Die Forderung des Präsidenten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) nach einer Abkehr vom individuellen Asylrecht haben zu Forderungen nach personellen Konsequenzen geführt. „Solche öffentlichen Äußerungen eines Behördenchefs widersprechen seiner Verantwortung“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner dem „Handelsblatt“ am Dienstag. Die Linken-Abgeordnete Clara Bünger forderte den Rücktritt von Bamf-Chef Hans-Eckhard Sommer. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) wies den Vorstoß des Behördenchefs klar zurück.
Sommer hatte am Montag bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung einen tiefgreifenden Kurswechsel in der europäischen Migrationspolitik gefordert. Er schlug vor, über eine Reform auf EU-Ebene Schutz nur noch über die humanitäre Aufnahme mit festgelegten Quoten zu gewährleisten. Im Gegenzug müsse „jeglicher Anspruch auf Asyl und auf sonstige Schutzrechte“ entfallen.
„Das Asylrecht steht für die SPD nicht zur Disposition“, sagte Innenministerin Faeser, in deren Zuständigkeitsbereich das Bamf fällt. Kontingente würden schon länger diskutiert. Sie seien „kein wirksames alleiniges Mittel“, weil sie etwa das Problem der Kriegsflüchtlinge nicht löse. Schleuser würden zudem nicht aufhören, Menschen nach Europa zu bringen, nur weil es zahlenmäßige Beschränkungen gebe.
„Wer als Behördenchef die Kernaufgabe seines eigenen Amtes, individuelle Asylprüfungen vorzunehmen, für unzeitgemäß, überflüssig oder gar falsch hält, sollte von seinem Posten zurücktreten“, erklärte die rechtspolitische Sprecherin der Links-Fraktion, Clara Bünger. Es sei ein Fehler gewesen, dass Faeser den von ihrem Vorgänger, CSU-Innenminister Horst Seehofer, eingesetzten Sommer nicht schon bei ihrem Amtsantritt Ende 2021 abgezogen habe. Sommer leitet seit 2018 das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Der Jurist war zuvor als Verwaltungsrechtler an der TU München und im bayerischen Innenministerium tätig.
Bei der Veranstaltung der Adenauer-Stiftung hatte Sommer am Montag betont, der „Kipppunkt“ bei der Aufnahme von Geflüchteten sei in Deutschland erreicht. Die Kommunen seien auch durch die zusätzliche Belastung durch 1,2 Millionen Ukraine-Flüchtlinge bei der Versorgung „am Limit“ und „oft schon weit darüber hinaus“. Damit sei das im Grundgesetz gegebene Asylversprechen „heute in seiner Unbegrenztheit gar nicht mehr praktisch einlösbar“, fuhr Sommer fort. Als Lösung gepriesene Konzepte wie die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten seien zudem aus seiner Sicht „keine realistische Option“. Sommer zweifelte auch daran, ob sich EU-Staaten an die reformierten Regeln des europäischen Asylsystems halten würden, nachdem sie es schon beim alten System nicht getan hätten.
Nötig sei deshalb „ein neues Schutzsystem“, sagte der Bamf-Chef. Er schlug eine EU-Rechtsverordnung vor, die nur noch humanitäre Aufnahme vorsehe. Diese müsse dann auch eine „durchaus beachtliche Höhe“ erreichen. Ob dabei dann eine Aufhebung des deutschen Asylrechts nötig sei, müssten Verfassungsrechtler entscheiden. Sommer schlug auch eine Reform der Genfer Flüchtlingskonvention vor. Dabei solle das Zurückweisungsverbot auf Menschen aus Nachbarstaaten begrenzt werden. Wer bereits durch mehrere Staaten gezogen sei, könne sich dann nicht mehr darauf berufen.