Hier sind die Koalitionspartner in spe sich einig: Deutschlands Sicherheit sei bedroht wie seit Jahrzehnten nicht. So steht es im Papier der Arbeitsgruppe zur Verteidigung. CDU, CSU und SPD seien daher „entschlossen, alle außen- und sicherheitspolitischen Instrumente zu stärken und umfassend einzusetzen“, um Deutschland und Europa zu schützen und zu verteidigen.
Entschlossen? Alle? Hinter dem Punkt „Wiedereinführung der Wehrpflicht / Neuer Wehrdienst“ prangt der Vermerk „Nicht geeint“. Während die Unionsparteien die seit 2011 ausgesetzte Wehrpflicht reaktivieren wollen, fordert die SPD, dass der neue Wehrdienst, wie im vergangenen Jahr von Verteidigungsminister Pistorius vorgeschlagen, freiwillig bleibt.
Der Bundeswehr, die trotz der 100 Milliarden in vielen Bereichen nach wie vor nicht „kriegstüchtig“ ist, fehlen nicht nur Waffen und Munition, sondern auch Soldaten. Bei den Offizieren ist jeder fünfte Dienstposten nicht besetzt, bei den Mannschaften jeder vierte. Die Truppe kommt dem Ziel von gut 200.000 aktiven Soldaten kaum näher, das erst 2031 erreicht werden soll. Mit allen Reservisten kämen die Streitkräfte auf 360.000 Soldaten. Das sind nach Aussagen des Generalinspekteurs Breuer 100.000 Soldaten zu wenig, die Deutschland stellen können müsste, um sich und seine Verbündeten zu verteidigen.
Der Pistorius-Plan: Wer nicht einrücken will, muss es auch nicht
Der Pistorius-Plan sieht vor, dass alle Männer und Frauen, die ins wehrdienstfähige Alter kommen, schriftlich nach ihrer Fitness und Motivation befragt werden. Die Männer müssen antworten, die Frauen nicht. Ein Teil der Männer, die den Fragebogen ausgefüllt haben, wird aufgefordert, sich mustern zu lassen. Frauen könnten sich freiwillig untersuchen lassen. Wer nicht einrücken will, kann auch danach zu Hause bleiben. Anfangs wird pro Jahr mit 5000 zusätzlichen Soldaten gerechnet.
Dieses Modell würde Probleme umschiffen, die als Argumente gegen die Wiedereinführung der „alten“ Wehrpflicht ins Feld geführt werden. Tatsächlich müssten für die erst wieder Kasernen ausgebaut und Ausbilder abkommandiert werden. Dass wie bis 2011 nur Männer eingezogen würden, gilt nicht mehr als „zeitgemäß“. Um die Wehrpflicht auch auf Frauen ausweiten zu können, wäre jedoch eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit nötig, die es im neuen Bundestag ohne die AfD oder die Linkspartei nicht gäbe. Das Thema Wehrgerechtigkeit, das bei der Aussetzung der Wehrpflicht eine so große Rolle spielte wie die Streichorgien im Verteidigungshaushalt, würde anders als die Geldfrage noch einer Lösung harren.
Braucht man überhaupt noch Grenadiere und Panzerfahrer?
Würden viele junge Menschen eingezogen, dann vergrößerte das die Arbeitskräfteknappheit, über die die Wirtschaft schon jetzt klagt. Und braucht eine Armee überhaupt noch Grenadiere und Panzerfahrer, wenn der moderne Krieg, wie schon in der Ukraine zu sehen, doch eher von der KI, mit Drohnen und im Cyberspace geführt wird?
In der Ukraine kämpfen immer noch Menschen in den Schützengräben und Häuserruinen gegeneinander. Sie können noch nicht durch Roboter ersetzt werden. Die Soldaten sind für die Ukraine im Kampf um ihre Existenz die kostbarste Ressource, weil sie endlich ist. Putin kann mehr Soldaten „verheizen“, was er rücksichtslos tut. Für ihn zählen auch russische Menschenleben nichts, nur eroberte Quadratkilometer.
Auch die Annahme, dass eine kriegerische Auseinandersetzung mit Russland nicht von langer Dauer sein werde, muss mit Blick auf den Ukrainekrieg hinterfragt werden. Deutschland braucht eine Armee, die im Kriegsfall schnell aufwachsen und einen Krieg lange durchhalten könnte. Dafür ist eine viel größere Reserve nötig, als die Bundeswehr sie hat. Um einen Aggressor abzuschrecken, muss man ihm aber nicht nur die Fähigkeit zur wirksamen und dauerhaften Verteidigung vorführen, sondern auch den Willen dazu.
Wille zur Wehrhaftigkeit nicht sehr ausgeprägt
Der ist in Deutschland, das zeigen Umfragen, nicht sonderlich ausgeprägt. Schuld daran tragen nicht nur, aber auch die Politiker, die den Bürgern den Eindruck vermittelten, es gebe wie für die Pflege der öffentlichen Grünflächen auch für die Wahrung der äußeren Sicherheit einen Dienstleister, der allenfalls in fernen Gegenden tätig werden müsse, weil in Europa der ewige Frieden ausgebrochen sei.
Der war freilich nur eine Illusion – der immer noch viele nachtrauern, auch in der SPD. Die „Zeitenwende“ ist noch nicht in allen Köpfen angekommen. Die Reaktivierung der Wehrpflicht würde den Deutschen zeigen, dass es wirklich ernst ist. Putin sähe, dass er es mit einem wehrhaften Volk zu tun bekäme, das wie das ukrainische bereit wäre, für seine Freiheit zu kämpfen. Die Zeiten, in denen die Deutschen mit „freundlichem Desinteresse“ (Horst Köhler) auf die Bundeswehr blicken konnten, sind vorbei. Die Verteidigung Deutschlands muss wieder ins Zentrum des politischen und gesellschaftlichen Interesses rücken. Dafür sorgt nichts so sicher wie die Wehrpflicht.