Patienten brauchen weniger Schmerzmittel, wenn sie vom Krankenbett ins Grüne schauen. Eine neue Studie zeigt nun: Schon das Betrachten eines Naturvideos reduziert akute körperliche Schmerzen.
Schmerzsignale werden im Gehirn verarbeitet. Medikamente, die dort wirken, können deshalb Schmerzen reduzieren. Für Meditation und andere Geistesübungen gilt das ebenfalls. Auch Naturerlebnisse können akute körperliche Schmerzen lindern, zeigt eine neue Studie, die jetzt in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurde.
Dazu ist nicht einmal ein Waldspaziergang notwendig. Bereits das Anschauen von Naturvideos reicht, um diesen Effekt hervorzurufen. Das Forschungsteam von der Universität Wien nutzte die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) und konnte mit Echtzeit-Scans des Gehirns zeigen: Beim Betrachten solcher Videos werden Schmerzen als weniger intensiv und unangenehm empfunden. Zudem ließ die mit Schmerzen verbundenen Gehirnaktivität nach.
“Die Verarbeitung von Schmerzen ist ein komplexer Prozess”, sagt der Leiter der Studie, Max Steininger. Um den Zusammenhang zwischen Naturerleben und Schmerzen besser zu verstehen, zeigte das Forschungsteam 39 Testpersonen drei verschiedene Videos: eine Szene in der freien Natur, eine in einem Innenraum und eine Szene in der Stadt. Parallel zu den computergenerierten Videos erhielten die Probanden leichte Elektroschocks am Handrücken. Dabei mussten sie den Grad ihrer Schmerzen selbst bewerten, während zugleich ihre Gehirnaktivität gemessen wurde.
Natur verändert Verarbeitung von Schmerzsignalen
Die Ergebnisse waren eindeutig: Beim Betrachten der Szene aus der Natur berichteten die Testpersonen von weniger Schmerzen. Sie zeigten auch eine geringere Aktivität in jenen Gehirnregionen, die mit der Schmerzverarbeitung verknüpft sind. Die Analysen der Gehirnaktivität zeigten zudem: Das Betrachten von Naturvideos reduziert vor allem die frühen, körperbezogenen Schmerzsignale.
“Die Schmerzverarbeitung setzt sich wie ein Puzzle aus verschiedenen Teilen zusammen, die im Gehirn unterschiedlich verarbeitet werden,” erläutert Max Steininger. Einige dieser Teile bestimmen die emotionale Reaktion auf den Schmerz, während andere die körperlichen Signale betreffen, zum Beispiel den Ort und die Intensität des Schmerzes. Placebos können den Schmerz reduzieren, indem sie unter anderem die emotionale Reaktion darauf verändern. Das Betrachten von Naturvideos hat hingegen den Effekt, dass die frühen, körperbezogenen Signale anders verarbeitet werden.
Bislang war unklar, warum Naturerlebnisse Stress oder Schmerzen lindern können. Ebenso, ob die Natur selbst tatsächlich diese nachweislich positiven Effekte auslöst, oder ob eher eine positive Erwartungshaltung ausschlaggebend ist. Natur wird hierzulande kulturell bedingt oft romantisch überhöht oder mit angenehmen Erlebnissen verknüpft, wie sozialer Gemeinschaft, Freizeit und Sport. Die neue Schmerzstudie konnte nun erstmals zeigen, dass die Wahrnehmung von Natur tatsächlich direkt auf das Schmerzempfinden wirkt.
Naturbilder sind kein Ersatz für Schmerzmittel
Simone Kühn, Neurowissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, war Co-Autorin der Studie. Sie betont, dass alle drei Szenarien – Natur, Innenraum und Stadt – ästhetisch und angenehm gestaltet waren. Zu Studienbeginn nahm sie an, dass deswegen möglicherweise auch die Stadtszene positive Effekte hervorrufen könnte. Aus diesem Grund beeindruckte sie noch mehr, dass diese nur bei der Naturszene zu finden waren.
“Deswegen ist diese Studie so spannend, weil sie zeigt, dass wir vor allen Dingen in der frühen Schmerzverarbeitung die Effekte von so einer Naturexposition sehen”, sagt Kühn. Die Forscherin betont, ästhetische Natur-Darstellungen, zum Beispiel über dem Behandlungsstuhl in einer Zahnarztpraxis, seien aufgrund dieser Ergebnisse in jedem Fall sinnvoll. Sie können Schmerzen oder die Angst vor Schmerzen lindern, unabhängig davon, ob jemand tatsächlich ein Naturliebhaber ist oder nicht. Ein Ersatz für Schmerzmittel seien Naturbilder aber nicht.