Die Übergabe eines Unternehmens in jüngere Hände war und ist ein heikler Schritt. Aber heutzutage schlagen manche diesen Weg und damit den Familienbetrieb von vornherein aus. Das beobachtet die norddeutsche Unternehmerin Constance Kaysser immer öfter. „Die jüngere Generation zieht für sich die Konsequenz, dass sich das Unternehmen der Eltern nicht mehr lohnt“, sagt sie.
Die Sorgen um die deutsche Wirtschaft breiten sich auch damit vor Ort aus. Kaysser ist geschäftsführende Gesellschafterin eines Leiterplattenentwicklers in Pinneberg und Vorsitzende der Wirtschaftsjunioren Deutschland, eines Netzwerks von zehntausend Unternehmern und Führungskräften unter 40 Jahren. Viele von ihnen empfinden die Rahmenbedingungen als zu schlecht, um weiterzumachen. „Der Staat legt Unternehmerinnen und Unternehmern mehr Steine in den Weg, als ihnen zu helfen“, sagt Kaysser.
Im Gespräch betont sie neben den Hemmnissen auch die Möglichkeiten im Land. Schon in der Vergangenheit sei eine Unternehmensnachfolge von Angst und Abhängigkeit geprägt gewesen. „Aber wenn Konzerne wie Siemens oder Audi viele Mitarbeiter entlassen, fragen sich viele unserer Mitglieder: Wie soll ich das als kleiner Mittelständler schaffen, wenn diese großen Unternehmen es nicht hinbekommen?“

Die längere Strecke des wirtschaftlichen Aufschwungs hat Deutschland nicht genug genutzt. Die Bundesregierungen unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) haben den erreichten Wohlstand mehr verwaltet als neue Anreize gesetzt, was allerdings auch die Wähler mehrheitlich honoriert haben. In den Jahren 2023 und 2024 ist die Wirtschaftsleistung jeweils leicht gesunken. Nun steht Deutschland an einem Wendepunkt: Das Land braucht mehr als zuvor eine Erneuerung der wirtschaftlichen Kraft mitsamt Deregulierung, während Aufrüstung und Infrastruktur mehr Geld benötigen.
„Wir hängen an Deutschland“
Der Investor Jan Beckers hofft deswegen auf die nächste Regierung. „Wenn wir jetzt die richtigen Reformen anpacken, dann können wir unseren noch vorhandenen Wohlstand halten – aber viel reicher werden wir nicht“, sagt er. „Wenn wir das aber nicht schaffen, wird Deutschland zu einer Art Südamerika – mit verarmender Bevölkerung, dysfunktionalem Staat und einer gespaltenen Gesellschaft.“ Er erinnert an die Reformen unter dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). „Wir brauchen wieder eine Reformagenda“, sagt Beckers.
Das wertvollste Unternehmen Europas ist aktuell der Digitalkonzern SAP aus Walldorf. Der Anbieter von Geschäftssoftware wurde schon vor einem halben Jahrhundert gegründet, aber zählt als jüngstes Mitglied in der Liga der zehn größten börsennotierten Unternehmen Deutschlands. Das besorgt auch Heike Freund, Geschäftsführerin des jungen Münchner Kernfusionserforschers Marvel Fusion, der gerade eine neue Finanzierungsrunde erhält. Sie spricht davon, dass viele der zehn wertvollsten Unternehmen Amerikas erst nach der Gründung SAPs entstanden sind. „Das muss sich ändern in Deutschland“, sagt sie. Gerade mit Energietechnik und grünen Innovationen sieht Freund eine Chance für Deutschland, dass auf diesen Feldern wieder mehr Weltmarktführer entstehen.
Kaysser ist zufrieden, das von ihr gegründete Unternehmen vor sechs Jahren als Zulieferer aus der Automobilindustrie zurückgezogen und auf Luftfahrttechnik und Medizintechnik gesetzt zu haben. Ihr Unternehmen entwickelt Leiterplatten und lässt diese in Auftragswerkstätten im Ausland produzieren. In Deutschland wäre die Herstellung nicht zu bezahlen, weil die Kosten zu hoch sind. Allerdings spürt sie seit einigen Monaten von ihren Kunden auch Preisdruck.
Sie erwartet, dass der Industriestandort Deutschland in den nächsten Jahren stark dezimiert wird. „Wenn die Politik die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen nicht wieder stärker priorisiert, sieht es für den Standort Deutschland dunkel aus“, sagt Kaysser. Mut macht ihr, dass es trotz allem noch viele junge Unternehmer gibt. „Wir hängen an Deutschland.“ Insgesamt bietet das Land eine hohe Lebensqualität und erreicht viel im Vergleich zu anderen. Die Unternehmerin hofft darauf, dass sich durch ehrenamtlichen Einsatz, gute Ideen und Tatkraft viel bewegen lässt. Kaysser sieht viele andere, die den Kopf nicht in den Sand stecken, sondern weitermachen.

Anna Alex, Investorin und Mitgründerin der Nachhaltigkeitssoftware-Anbieter Nala Earth und Planetly sowie des Bekleidungsdienstes Outfittery:
„Neulich sagte jemand zu mir: Europa ist der perfekte Kontinent. Das hat mich bewegt und motiviert. Wir brauchen eine positive Ansprache und sollten uns mit Ruhe und Kraft auf unsere Stärken besinnen. Wir haben tolle Arbeitsbedingungen für Wissenschaftler und Genies anzubieten. Mit erneuerbaren Energien können wir unabhängiger werden, günstigen Strom bekommen und die Folgen des Klimawandels besser handhaben. Mit weniger Fleisch werden sich die Menschen gesünder ernähren. Wir müssen sehen, dass die Ressourcen der Natur wie frisches Wasser und die Bestäubung durch Insekten endlich sind. Das ist ein Paradigmenwechsel.
Als Unternehmerin will ich, dass der Klimaschutz zehnmal schneller vorankommt. Aber ich sehe die Fortschritte. Immer mehr Unternehmen verstehen den Wert der Natur. Für Europa ist es entscheidend, sich weiter auf dem Pfad der Klimaneutralität zu bewegen. Was mir Mut macht, ist mehr Trotz als Hoffnung: So leicht geben wir nicht auf! Die Stärke der industrialisierten Demokratien lässt sich nicht wegblasen. Wenn wir eines Tages zurückblicken auf diese Krisenzeit, werden wir sagen, dass genau das die Geburtsstunde Europas war.“

„Die Krisen auf der Welt müssen ein Weckruf für Europa sein. Wir haben tolle Köpfe und wahnsinnig viel Potential im Land. Aber wir schaffen es nicht, aus schlauen Ideen auch Weltmarktführer zu bauen. Als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt müssen wir sagen, dass wir in Schlüsseltechnologien führend sein wollen. Dafür braucht es Planungssicherheit, innovationsfreundliche Regeln und Finanzierungshilfen für Hightech-Gründer.
Der Staat sollte sich früh als Investor beteiligen und dazu die Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) stärken. In einer positiven Zukunft können wir in zehn Jahren durch Laserfusion-Kraftwerke energieautark werden: Damit kann Deutschland eine klimaneutrale Industrie versorgen und international wettbewerbsfähig werden.“

Christian Deilmann, Mitgründer und Geschäftsführer des Unternehmens Tado:
„Wir sollten die Energiewende in Europa aktiv mit Innovationen angehen. Dann haben wir sogar die Chance, diese marktführenden Energietechnologien in die Welt zu exportieren. Auch weil Europa unabhängiger von ausländischen Energielieferungen werden muss, sollten wir Geld für die Forschung und die Schaffung von technischem Fortschritt in diesem Feld in die Hand nehmen.
Im vergangenen Jahr kam immerhin schon die Hälfte des Stroms in Europa aus heimischen, erneuerbaren Energiequellen. Unternehmen können mithilfe von Künstlicher Intelligenz schneller, innovativer und kosteneffizienter werden. Definitiv sollte die Politik Bürokratie abbauen und die Rahmenbedingungen so setzen, dass sich Arbeiten und Bemühungen lohnen. Kombiniert mit den gut ausgebildeten Menschen in unserem Land, wird Deutschland ein starker Wirtschaftsstandort bleiben. Davon bin ich überzeugt.“

Jan Beckers, Investor und Gründer von BIT Capital: „Wir haben derzeit noch die Chance, zu alter Stärke zurückzufinden. Aber dafür müssen wir schnell die Weichen stellen. Andere Länder haben hungrigere Talente und einen stärkeren Willen, nach vorne zu kommen. In Deutschland findet lediglich eine Umverteilung unseres wohlverdienten Wohlstands statt, ohne dass ausreichend neuer geschaffen wird. Die Bürokratie ist überbordend.
Die deutsche Wirtschaft braucht gezielte Entlastungen: niedrigere Lohnnebenkosten, weniger Bürokratie, wettbewerbsfähige Energiepreise, mehr Leistungsanreize, geringere Abgaben und Steuern. Eine aktienbasierte Rente und bessere wirtschaftliche sowie technologische Bildung in Schulen sind überfällig. Die Schulden, die Deutschland aufnimmt, muss die Politik in Zukunftsthemen investieren – gezielt, nachhaltig und wachstumsstark. Dann kann ein Neuanfang gelingen.“
Constance Kaysser, geschäftsführende Gesellschafterin des Leiterplattenentwicklers CLP Cool Light and Power Electronics:
„Frauen wollen nur Kinder kriegen und dann nicht mehr richtig arbeiten? Wer das denkt, liegt falsch. Viele wollen schnell wieder in den Beruf zurückkehren, ohne gezwungen zu sein, ihre Arbeitszeit dauerhaft zu reduzieren. Wir brauchen flächendeckend ein echtes Betreuungsangebot für Kinder ab sechs Monaten. Doch Eltern werden häufig in Teilzeit gedrängt, weil die Betreuungslage unsicher ist und sie im Ernstfall einspringen müssen.
Ein flächendeckender Kita-Ausbau ist Voraussetzung dafür, dass Eltern die Wahl haben, früh wieder einzusteigen – und das in Vollzeit. Durch schlechte Betreuungsmöglichkeiten wird Eltern die Möglichkeit genommen, Karrierewege einzuschlagen. Dabei braucht die deutsche Wirtschaft dringend alle Fachkräfte.“