Olaf Lies hat Geduld und Disziplin bewiesen. Seit der Regierungsübernahme durch die SPD im Jahr 2013 hat er Ministerpräsident Stephan Weil in Niedersachsen zunächst als Wirtschaftsminister, dann als Umweltminister und zuletzt wieder als Wirtschaftsminister gedient. Lies galt dabei stets als Aktivposten und Leistungsträger im Kabinett.
Vor allem aber ließ sich der 57 Jahre alte Elektroingenieur nicht die alte Rivalität mit Stephan Weil anmerken, dem er 2011 im Ringen um die Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl unterlegen war und an den er daraufhin auch den SPD-Landesvorsitz abgeben musste.
Nur einmal wurden die weiter gehenden Ambitionen von Lies sichtbar, als er im Sommer 2019 kurz vor einem Wechsel nach Berlin an die Spitze des Energieverbands BDEW stand. Am Ende blieb Lies in Hannover und wartete weiterhin auf seine Chance. Mit diesem Verhalten mehrte der umgängliche Familienvater aus Wilhelmshaven seine Anerkennung in der niedersächsischen SPD. Beim Landesparteitag 2023 erzielte Lies bei der Vorstandswahl ein hervorragendes Ergebnis, das sogar Stephan Weil übertraf.
Lies hat nun zwei Jahre Zeit, um sich auf die Landtagswahl einzustellen
Der Ministerpräsident wusste seither, dass er in der Regelung seiner Nachfolge trotz all seiner großen Machtfülle nicht mehr völlig frei ist und einen Eklat provozieren würde, falls er Lies übergeht.
Nun hat Weil sich für einen frühen Rückzug genau in der Mitte der Legislaturperiode entschieden und verkündet, bereits im Mai sowohl den Parteivorsitz als auch das Amt als Regierungschef an Olaf Lies abzutreten. Dieser hat nun mehr als zwei Jahre Zeit, um sich und seine Partei auf die Landtagswahl 2027 einzustellen, in der er voraussichtlich auf den CDU-Fraktionsvorsitzenden Sebastian Lechner als Herausforderer treffen wird.
Lies hat sich für einen Landesminister bereits beachtliche Bekanntheitswerte erarbeitet und hat als Ministerpräsident nun die Möglichkeit, seine Auftritte mit Gravitas und Landesväterlichkeit anzureichern, die in Landtagswahlkämpfen häufig den Ausschlag geben. Er übernimmt zudem einen geschlossenen und kampagnenfähigen Landesverband von Stephan Weil, den dieser mit seiner spezifischen Mischung aus Ruhe und Machtwillen über Jahre geformt hat. Weil hat es auch vermocht, die Rivalitäten der Parteibezirke einzuhegen.
Dieses Erbe erfolgreich weiterzuführen, bedeutet keine kleine Herausforderung. Hinzu kommt die Strukturkrise der deutschen Autoindustrie, die auf Niedersachsen so schwer lastet wie auf kaum einem anderen Bundesland. Als langjähriger Wirtschaftsminister kennt Lies die Herausforderungen der Autobranche ebenso gut wie die Energiewirtschaft, die seinen zweiten großen Schwerpunkt bildet.