn nun die USA als verlässlicher Bündnispartner ausfallen, bedeutet das im Endeffekt auch, dass man dort keine Waffen mehr kaufen kann und darf. Wir müssen unsere Waffen also selbst herstellen, die F-35 kann Trump dann behalten.

Glauben Sie, dass Deutschland und Europa nun die Kehrtwende schaffen und in Sachen Sicherheits- und Verteidigungspolitik glaubhaft selbstständig werden?

Das bleibt zu hoffen. Es gab so viele Warnschüsse von Putin, es ist kaum zu fassen. Als Russland 2014 mit seinen “Grünen Männchen” die Krim besetzte, sagte der britische Premier David Cameron den Besuch der Paralympics im russischen Sotschi ab, die Amerikaner entsandten eine einsame Fregatte ins Schwarze Meer und Angela Merkel verkündete, dass Russland kein verlässlicher Partner mehr sei. Da konnte sich Putin doch nur ermutigt fühlen.

Zumal bald das Pipelineprojekt Nord Stream 2 trotz allem angeblichen Misstrauen gegenüber Russland startete.

So ist es. Wir brauchen nun politischen Willen und wir brauchen eine Strategie. Was soll Putin denn noch machen, bis das kapiert wird? Eine Erhöhung der Mütterrente, eine gesenkte Umsatzsteuer für die Gastronomie sind ja schön und gut. Nur geht es inzwischen um alles.

Professor Förster, vielen Dank für das Gespräch.