Diagnose Orthorexie
Gesundes Essen kann auch krank machen
Aktualisiert am 07.04.2025 – 13:29 UhrLesedauer: 4 Min.

Gesunde Ernährung, die krank macht – dieses Paradox beschreibt Orthorexie: die zwanghafte Beschäftigung damit, das vermeintlich Richtige zu essen.
Immer mehr Menschen legen großen Wert auf gesunde Ernährung – doch bei einigen wird dieser Fokus zur Besessenheit. Orthorexie beschreibt eine Fixierung auf “saubere” Ernährung, bei der das Streben nach tatsächlich oder vermeintlich gesunder Kost das Leben der Betroffenen bestimmt. Doch wo hört gesunde Ernährung auf, und wo beginnt eine problematische Fixierung? Und was kann Betroffenen helfen?
Unter Orthorexie wird in der Medizin eine zwanghafte Fokussierung auf gesundes Essen verstanden. Betroffene zeigen ein extremes Essverhalten, bei dem die Gedanken ständig um die Qualität der eigenen Ernährung kreisen. Allerdings ist Orthorexie bislang keine offiziell anerkannte Störung.
“Für diese gesunde Ernährung werden ganz persönliche, subjektive Maßstäbe angelegt”, sagt Psychologin Friederike Barthels vom Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord). Tatsächlich ist das Spektrum der möglichen Ernährungsweisen bei Menschen, die an Orthorexie leiden, breit: Veganer können ebenso betroffen sein wie Menschen, die der “Carnivore Diät” folgen, also hauptsächlich Fleisch essen; Rohköstler genauso darunter leiden wie jene, die auf die Keto-Diät setzen. “Man wird nicht zwei Personen mit einer orthorektischen Ernährungsweise mit einer Mahlzeit glücklich machen können”, so Barthels.
Orthorektisch wird ein Ernährungsverhalten dann, wenn das tatsächlich oder vermeintlich gesunde Essen zum Lebensinhalt wird, die entsprechende Planung der Mahlzeiten immer mehr Zeit verschlingt und Lebensmittel immer rigoroser in Gut und Böse eingeteilt werden. “Objektiv betrachtet ernähren sich einige Betroffene tatsächlich sehr gesund”, führt Barthels aus. “Andere nutzen aber vielleicht weniger seröse Quellen, schränken ihre Ernährungsweise immer weiter ein, sodass am Ende nur noch sehr wenig Lebensmittel gegessen werden.” Dann könne Orthorexie auch körperlich zu einem Gesundheitsproblem werden.
Orthorexie wird derzeit nicht als eigenständige Essstörung in Klassifikationssystemen wie dem DSM-5 oder ICD-10 geführt. Das liegt laut Psychologin Barthels auch daran, dass dafür nicht genügend Daten vorliegen: “Störungsbilder werden erst nach langjährigen Forschungsprozessen in den ICD-10 oder DSM-5 aufgenommen. Dafür sind viele Studien nötig, die eindeutig zeigen: Wie sind die Symptome? Wie ist die Prävalenz? Was sind Risikofaktoren? Und die haben wir für die Orthorexie einfach noch nicht.”
Ferner sei wissenschaftlich durchaus umstritten, ob es sich um ein eigenes Krankheitsbild handele: “Viele Stimmen sagen, dass es sich eigentlich nur um eine Variante bekannter Essstörungen handele, also einer Art Magersucht unter dem Deckmantel der gesunden Ernährung.” Barthels sieht indes gravierende Unterschiede etwa zur Magersucht: “Bei der Orthorexie geht es vor allem auch darum, sich zu ernähren, während bei anderen Essstörungen der Verzicht auf Nahrung im Mittelpunkt steht. Auch die Fokussierung auf ein schlankes Körperbild sehen wir bei der Orthorexie nicht zwangsläufig.”
Ohne eindeutige Diagnosekriterien ist eine Antwort auf diese Frage unmöglich. Psychologin Barthels schätzt die Häufigkeit ähnlich wie bei anderen Essstörungen ein. Das hieße, deutlich unter ein Prozent der Bevölkerung wären betroffen.
Für spezifische Gruppen in Deutschland – konkret: Ernährungsberater sowie sportlich aktive Studenten – haben ältere Studien teils deutlich höhere Zahlen ergeben.
Das Erscheinungsbild “krankhafter Gesundesser” ist charakterisiert durch:
Ein weiteres wichtiges Warnzeichen ist, wenn die Ernährung das Leben dominiert, und andere Bereiche wie Freundschaften oder Hobbys vernachlässigt werden.