Wieso die Koalitionsverhandlungen für Ärger sorgen

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Die Stimmung an der CDU-Basis über den wahrscheinlichen Bundeskanzler Friedrich Merz und die schwarz-rote Koalition ist kritisch. In einer Whatsapp-Gruppe von Merz-Fans wird gelästert, bei den Kreisverbänden gehen Austrittserklärungen und Protestmails ein. Dabei war der Landesverband Baden-Württemberg mal so etwas wie eine Friedrich-Merz-Fan­base. 199 CDU-Mitglieder haben sich im Landkreis Böblingen am Freitagabend nicht für die „heute-show“ entschieden, sondern für die harten Holzstühle der Nominierungsversammlung im Paul-Wirth-Bürgerhaus in Aidlingen.

Es geht eigentlich darum, für die Landtagswahl im März 2026 einen Landtagskandidaten oder eine Landtagskandidatin zu nominieren. Die CDU hatte den von Bosch- und Daimler-Arbeitern stark geprägten Wahlkreis 2021 an die Grünen verloren. Marc Biadacz, der CDU-Bundestagsabgeordnete, sagt angesichts der Stimmung auch etwas zu den Koalitionsverhandlungen: „Geben Sie Friedrich Merz mal eine Chance. Ja, wir kriegen viel Kritik, aber das Kapitel Arbeit und Soziales ist verhandelt, und das Bürgergeld ist Geschichte. Das ist ein Teil des Politikwechsels.“

Für die CDU im Südwesten geht es um viel in den kommenden Monaten. Von der Leistung der Berliner Koalition hängt ab, ob die Partei die Landtagswahl mit ihrem gerade gekürten Spitzenkandidaten Manuel Hagel gewinnen kann. Die Frage beschäftigt CDU-Mitglieder in Aidlingen – in diesem Landtagswahlkreis will noch dazu Markus Frohnmaier von der AfD antreten. Er wird vermutlich auch der AfD-Ministerpräsidentenkandidat werden. Deshalb werden die fünf Bewerber auf der CDU-Versammlung nach ihrer Strategie zur Bekämpfung der AfD gefragt.

Ein dauerhafter Vertrauensverlust?

Christdemokraten, die mit den derzeitigen Verhandlungsergebnissen zufrieden sind, finden sich nur wenige in der Bürgerhalle. Fast alle weisen auf das Zahlenverhältnis von Union und SPD hin, 28 Prozent und 16 Prozent, das müsse sich nun auch im Koalitionsvertrag widerspiegeln. Joachim Oehler ist CDU-Stadtverbandsvorsitzender in Weil der Stadt, er bekommt den Frust der Wähler täglich zu hören. „Wir haben uns im Wahlkampf sehr breitbeinig aufgestellt, das betraf die Schuldenproblematik und eine Zusammenarbeit mit den Grünen. Beides kam anders. Friedrich Merz muss das Vertrauen der Basis zurückholen“, sagt er. Unter den Landtags- und Bundestagsabgeordneten ist der Frust, wenn sie sich im Hintergrund äußern, ebenfalls groß: Im Wahlkampf habe man der Ampel das Schuldenthema ständig vorgehalten, ohne selbst realistische Lösungen zu haben. Dann seien viele Christdemokraten nach der Wahl aufgewacht, und die Schuldenbremse sei plötzlich weg gewesen, vielleicht sei dieser Vertrauensverlust dauerhaft und schwer reparabel.

CDU-Veranstaltung in Aidlingen: Die Unzufriedenheit an der Basis ist groß.
CDU-Veranstaltung in Aidlingen: Die Unzufriedenheit an der Basis ist groß.Rüdiger Soldt

Die CDU betreibe nun „Schönrednerei“ und verkaufe „Haus und Hof“, damit Merz Kanzler werde, sagt ein Abgeordneter. Wenn der Koalitionsvertrag bei den Themen Migration und Wirtschaft nicht die Handschrift der CDU habe, dann würden auch im Südwesten die Leute Merz „schnell von der Fahne“ gehen: „Es gab ja eigentlich keinen Merz-Personenkult, die Leute, die sich hinter ihm versammelt haben, wollten einfach eine andere Politik.“

Zwei Themen werden auch auf der Versammlung in Aidlingen nur bei der Raucherpause oder hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen: Einige CDU-Mitglieder erwarten von Merz nämlich – zusätzlich zu den großen Themen Migration und Wirtschaft – auch eine grundsätzlich andere Gesellschaftspolitik. Und viele verstehen nicht, warum Merz überhaupt mit der „Verliererpartei SPD“ koalieren will und er nicht eine Tolerierung durch die AfD anstrebt. Die Brandmauer gibt es bei vielen nicht.

Manche wollen lieber mit der AfD als mit der SPD zusammenarbeiten

Sehr frustriert ist ein 47 Jahre alter, griechischstämmiger Unternehmer, der mit seiner Frau bei Saftschorle und Bier die Reden der Bewerber verfolgt: „Es gibt ja ein Video aus dem Wahlkampf, in dem Merz Grundschülern verspricht, keine Schulden zu machen. Denen hat er doch jetzt ins Gesicht gelogen. Ich bin enttäuscht.“ Die Koalition mit der SPD lehnt der Unternehmer ab. „Man kann doch die AfD an der kurzen Leine führen“, sagt er. Dann habe die CDU weniger Probleme als in einer Koalition mit der SPD – vor allem in der Migrationspolitik.

Dann redet Dan Martin, einer der Bewerber für das Landtagsmandat. Als Einziger stellt er das Thema Migration in den Mittelpunkt seiner Rede. Die „Politik des Wegsehens“ beim Thema Migration müsse beendet werden, fordert er. Martin ist auch Einwanderer, er sagt, er sei „hundert Prozent Bukarest“, er habe sich trotzdem integriert. Im dritten Wahlgang bekommt der Außenseiter, der erst seit einem Jahr CDU-Mitglied ist, 47 Prozent und unterliegt nur knapp. Das ist ein Indikator für die Stimmung an der CDU-Basis.

Christian Herrmann gehört dem Evangelischen Arbeitskreis von CDU/CSU an und hat sich die fünf Bewerbungsreden geduldig angehört. „Das Schuldenthema ist nicht meine erste Priorität, ich erwarte, dass das Selbstbestimmungsgesetz, die Cannabis-Legalisierung und das Gesetz gegen Gehsteigbelästigungen abgeschafft werden“, sagt Herrmann. Wenn solche Themen keine Rolle mehr spielten, sei die CDU nicht mehr seine Partei.

Aus den Nachrichten spricht Enttäuschung

Auch in Hessen gibt es ein deutlich vernehmbares Grummeln. Wenn der Landtagsabgeordnete Frank Lortz im südhessischen Kreis Offenbach unterwegs ist, hört er immer wieder Beschwerden von CDU-Parteifreunden. Viele wunderten sich, dass die eigenen Inhalte eine so geringe Rolle spielten. „Die SPD hat gerade die Kommunikationshoheit. Man glaubt ja, die hätten die Wahl gewonnen“, sagt Lortz, der auch Vizepräsident des Landtags ist. Gerade auf kommunaler Ebene mache man sich in Hessen Sorgen, weil im März nächsten Jahres in den Städten und Gemeinden gewählt wird. Ein anderer Kreisvorsitzender fährt mit dem Finger durch seine E-Mails, eine Beschwerde nach der anderen gehe ein. Ein Betreff lautet: „Nächstes Mal AfD“. Aus den Nachrichten spreche viel Enttäuschung, sagt er. In einem Fall stellt er fest, dass die Person schon vor Längerem aus der Partei ausgetreten sei.

Die Erwartungen an Merz sind hoch – auch wenn er noch immer nicht zum Bundeskanzler gewählt ist. Von der Ungeduld berichten viele Christdemokraten in Hessen. Sie zeige sich an der eigenen Basis, aber auch in der Bevölkerung. Die Umfragen, die die AfD sehr nah bei der Union zeigen, sorgen in der CDU für weitere Verunsicherung. Im Wahlkampf war es „Stammklientel“, die für die AfD stimmen wollte, wie ein Landtagsabgeordneter sagt. In Nordhessen gab es deutliche Zuwächse für die AfD.

Anna-Maria Bischof, CDU-Kreisvorsitzende im Schwalm-Eder-Kreis, sagt: „Gibt es jetzt keinen spürbaren Politikwechsel, wird die AfD 2029 noch stärker.“ Sie weist darauf hin, dass besonders die Sozialdemokraten Stimmen nach Rechtsaußen verloren hätten. „Die SPD muss sich bewegen.“ Auch der hessische CDU-Generalsekretär Leopold Born appelliert an den potentiellen Koalitionspartner, nicht „sturköpfig“ allein die eigenen Mitglieder im Kopf zu haben, sondern alle Wähler. Born berichtet von einer digitalen Mitgliederveranstaltung am vergangenen Freitag, bei der die Basis mit den Verhandlern „konstruktiv und angeregt“ diskutiert habe.

Die Reform der Schuldenbremse, die noch mit den Stimmen des alten Bundestags beschlossen wurde, bewegt viele. Aus der CDU-geführten Landesregierung in Wiesbaden heißt es, man hätte sich durchaus gewünscht, dass die Abkehr mehr erklärt und öffentlich verteidigt worden wäre.

Der Landtagsabgeordnete Frank Lortz sagt, der Ärger werde verstummen, wenn die Kernanliegen Migrationspolitik, Wirtschaft und Bürgergeld im Sinne des Wahlsiegers angegangen würden. „Das muss sehr klar nach CDU riechen.“