„Rüstung bietet eine riesige wirtschaftliche Chance“

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Herr Lies, Sie werden absehbar der nächste Ministerpräsident Niedersachsens. Sie sind Wirtschaftsminister, waren schon Umweltminister und sind von Beruf Elektroingenieur. Perfekte Voraussetzungen, um in diesen Zeiten Landespolitik zu machen?

Nur mit einer starken Wirtschaft, die Ar­beitsplätze schafft und Steuereinnahmen generiert, werden wir die Herausforderungen in der Bildungspolitik und der Sozialpolitik stemmen. Meine Erfahrung mit der Wirtschaft ist daher eine gute Grundlage für die Aufgaben, die vor mir liegen.

Dazu gehört auch Bürokratieabbau . . .

. . . da besteht unbestritten Handlungsbedarf. Sowohl in Brüssel wie auch in Berlin wird das Thema jetzt endlich ange­packt. Hier im Land haben wir das Bild des „präzisen Staats“. Das heißt, dass der Staat genau überlegen muss, was er regelt, und ansonsten loslässt und die Verantwortung den Bürgern und den Unternehmen übergibt. Ziel ist es, in allen Ministerien und Behörden diese neue Haltung zu ver­an­kern, auch auf der Arbeitsebene. Eine Stabsstelle sichtet ganz gezielt die ein­zelnen bürokratischen Belastungen.

Zuletzt gab es an der Spitze des Staats eher einen Stellenaufbau. Wie wollen Sie da künftig gegensteuern?

Personalaufbau mit Bürokratieaufbau gleichzusetzen, zeichnet ein falsches Bild. Wir haben zusätzliche Aufgaben zu bewältigen, etwa bei der Sanierung von Straßen und Brücken. Das geht gar nicht ohne zusätzliches Personal etwa für Planung und Genehmigung.

Es gibt Spekulationen, dass Sie das Eu­ropaministerium wieder abschaffen, das in Niedersachsen 2017 wegen des Parteienproporzes eingeführt wurde. Ist das geplant?

Wir beraten derzeit sehr genau in der Koa­lition, ob Ressortzuschnitte und Aufgabenverteilung noch stimmen. Aber es gibt dazu noch kein Ergebnis.

Die Rüstungsindustrie hat in Niedersachsen große Expansionspläne, etwa Rheinmetall, aber auch Unternehmen aus anderen Branchen. In Hannover ist eine Rüstungsmesse geplant. Haben Sie ein Problem damit, Niedersachsen als Rüstungsland Nummer eins zu nennen so wie es sich als Energie- oder als Agrarland Nummer eins bezeichnet?

Sprachlich würde ich an dem Begriff noch einmal feilen wollen. Wohl wissend, dass der grundsätzliche Gedanke ist, dass wir verteidigungsfähig sein müssen, sehe ich auch eine riesige wirtschaftliche Chance für Niedersachsen. Wir wollen an den Milliarden partizipieren und dauerhafte Wertschöpfung generieren, die weit über die Rüstungsindustrie hinausgeht. Auch viele unserer Hochschulen sind offen für den Rüstungsbereich, weil es häufig um „dual use“ geht – also um den Nutzen im militärischen und im zivilen Bereich. Wir sind seit eineinhalb Jahren dabei, ein Netzwerk aufzubauen und zu professionalisieren, damit noch viel mehr Unternehmen als bisher direkt oder mittelbar einen Beitrag zu Sicherheit und Verteidigung leisten können.

Hilft das auch bei der Diversifizierung der Industrie, jetzt, wo es erkennbar Pro­bleme in der Autoindustrie gibt?

In der Autoindustrie gehen Industriearbeitsplätze verloren, das stimmt. Entscheidend ist, dass wir die Kompetenzen dieser Fachkräfte durch kluges Matching sofort weiternutzen. Wenn es gut läuft, findet man für ganze Standorte eine neue Zukunft.

Bei der Kriegstüchtigkeit geht es nicht nur um Panzer und Kanonen, sondern auch um Infrastruktur.

So ist es. Aus der militärischen Logik kommt es entscheidend auf die Küste und deren Hinterland an. Daher wird man an einem ganz erheblichen Investitionspaket für Norddeutschland nicht vorbeikommen, sowohl was Mittel aus Europa mit Blick auf die NATO wie auch nationale Mittel mit Blick auf die Bundeswehr angeht. Bei Häfen beispielsweise ginge es darum, die Umschlagskapazitäten für militärische Zwecke zu schaffen, die natürlich nicht leer stehen, sondern einstweilen zivil genutzt werden. Wir diskutierten über ein Mehrzweckterminal in Wilhelmshaven, dem einzigen deutschen Tiefwasserhafen. Auch der Hafen in Emden leistet wichtige Dienste. Wir haben als norddeutsche Küstenländer klargemacht, dass wir bereit sind, Verantwortung zu übernehmen für die Sicherheit, auch für die Unabhängigkeit unserer Energieversorgung für ganz Deutschland. Aber wir können das nicht allein finan­zieren.

Kommen denn nun die 500 Millionen Euro jährlich für die Instandhaltung der Häfen?

Allen muss klar sein, dass die Investitionen in die Häfen ganz Deutschland dienen, weil viele Exporte auf dem Seeweg erfolgen. Das ist nationales Interesse. Aber im Moment schultern die Küsten­länder die Kosten der Hafeninfrastruktur allein.

Ihr grüner Koalitionspartner, auf dessen Stimmen Sie bei der bevorstehenden Wahl zum Ministerpräsidenten angewiesen sind, hat Sie zuletzt aufgefordert, von den beiden großen Neubauprojekten A 20 und A 39 abzurücken. Werden Sie das tun?

Wir arbeiten in der rot-grünen Koalition hervorragend zusammen. Aber wir sind zwei Parteien mit jeweils eigenen Vor­stellungen. Wichtig ist, dass unser Handeln davon nicht beeinträchtigt wird. In unserem Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass der Bundesverkehrswegeplan die Grundlage der Planungen bildet, und der sagt eindeutig, dass beide Bau­projekte nötig sind. Alle erforderlichen Planfeststellungsbeschlüsse liegen vor. Un­sere Erwartungshaltung an den Bund ist, sich um Bau und Finanzierung zu kümmern.

Die reichen Südländer wollen den Länderfinanzausgleich neu regeln. Wie lautet Ihre Antwort? Wollen Sie die Einführung von Strompreiszonen mit billigerer Energie im Norden?

Jedes Land formuliert seine Interessen. Manche Südländer stellen den Länder­finanzausgleich infrage. Und wir im Norden weisen darauf hin, dass es nicht gerecht ist, wenn hier umweltfreundlicher Strom produziert wird, der aber am Ende im Süden billiger ist. Da brauchen wir ei­nen fairen Lastenausgleich.

Ist die Verfestigung der Rolle von Geber- und Nehmerländern ein Problem?

Ein gewisser Finanzausgleich gehört zu unserem politischen System. Das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse erachte ich als richtig. Es gibt ja auch innerhalb der Länder einen kommunalen Finanzausgleich und innerhalb der Landkreise eine Kreisumlage. Ich sitze seit 23 Jahren im Gemeinderat und seit 19 Jahren im Kreistag und habe gelernt, dass man an diesem Prinzip nicht rütteln sollte. Diese Erdung ist übrigens für mich sehr prägend – zu wissen, wie sich Entscheidungen an der Basis auswirken.

Demnächst werden Sie als Ministerprä­sident qua Amt auch ins Präsidium des VW-Aufsichtsratspräsidiums einziehen. Wie stehen Sie zur Kritik am Einfluss des Landes?

Es gibt dazu in Niedersachsen einen breiten Konsens von der FDP über CDU und SPD bis zu den Grünen. Und auch ich werde an keiner Stelle vom VW-Gesetz ab­rücken. Die Rolle der öffentlichen Hand gerät immer in die Kritik, sobald es dem Konzern schlechter geht. Unter den Tisch fällt dabei, dass Volkswagen sich über Jahrzehnte auch aufgrund des politischen Engagements hervorragend entwickelt hat und dadurch viele langfristig kluge Entscheidungen getroffen wurden. Denn als Anteilseigner hat auch das Land ein ureigenes Interesse daran, dass Volks­wagen ein wirtschaftlich erfolgreiches Un­­ternehmen ist und gute Autos baut. Als leidenschaftlicher VW-Fahrer habe ich daran übrigens auch ein Interesse.

Was wäre ihnen denn wichtiger: Eine höhere Pendlerpauschale oder Kaufprämien von E-Autos?

Eine Erhöhung der Pendlerpauschale ist angesichts des steigenden CO2-Preises unausweichlich. Denn nicht jeder wird sich schon morgen ein E-Auto leisten können. Viele Privatleute kaufen wegen der hohen Neuwagenpreise gebrauchte Autos. Zugleich bin ich optimistisch, dass sich die E-Mobilität bald stärker durchsetzt. Ich habe seit vier Jahren einen elektrischen Dienstwagen und fahre den auch häufig selbst. Gerade mit dem neuesten Modell – dem ID7 – vermisst man den Verbrenner nicht mehr, sondern erlebt nur noch Vorteile. Ich bin noch nie liegen geblieben und habe auch keine Reichweitenangst, denn es gibt keinen Mangel an Ladesäulen mehr. Aber ein Problem sehe ich: den hohen Strompreis, gerade beim öffentlichen Stromtanken. Da müssen die Preise runter, das ist der Schlüssel. Hier muss die neue Bundesregierung liefern.

Viele Bürger vermissen mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen in Berlin das Aufbruchssignal und sehen stattdessen kleinteilige Klientelpolitik. Stichpunkte Mütterrente, Agrardiesel, Mehrwertsteu­ersenkung für die Gastronomie, Mindestlohn.

Im Bundeshaushalt fehlen Milliarden, die man nicht mit den geplanten Schulden zuschütten kann, die für Investitionen re­serviert sind. Manche Wünsche werden daher nicht zu erfüllen sein. Die Spitzenpolitiker in Berlin stehen jetzt vor der schwierigen Aufgabe, ein Gesamtpaket zu schnüren. Entscheidend wird sein, dass die Menschen am Ende eine Veränderung spüren, den Aufbruch wahrnehmen. Wenn das nicht passiert, mache ich mir große Sorgen.