Wie eine Krise noch verhindert werden soll

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Als Donald Trump am 20. Januar seine zweite Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten antrat, gab er den Amerikanern ein großes Versprechen: „Das goldene Zeitalter beginnt genau jetzt.“ Das Land werde „aufblühen und von der ganzen Welt wieder respektiert werden“. Davon ist bislang allerdings wenig zu sehen, im Gegenteil: Die lange Liste von Zollerhöhungen löste am Montag einen weiteren Kursrutsch an den Börsen aus. Von einem „Schwarzen Montag“ sprachen Händler. Anleger in den Vereinigten Staaten wie im Rest der Welt mussten zusehen, wie ihre Aktien und Fonds rasant an Wert verloren. Trump sah dennoch keinen Grund, etwas an seinem Kurs zu ändern: „Manchmal muss man Medizin nehmen, um etwas in Ordnung zu bringen“, sagte er. Amerika sei stärker als die Finanzmärkte.

Die Kursverluste an den Börsen waren die größten seit dem Beginn der Corona-Pandemie. In Tokio schloss der Nikkei-Index 7,8 Prozent tiefer bei 31.136 Punkten. Im frühen Handel war der japanische Leitindex bis zu knapp 9 Prozent auf den tiefsten Stand seit Herbst 2023 gefallen. Auch in China gingen die Aktienkurse auf Talfahrt. Der CSI-300-Index mit den wichtigsten chinesischen Festlandaktien verlor 7,8 Prozent. Der Hang-Seng-Index der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong brach um 11,5 Prozent ein.

Historisch begann der Handel auch in Frankfurt: Der Dax verlor zum Handelsauftakt zehn Prozent, so viel wie niemals zuvor bei der Eröffnung eines Handelstags. Später erholten sich die Kurse, am Nachmittag betrug das Minus noch zwischen drei und vier Prozent. Die amerikanischen Börsen starteten ebenfalls deutlich im Minus, erholten sich dann etwas und drehten wieder ins Minus – zwischendrin kursierte plötzlich ein Bericht, wonach Trump die Zölle um 90 Tage verschieben könnte, der aber kurze Zeit später dementiert wurde.

Die Turbulenzen wirbelten auch den Zeitplan der Koalitionsverhandlungen in Berlin durcheinander. Am Nachmittag hieß es, die Gespräche zwischen Union und SPD seien kurzfristig unterbrochen worden. Die Parteichefs berieten mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) über das weitere Vorgehen.

Die EU erneuert ein Zollsenkungs-Angebot

Die EU hat Trump nach Angaben von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Abschaffung aller Zölle auf Industriegüter auf beiden Seiten vorgeschlagen. „Wir haben Null-für-null-Zölle für Industriegüter angeboten, wie wir es mit vielen anderen Partnern schon haben“, sagte von der Leyen in Brüssel. Das Angebot bleibe auf dem Tisch. „Europa ist immer zu einem guten Geschäft bereit.“ Die EU sei aber ebenso bereit dazu, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, falls das nötig werde. Die EU hatte das Angebot schon vor dem von Trump ausgerufenen Befreiungstag am 2. April gemacht, war damit aber nicht auf Resonanz gestoßen. Nach der Zollankündigung hat die EU das Angebot erneuert.

Bevor von der Leyen sich äußerte, hatten sich die Handelsminister der EU-Staaten auf einem Sondertreffen in Luxemburg beraten. Der scheidende Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) trat dabei als Hardliner auf. Er riet dazu, das „Anti-Coercion Instrument“ – ein Maßnahmenbündel gegen Erpressung in der Handelspolitik – und mit ihm die amerikanischen Digitalkonzerne in den Blick zu nehmen. Diese Haltung vertrat auch der französische Vertreter Laurent Saint-Martin. Das Instrument erlaubt es der EU, Patente auszusetzen, den Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen zu blockieren oder den Vertrieb bestimmter Produkte zu verbieten. Auch der österreichische Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) sagte, die EU müssen im nächsten Paket die Techkonzerne treffen.

Der irische Minister Simon Harris warnte hingegen, eine Einbeziehung der Digitalkonzerne wäre „eine außerordentliche Eskalation zu einer Zeit, in der wir auf eine Deeskalation hinarbeiten müssen“. Irland ist für die Unternehmen wegen der niedrigen Steuersätze beliebt als Europasitz. Auch Spanien und Italien warben für ein vorsichtiges Vorgehen. Der italienische Außenminister Antonio Tajani würde sogar die schon auf den Weg gebrachten Gegenzölle zu den höheren Stahl- und Aluminiumzöllen der USA auf Ende des Monats verschieben, um Zeit für Verhandlungen zu gewinnen.

Merz verlangt Steuersenkungen

Sowohl in Großbritannien als auch in Italien und in Spanien haben die Regierungen bereits angekündigt, die von den höheren Zöllen betroffenen Unternehmen unterstützen zu wollen. In Deutschland ist es diesbezüglich noch ruhig, weil die rot-grüne Minderheitsregierung nur noch geschäftsführend im Amt ist und keine neuen Programme auflegen kann, die Geld kosten. Die neue schwarz-rote Regierung will, sofern die Gespräche nicht noch scheitern, in der ersten Mai-Woche die Arbeit aufnehmen.

In der Union sieht man die von Trump verursachten Turbulenzen als Auftrag, die versprochene „Wirtschaftswende“ nun wirklich in die Tat umzusetzen. Es sei „dringlicher denn je“, dass die deutsche Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig werde, sagte CDU-Chef Friedrich Merz. „Diese Frage muss jetzt im Zentrum der Koalitionsverhandlungen stehen.“ Konkret nannte Merz Steuersenkungen für Unternehmen und Bürger, einen Rückbau der Bürokratie, niedrigere Energiepreise und eine „Stabilisierung“ der Sozialausgaben. Die SPD forderte zuletzt aber Steuererhöhungen für Gutverdiener und eine Festschreibung des aktuellen Rentenniveaus, was höhere Beiträge bedeuten würde.

Verena Hubertz, die auf SPD-Seite das wirtschaftspolitische Kapitel des Koalitionsvertrags mitverhandelt hat, sagte der F.A.Z., es gebe zwischen Union und SPD „große Einigkeit“ darüber, den Wirtschaftsstandort zu stärken. „Natürlich stehen wir fest an der Seite unserer Unternehmen und werden sie im Handelskonflikt mit den USA unterstützen. Jetzt geht es allerdings erst mal darum, zusammen mit unseren europäischen Partnern entschiedene Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um Augenhöhe für Verhandlungen herzustellen.“

Das Bundeswirtschaftsministerium vermag die Folgen der höheren Zölle für die deutsche Wirtschaft noch nicht zu beziffern. Bislang sagt die Bundesregierung für dieses Jahr noch ein geringes Wachstum von 0,3 Prozent voraus. Unter Volkswirten gilt dies zunehmend als unrealistisch. „Die Konjunkturrisiken neigen sich insgesamt für 2025 in Richtung eines dritten Rezessionsjahres in Folge“, kommentierten die Volkswirte der Deutschen Bank am Montag. Die Commerzbank hatte ihre Prognose schon im Vorgriff auf die erwarteten Zollerhöhungen von 0,2 auf 0 Prozent gesenkt. Nun sagte Chefvolkswirt Jörg Krämer: „Sollten Verhandlungen wider Erwarten überhaupt nichts bringen, droht für dieses Jahr erneut eine Rezession.“ Ein Grund für die Rezessionswarnungen ist, dass wirtschaftspolitische Impulse der neuen Bundesregierung wenn überhaupt erst mittelfristig Wirkung zeigen dürften.

Die deutsche Wirtschaft geht in die Handelsauseinandersetzung in einer schwachen Verfassung. Im Februar sank die Produktion im produzierenden Gewerbe gegenüber dem Januar um 1,3 Prozent. Das trübte die Anfang des Jahres aufgekommenen Hoffnungen auf eine allmähliche Belebung der Konjunktur. Sowohl das Baugewerbe als auch die Industrie entwickelten sich im Februar schlecht. Der Auftragseingang im verarbeitenden Gewerbe stagnierte zuletzt. Dass der Warenexport im Februar um 1,8 Prozent gegenüber dem Vormonat stieg, lag nicht zuletzt an den Vorbereitungen auf die höheren Zölle: „US-Firmen haben gebunkert, die deutschen Firmen Lieferungen vorgezogen“, sagte Dirk Jandura, der Präsident des Handelsverbands BGA. Das dicke Ende komme aber noch, der Handelskrieg sei entfacht.

Im Kanzleramt meidet man dieses Wort bislang noch. „Wir wollen ja keinen Handelskrieg herbeiführen, sondern das Ziel sollte schon sein, eher Handelshemmnisse weiter zu senken“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin. Man dürfe jetzt „nicht kurzfristig emotional reagieren“, warnte er. Ähnlich äußerte sich Helena Melnikov, Hauptgeschäftsführerin der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK): „Wir als Europäer sollten auf impulsive Aktionen weiterhin sehr entschlossen, aber auch besonnen und mit kühlem Kopf reagieren.“ Die EU müsse jetzt „umso engagierter“ die eigenen Hausaufgaben machen, die Handelshemmnisse innerhalb des europäischen Binnenmarkts beseitigen und neue, verlässliche Handelspartner gewinnen. „Diversifizierung ist kein Luxus mehr, sondern eine Notwendigkeit, um wirtschaftliche Resilienz zu sichern.“ Laut einer Analyse des Internationalen Währungsfonds entsprechen im Binnenmarkt nach wie vor bestehende Handelshemmnisse im Warenverkehr einem Zollsatz von 44 Prozent, im Dienstleistungsbereich sogar 110 Prozent.

Senkt die EZB den Leitzins?

Die Blicke richten sich nun auch auf die Reaktion der Europäischen Zentralbank (EZB) auf die Turbulenzen an den Finanzmärkten. Die Notenbank äußerte sich auf Anfrage nicht dazu. Sie bereitet derzeit die nächste Zinssitzung am 17. April vor. Am wahrscheinlichsten seien eine Zinssenkung im April und die Versicherung, die geldpolitischen Bedingungen wenn nötig weiter anzupassen, sagte Karsten Junius, Ökonom der Bank J. Safra Sarasin. Hauptaufgabe der Notenbank sei es, die Panik nicht weiter anzuheizen. Aus der Finanzkrise habe sie genügend Erfahrung mit steigenden Risikoprämien und illiquideren Märkten. Eine konzertierte Aktion mit anderen Zentralbanken hält er für unwahrscheinlich. Ohne die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) wäre solch eine Aktion unglaubwürdig. Mit der Fed aber wäre dies im Moment nicht vorstellbar.

Bereits reagiert hat die kommunistische Regierung in Peking – mit hohen Gegenzöllen auf Waren aus Amerika direkt nach Trumps Ankündigung vergangene Woche. Zum Wochenbeginn legte die „Volkszeitung“ in einem Leitartikel nach: „Der Missbrauch von Zöllen durch die Vereinigten Staaten wird China treffen, aber der Himmel wird nicht einstürzen“, hieß es auf der Titelseite im zen­tralen Sprachrohr der Kommunistischen Partei. China sei „eine supergroße Wirtschaft“, betonte die Zeitung. „Wir sind stark und widerstandsfähig.“ Zum einen seien Chinas Exporte in die USA zuletzt ohnehin schon deutlich gesunken, zum anderen seien amerikanische Firmen bei vielen Gütern und Zwischenprodukten von China abhängig. Worauf die Führung in Peking nicht einging: dass die Exporte einer der wenigen verbliebenen Wachstumstreiber des deflationsgeplagten Landes sind.

Die Welt versucht, sich Mut zu machen angesichts der erratischen Politik Trumps. Besonders heraus stach in dieser Hinsicht Deutschlands Noch-Wirtschaftsminister Habeck. Dass der Trump-Vertraute und Techunternehmer Elon Musk am Wochenende vorgeschlagen hatte, Zölle auf beiden Seiten auf null zu setzen – also das, was auch die EU den USA angeboten hat –, kommentierte Habeck mit den Worten, dass Unternehmer wie Musk Angst hätten, hohe Verluste zu erleiden. „Amerika ist in einer Position der Schwäche“, befand Habeck. Die Finanzmärkte müssen davon wohl erst noch überzeugt werden.

Von Hendrik Kafsack, Julia Löhr, Archibald Preuschat, Christian Siedenbiedel, Jochen Stahnke und Patrick Welter