Bald wird sich zeigen, wie viel Sprengkraft dieser Satz entfalten kann. Für das schwarz-rote Bündnis und für die europäische Zusammenarbeit. „Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen.“ Das ist das Vorgehen, auf das sich CDU/CSU und SPD aktuell geeinigt haben, um die Migration in den Griff zu bekommen. Aber wie könnte das konkret aussehen? Würde es überhaupt funktionieren?
Wenn Zurückweisungen irgendwo klappen sollten, dann hier. Frankfurt an der Oder, im Fluss liegt die Grenze zu Polen. Torsten Ebert berichtet von der sehr guten Zusammenarbeit mit den polnischen Kollegen. Ebert ist Bundespolizist, er leitet die örtliche Bundespolizeiinspektion, die für die Kontrolle eines etwa 80 Kilometer langen Grenzabschnitts zuständig ist. Beide Länder haben einen modernen Polizeivertrag, es gibt gemeinsame Dienststellen. Man bemüht sich, die Sprache des jeweils anderen zumindest ein wenig zu lernen. Deutsche und polnische Polizisten sind im Grenzgebiet in gemeinsamen Streifen unterwegs. Die Deutschen in der typisch blauen Uniform, die Polen im militärisch anmutenden Flecktarn. Die deutschen Nachbarn nehmen das Thema sehr ernst.
Die Migrationslage hat sich in den vergangenen Monaten entspannt. Vor allem kommen deutlich weniger Menschen aus Belarus über Polen nach Deutschland. Das Regime in Minsk, Verbündeter des russischen Machthabers Wladimir Putin, versucht, durch das Schleusen von Migranten aus Afrika und dem Nahen Osten den Westen zu destabilisieren. Der Höhepunkt war im Herbst 2023.
Die Polen hätten seither viel getan, sagt Bundespolizist Torsten Ebert, um die Situation in den Griff zu bekommen. Etwa durch den Bau eines Zauns zu Belarus. Doch die Polen unter Regierungschef Donald Tusk erwarten jetzt auch von Deutschland ein hartes Vorgehen. Und diesmal will Warschau auch wirklich eingebunden werden. Nicht wie bei der Anordnung der Grenzkontrollen im September 2023, als man sich von Berlin überrumpelt fühlte. Auch hier geht es also um die Frage: Muss Polen den geplanten Zurückweisungen von Asylsuchenden zustimmen? Oder nur mit einigem Vorlauf informiert werden?
Schon jetzt mehr Zurückweisungen als Asylgesuche
Bisher werden nur die Personen zurückgewiesen, die nicht die Voraussetzungen zur Einreise erfüllen – und kein Asylgesuch äußern. Im Jahr 2024 gab es im Bereich der Bundespolizeiinspektion Frankfurt an der Oder 5199 unerlaubte Einreisen oder Versuche dazu. 4203 Personen wurden von den Polizisten zurückgewiesen. Nur 340 Männer und Frauen äußerten im Jahr 2024 an diesem Grenzabschnitt ein Asylgesuch. Es waren vor allem Ukrainer, die gar kein Asyl beantragen müssen, um nach Deutschland einreisen zu dürfen. Die zweitgrößte Gruppe kam aus Afghanistan, dann Syrien und Äthiopien. Die Zahlen gehen aus der polizeilichen Eingangsstatistik der Bundespolizei hervor, die der F.A.Z. vorliegt.
Wer ein Asylgesuch äußert, kommt zunächst in eine Unterkunft der Polizei. Dort werden Personalien aufgenommen, erste Fragen geklärt. In Bademeusel, südöstliches Brandenburg, direkt an der polnischen Grenze, wird dafür ein altes Zollgebäude genutzt. Auf mehreren Etagen ist hier Platz für bis zu 150 Personen. Denn manchmal müssen Gruppen räumlich voneinander getrennt werden – Frauen von Männern, Tschetschenen von Afghanen, Geschleuste von Schleusern. Im 1. Stock stehen Pritschen mit noch eingepacktem Bettzeug, daneben ein Wickelraum mit Blümchentapete. Seit anderthalb Jahren arbeiten sie hier in der BAO – der Besonderen Aufbauorganisation. Wenn die Migrationslage also inzwischen entspannter sein mag, arbeitet die Polizei weiterhin unter kräftezehrenden Bedingungen jenseits des Normalbetriebs.
Oft werden Dolmetscher im alten Zollgebäude gebraucht, die müssen dann aus Dresden oder Leipzig kommen. Hier, am östlichsten Zipfel Deutschlands, wo die brennende Migrationsfrage geklärt werden soll, ist die Infrastruktur schlecht. Abschiebehaftplätze gibt es in Berlin und Brandenburg exakt null. Die Union hatte im Wahlkampf zeitweise gefordert, dass alle ausreisepflichtigen Migranten in Abschiebehaft genommen werden sollten – bis sie erkennen musste, dass es dafür längst nicht genug Plätze gibt. Wer in Brandenburg festgenommen wird, muss ins bayerische Hof gefahren werden. Das bindet mehrere Beamten, dauert lange und kostet Geld.
Kontrollen laufen routiniert ab
Doch diese Beamtinnen und Beamten werden ja eigentlich gebraucht, um die Grenzkontrollen auszuweiten – denn das wäre die Voraussetzung für Zurückweisung auch von Asylsuchenden. Es bräuchte noch mehr feste Kontrollstellen als derzeit, der Personalaufwand wäre enorm, heißt es vonseiten der Beamten. Außerdem müsste sichergestellt sein, dass polnische Beamte die Person in ihre Obhut nehmen und verhindern, dass sie es an der nächsten Kontrollstelle wieder versucht. Man sei also auf die Bereitschaft zur Zusammenarbeit der Nachbarstaaten angewiesen.
Bislang laufen die Grenzkontrollen routiniert ab. Seit sie im Oktober 2023 zu Polen eingeführt wurden, gibt es in diesem Grenzabschnitt drei feste Kontrollstellen. Eine ist an der Stadtbrücke in Frankfurt an der Oder, es ist der Grenzübergang für Autos; der für Lastwagen liegt auf der Autobahn. Kleine und große Fahrzeuge drängen sich an diesem Vormittag vom polnischen Słubice über die Brücke nach Deutschland.
Auf einer breiten Verkehrsinsel stehen zwei Bundespolizisten, einer hat eine Leuchtkelle in der Hand. Sichtkontrolle, Rund um die Uhr. Wenn den Beamten etwas auffällt, wird der Fahrer rausgewunken. Auf der Verkehrsinsel steht auch ein großes weißes Zelt, in dem bei jedem Wetter Autos ausgiebig kontrolliert werden können. Oft reicht auch ein kurzes Gespräch. Wo kommen Sie her? Was möchten Sie in Deutschland tun? Kontrolle der Papiere. Meistens kann die Fahrt dann weitergehen. Manchmal aber fliegen so auch Schleuser auf. Und im Fußraum kauert eine ganze Familie. Zurückweisungen würden noch engmaschigere Kontrollen verlangen.
Viele Bundespolizisten quittieren den Dienst rasch wieder
Der Bundespolizeibeauftragte hält das für kaum machbar. Uli Grötsch ist an diesem nasskalten Tag im deutsch-polnischen Grenzgebiet unterwegs. In den Koalitionsverhandlungen wird in diesen Stunden über die Abschaffung seines Postens gerungen. Die Union ist dagegen, die SPD dafür; Grötsch war bis 2024 SPD-Bundestagsabgeordneter. Bis über sein Schicksal entschieden ist, ist Grötsch weiter viel im Land unterwegs. Er will einen Eindruck von der Arbeit und Belastung der Bundespolizisten bekommen. Grötsch war selbst mal Grenzschützer.

1000 neue Stellen bekommt die Bundespolizei jedes Jahr dazu. Mehr sei nicht machbar, sagt Grötsch. Man wüsste auch gar nicht, wo man die neuen Kollegen noch unterbringen sollte. Das Fehlen und der Sanierungsbedarf von Gebäuden ist ein großes Thema bei der Bundespolizei. Schon jetzt springen 30 Prozent der neu eingestellten Bundespolizisten in den ersten fünf Jahren wieder ab.
Ob es Zurückweisungen von Asylsuchenden gibt, ist eine politische Entscheidung, heißt es bei der Bundespolizei. Deren Präsident Dieter Romann stünde einer solchen Entscheidung wohl recht aufgeschlossen gegenüber, er gehörte von Anfang an zu den schärfsten Kritikern der Migrationspolitik von Angela Merkel. Eine schärfere Migrationspolitik, inklusive Grenzmanagement, ist möglich, glaubt er. Die Einsatzkräfte an der Grenze erinnern sich dagegen noch lebhaft an die Debatte aus dem Jahr 2018. Damals stritten Merkel und Bundesinnenminister Horst Seehofer über eben jene Zurückweisung von Asylsuchenden. Einen deutschen Alleingang verhinderte Merkel, eine europäische Einigung gelang wiederum Seehofer nicht.
Grötsch blickt skeptisch auf die Debatte. Hieß es nicht, die derzeitigen Grenzkontrollen seien nötig, um die Migrationslage in den Griff zu bekommen? Und seien die Asylzahlen nicht im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2023 um 30 Prozent zurückgegangen? Er setzt sich vor allem dafür ein, dass die Bundespolizisten eine bessere Ausstattung für ihre Arbeit bekommen. Etwa Detektionsgeräte, die über vier Sonden an Lastwagen angeschlossen werden und Herzschwingungen messen können.
So entdecken die Beamten schneller geschleuste Personen auf der Ladefläche. Hier an der deutsch-polnischen Grenze hatte man so ein Gerät aber nur zu Testzwecken. Grötsch fordert, dass jede Grenzdirektion ein Detektionsgerät bekommt. Die im Werden befindliche schwarz-rote Regierung will die Bundespolizei auch weiterhin stärken. Mehr Personal, mehr Kompetenzen. Ob auch ein eigener Beauftragter auf Bundesebene dazugehört, wird sich zeigen.