Bestenfalls die Tasche mit dem Notebook darf noch kostenlos mitfliegen. Auf der Suche nach Zusatzeinnahmen haben Fluggesellschaften immer wieder Neues ersonnen: Der Tarif ohne Gratis-Handgepäck – mal abgesehen vom Notebook – markiert wohl die Spitze dieser Anstrengungen. Ryanair nennt den entsprechenden Tarif „Basic“, bei Condor heißt er „Economy Zero“. Eine Tasse Kaffee über den Wolken ist auch nicht mehr inklusive.
Auf Extras muss aber nicht verzichtet werden: Wunschessen, schnellerer Einstieg, freier Nebensitz, Stauraum für den Rollkoffer – gegen Aufpreise ist viel zu bekommen. Die Deutsche Lufthansa lässt Business-Class-Reisende auf Langstreckenflügen mit ihrer neuen Allegris-Einrichtung gar zwischen verschiedenen Sitztypen wählen. Für große Passagiere gibt es den Sitz, der zum überlangen Bett werden kann. Wer arbeiten will, kann einen Platz mit mehr Ablageflächen nehmen. Der Preis der Wahl: mindestens 100 Euro.
„Ohne bezahlte Zusatzleistungen kann keine Airline mehr überleben“, erklärt Peter Gerber, Chef der Fluggesellschaft Condor, auf dem Aviation Day der Hochschule Worms die kreative Preisgestaltung, die es nicht nur in seinem Unternehmen, sondern in der gesamten Branche gibt, geradezu zur Notwendigkeit. Steuer, Gebühren, Klimaschutzregulierung und Löhne – vieles ist für die Airlines teurer geworden. Und ihr Ausweg lautet: Aufschläge.
Zusatzerlöse vervielfacht
Die werden aber nicht in gleichem Maße auf jedes Ticket erhoben. Stattdessen gilt: Der Reisende, der mehr als bloß einen Sitz will, soll mehr bezahlen. Gerber betont lieber, dass es für mehr Geld idealerweise mehr Service gebe. Das bedeutet ein Umdenken – von ‚Wir wollen mehr Tickets verkaufen‘ hin zu ‚wir wollen die gesamte Reise annehmlicher machen’.
Peter Glade, lange Vertriebschef der Gesellschaft Sunexpress und nun in gleicher Funktion für die Flugsparte des Reisekonzerns TUI tätig, sieht es ähnlich. Ältere Kollegen hätten ihm einst erklärt, dass es beim Führen einer Fluggesellschaft bloß um die Ticketpreiskalkulation und die Routenauswahl gehe. „Richtige Strecke, richtiger Preis, der Rest ergibt sich von selbst“, formuliert Glade salopp, was nicht mehr genüge.
Laut Weltluftfahrtverband IATA haben sich die Einnahmen der Airlines durch Zusatzleistungen vervielfacht. 2013 kassierten sie international 43 Milliarden Dollar für Extras, im vergangenen Jahr waren es 137 Milliarden Dollar, 2025 soll es weiter aufwärtsgehen. Als Gewinn blieben zuletzt dennoch bei mehr als fünf Milliarden Passagieren im Schnitt nur etwas mehr als sechs Dollar je Reisendem.
„Steigende Kosten kompensieren“
„Fluggesellschaften suchen Antworten darauf, wie sie steigende Kosten kompensieren können“, sagt Karsten Benz, Professor für Luftfahrtmanagement an der Hochschule Worms. „Sie bieten neben dem Grundpreis für das Ticket aufpreispflichtige Zusatzleistungen an. Die individuelle Differenzierung dieser Angebote an die Kunden wird weiter voranschreiten.“
Man müsse bedenken, welche Durchschnittsmarge mit einem Flug zu erreichen sei und welche Marge durch den Verkauf einer Flasche Cola möglich sei, sagt TUI-Manager Glade. Es klingt, als ob er sagen wolle, die zweite Marge sei die höhere, ein stärkerer Blick auf die Kosten für jede Leistung an Bord werde nötig. „Wenn das im Preis enthaltene Getränk und ein Stück Schokolade die einzigen Unterscheidungsmerkmale werden, wird es schwierig. Auf Kurz- und Mittelstrecken sind viele Passagiere nicht bereit, nur dafür einen höheren Preis zu bezahlen“, sagt Glade.
Lufthansa setzt auf Fernflügen auf eine Unterscheidung, die über Schokolade hinausgeht. 2,5 Milliarden Euro investiert der Konzern in neue Sitze der Langstreckenflugzeuge. Dabei geht es auch um Details, erläutert der zuständige Manager Björn Becker. „80 Prozent der Menschen liegen beim Schlafen auf der Seite. Das ist im Flugzeug nicht sonderlich bequem, es sei denn, man kann mit der Schulter etwas tiefer ins Polster einsinken.“ Und das gebe es im Allegris-Konzept ohne Aufpreis.
Ryanair lässt bestellen
Bei Ryanair sind indes alle Sitze gleich. Der irische Billigflieger hat einen anderen Kurs eingeschlagen, um dennoch Aufschläge zu kassieren. Noch in diesem Jahr wird die Papier-Bordkarte endgültig abgeschafft, erklärt Deutschlandchef Marcel Meyer. Künftig soll die Karte in der Ryanair-App aufgerufen werden. 90 Prozent der Ryanair-Passagiere buchten über die App. Und der Verkauf von Extras soll gar zum Mittel werden, um Kunden zur App zu lenken.
„Wenn Sie vor dem Start einen Kaffee bestellen, dann bekommen Sie den als Erster gebracht“, preist Meyer einen neuen Dienst, den Ryanair für App-Nutzer eingeführt hat. Was nach Serviceoffensive klingt, dürfte durch harte Kalkulationen getrieben sein. In der Branche wird schon über den Wert der Daten aus den App-Bestellungen spekuliert. Aus denen ließe sich ableiten, wie viele Getränke eingeladen werden müssen – auf einer bestimmten Strecke und wenn bestimmte Kunden einsteigen.
Basisticketpreis plus Aufschläge – in dieser Strategie unterscheiden sich Billigflieger und Markenanbieter inzwischen nicht mehr. Im Detail haben aber Lufthansa und Ryanair unterschiedliche Wege eingeschlagen. „Airlines gehen aktuell davon aus, mit ihren bisherigen Geschäftsmodellen gut weiterarbeiten zu können. Die einen setzen auf striktes Kostenmanagement, die anderen wollen durch Zusatzinvestitionen in Produkt und Service mehr Einnahmen erzielen“, sagt Wissenschaftler Benz. Es finde eine Evolution statt. „Revolutionär wäre es, die Prozesse wie zum Beispiel die Flugbuchung radikal zu simplifizieren und Zusatzangebote maßgeschneidert zum richtigen Zeitpunkt anzubieten“, sagt Benz.
Grundsätzlich seien individuellere Angebote, für die ein Passagier Extras auswähle, ein Weg für Fluggesellschaften, um Zusatzerlöse zu generieren. Ohne Hürde sei der Weg aber nicht. So bestehe die Gefahr, dass für Kunden zum Beispiel die Buchung zu komplex werde. „Und für die Airlines besteht das Risiko, dass neue Services und die damit verbundenen Prozesse zu höheren Kosten führen, die wieder verdient werden müssen“, sagt Benz.