Dass er einmal so hoch fliegen würde, hätte Otto Lilienthal sich wohl kaum träumen lassen. Doch am Dienstagmorgen hob ein Abbild Lilienthals – graviert auf eine Gedenkmedaille des Deutschen Technikmuseums – ins Weltall ab. Mitgenommen wurde sie von Rabea Rogge, eines der vier Besatzungsmitglieder der privaten Mission Fram2. Lilienthal sei der Inbegriff von Pioniergeist, sagte Rogge eine Woche vor dem Start in einem Video auf Instagram. Und Pionierarbeit ist es auch, was sie gemeinsam mit ihren Kollegen in bis zu 450 Kilometer Höhe leisten will. Das erste Mal soll ein bemanntes Raumschiff über beide Polarregionen fliegen. Hinzu kommt ein weiteres Novum: Mit Rabea Rogge fliegt zum ersten Mal überhaupt eine deutsche Astronautin ins All.
In ihrer fünfzigjährigen Geschichte schickte die Europäische Weltraumorganisation ESA aus Deutschland bislang nur männliche Astronauten ins All, laut Deutschem Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) waren es bislang insgesamt zwölf. Zwar nominierte die ESA 2022 zwei deutsche Frauen für die Astronautenreserve, auf Weltraummission waren sie bislang aber noch nicht. Vor neun Jahren hatte sich deshalb eine private Initiative namens „Die Astronautin“ gegründet, um für den ersten Flug einer deutschen Frau ins All Spenden zu sammeln – ohne Erfolg. Rogge allerdings fand ohnehin auf anderem, ungewöhnlicherem Weg an Bord eines Raumschiffes: Vor einigen Jahren lernte die Elektroingenieurin bei einer Skiexpedition in Spitzbergen den maltesischen Kryptomillionär Chun Wang kennen. Ein halbes Jahr später kam er auf sie zurück, als er für seinen privaten Flug ins All nach Besatzungsmitgliedern suchte.
Spezialistin für Meeresrobotik in der Arktis
Das Raumschiff ist eine „Dragon“-Kapsel, die von einer Falcon-9-Rakete aus dem Bestand von Elon Musks Unternehmen SpaceX transportiert wird. Wie andere Privatpersonen zuvor, beauftragte auch Chun Wang Musks Unternehmen mit seiner Weltraummission. Die Raumschiffkapsel fliegt im besten Fall voll automatisiert, wie Rogge zuvor erklärte. „Wir sind die erste Crew überhaupt ohne eine Person mit Pilotenschein“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Im Notfall könnten sie jedoch trotzdem jederzeit eingreifen. Rogge ist zwar Teil des Pilotenteams, als Wissenschaftlerin soll ihr Fokus jedoch vor allem auf der Forschungsarbeit an Bord liegen.

Die 29 Jahre alte Berlinerin studierte Elektrotechnik an der ETH Zürich und spezialisierte sich darauffolgend vor allem auf Meeresrobotik in der Arktis. Darüber hinaus arbeitete sie am Konzept einer Nanosatelliten-Zentrifuge in niedriger Erdumlaufbahn mit, nahm an Schiffsexpeditionen vor der westafrikanischen Küste teil und leitete Satellitenmissionen. Ihre Promotionsarbeit an der Universität im norwegischen Trondheim unterbricht sie nun für die Weltraummission. Im Rahmen der Fram2-Mission will sie sich vor allem zwei Fragen widmen, wie sie dem „Inforadio“ kurz vor dem Abflug erzählte: Wie passt sich der menschliche Körper extremen Situationen an? Und: Wie kann der Weltraum inklusiver werden?
Rogge will Schwerpunkt auf Wissenschaftskommunikation legen
Bislang denke man bei Astronauten oft noch an „Supermenschen“, der Zugang zum All sei noch immer sehr exklusiv, so Rogge weiter. Um das zu ändern, will sie während der Mission unter anderem selbst an einem Experiment zum weiblichen Hormonhaushalt im All teilnehmen. Mit anderen Projekten sollen die Schlafbedingungen im Weltraum oder nachhaltige Ernährungssysteme für Langzeitmissionen erforscht werden. Mehr als 20 Experimente plant die vierköpfige Crew auf der viertägigen Mission. Rogge ist es dabei nach eigenen Angaben aber wichtig, den Kontakt zum Boden nicht zu verlieren: Mit einem Amateurfunk-Wettbewerb sollen Schüler von der Erde aus an einem der Fram2-Experimente teilnehmen können. „Mein persönliches Ziel ist es, der Wissenschaftskommunikation viel Platz in der Mission zu geben“, sagte Rogge der dpa. Langfristig will sie sich dafür einsetzen, dass mehr Menschen in den Weltraum reisen können, ohne spezielle Ausbildung oder jahrelanges Training.
Ihre Vorbereitung auf die Mission nahm rund acht Monate in Anspruch. Seit August des vergangenen Jahres trainierten die vier Besatzungsmitglieder gemeinsam, unternahmen unter anderem eine Seekajak-Tour in Alaska. „Sieben Tage in nasser Kleidung der Wildnis zu trotzen, hat uns schon zusammengebracht“, sagte Rogge. Die technischen Herausforderungen seien ihr in der Vorbereitung am leichtesten gefallen, da sie viele Systeme aus ihrer Zeit als Ingenieurin in Satellitenprojekten wiedererkenne.
Einen Tag vor dem Start teilte Rogge Einblicke in die letzten Vorbereitungen auf Instagram. Die Testdurchläufe seien „super reibungslos“ gelaufen, schrieb sie darunter. Laut Rogge steht die Lilienthal-Medaille auch für ihren Wunsch, die Visionen früherer Pioniere in eine „neue Ära der Weltraumforschung zu tragen“ – eine, die möglicherweise auch weiblicher werden dürfte. Das letzte Foto in der Instagram-Bildergalerie zeigt sie im weißen Raumanzug, auf ihrem linken Arm die deutsche Flagge, darunter in schwarzen Versalien: „R. Rogge“.