Nach dem Schuldspruch ruft Marine Le Pen ihre Anhänger zum Kampf auf. Zum Kampf gegen einen Rechtstaat, dessen Richter vorgeblich „politische Entscheidungen“ treffen, wie die Rechtspopulistin in den Hauptabendnachrichten im Privatsender TF1 behauptet. Gut acht Stunden nach der Urteilsverkündung wendet sich die 56-jährige Politikerin im Fernsehen mit Worten an ihre Wähler, die an Donald Trumps „kämpft, kämpft, kämpft“-Ruf nach dem Attentat auf ihn erinnern. Auch ohne blutverschmiertes Ohr erweckt Le Pen im makellosen blauen Blazer den Eindruck, als habe man ihr nach dem (politischen) Leben getrachtet. Die Richter hätten „Praktiken eingeführt, von denen man dachte, sie seien autoritären Regimen vorbehalten“, sagt sie.
Eine rein politisch motivierte Entscheidung, sagt Le Pen
Der Verlust des passiven Wahlrechts mit sofortiger Wirkung ist in ihren Augen eine rein politische Aktion der Richter. Sie versteigt sich sogar in die Behauptung, die Vorsitzende Richterin habe erklärt, sie wolle nicht, dass Le Pen 2027 für das höchste Staatsamt kandidieren könne. Dabei hatte Richterin Bénédicte de Perthuis die sofortige Verhängung der Unwählbarkeit damit begründet, dass Le Pen sich uneinsichtig zeigte und die Veruntreuung von mehr als vier Millionen Euro des EU-Parlaments leugnete. Das Risiko von Wiederholungstaten sei groß, da Le Pen keinerlei Bewusstsein für den verantwortungslosen Umgang mit dem EU-Steuergeld gezeigt habe.

Le Pen hatte ein von ihrem Vater aufgebautes System ausgeweitet, das dazu führte, dass Parteimitarbeiter über Scheinarbeitsverträge mit dem EU-Parlament entlohnt wurden, ohne dort Arbeit geleistet zu haben. Im Fernsehen erweckte Le Pen den Eindruck, als wolle sie ungeachtet der Verurteilung bei den Präsidentenwahlen im Frühjahr 2027 antreten. Sie bezeichnete den RN-Parteivorsitzenden Jordan Bardella als „Trumpf“, den sie nicht zu früh einsetzen wolle. Zugleich bekräftigte sie ihre Verachtung für das Justizwesen ihres Landes. Sie habe keinerlei Vertrauen in das Berufungsverfahren, sagte die ausgebildete Juristin. Sie fühle sich wie Millionen von Franzosen: „Ich bin aufgebracht“. Ihr Anwalt hat angekündigt, Berufung einlegen zu wollen. Im Falle eines Freispruchs im Berufungsprozess kann auch die Unwählbarkeitsstrafe aufgehoben werden. Aber es gilt als sehr unwahrscheinlich, dass ein Berufungsverfahren binnen weniger als zwei Jahren und damit rechtzeitig vor dem Präsidentschaftswahlkampf beendet wird.
Der 31. März sei „ein verhängnisvoller Tag für unsere Demokratie und für unser Land“, meinte Le Pen. Millionen Franzosen seien ihrer Kandidatin beraubt worden. Dem Moderator fiel es sichtlich schwer, Le Pen an die Urteilsbegründung zu erinnern. Er verstehe den Sachverhalt nicht, fuhr ihn die Rechtspopulistin an und wiederholte, dass das Gericht „die Rechtsprechung verletzt“ habe. Le Pen fühlt sich in ihrer Kritik am Justizsystem offensichtlich bestätigt von Solidaritätsbekundungen aus Amerika und aus Russland.
Elon Musk stärkt Le Pen den Rücken
Der Milliardär Elon Musk kommentierte: „Wenn die radikale Linke nicht in einer demokratischen Wahl gewinnen kann, dann missbraucht sie ihr Rechtssystem, um ihre Gegner einzusperren.“ Der Sprecher des State Departements, Tammy Bruce, äußerte Besorgnis „über den Ausschluss von politischen Kandidaten“. Donald Trump junior fragte: „Frankreich schickt Le Pen ins Gefängnis und hindert sie am Präsidentenrennen. Wollen Sie nur zeigen, dass JD Vance in allem recht hatte?“ Das war eine Anspielung auf die Vorhaltungen des amerikanischen Vizepräsidenten in seiner Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz, bei der er die vorgebliche Unterdrückung von unliebsamen politischen Stimmen in Europa beklagte. Der Kreml-Sprecher hielt Frankreich gar einen Verstoß gegen „demokratische Normen“ vor.
Wie sehr sich Le Pen in der Opferrolle gefällt, zeigte auch ihre harsche Zurückweisung der Idee, von Präsident Emmanuel Macron begnadigt zu werden. Sie wolle kein Gnadenrecht in Anspruch nehmen, sagte sie im Fernsehen. Außerdem greife es erst, wenn der Instanzenweg beendet sei. Der RN-Vorsitzende Bardella hat die Anhänger zum „friedlichen Widerstand“ aufgerufen. Sie werde sich keinesfalls aus dem politischen Leben zurückziehen, sagte Le Pen, und weiterkämpfen.