Wissenschaft soll helfen, die Welt besser zu verstehen – doch für viele Forschende wird genau das zunehmend zur Gefahr. Wer wissenschaftliche Fakten präsentiert, gerät immer häufiger ins Kreuzfeuer, besonders im Netz.
Sie werden beschimpft, diffamiert, privat bedroht. In der teils unregulierten digitalen Blase der sozialen Medien sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oft Feindbilder, weil sie unbequeme Wahrheiten aussprechen.
Diese Erfahrung hat auch Sozialpsychologin Pia Lamberty gemacht. Die Expertin für Verschwörungsideologien, Extremismus und Desinformation war vor allem während der Corona-Pandemie ein prominentes Gesicht. Auch sie erlebte orchestrierte Shitstorms und massive Anfeindungen. “Gewaltandrohungen, Todesdrohungen, Beleidigungen – die ganze Bandbreite hat sich da wirklich über mich ergossen”, erzählt Lamberty.
Der Hass und die Hetze gegen die Mitbegründerin des “Center für Monitoring, Analyse und Strategie” (CeMAS) haben sich manifestiert. Noch heute fordern rechte Netzwerke ein Tribunal für die Wissenschaftlerin. Ein Drohszenario, das an der 40-Jährigen nicht spurlos vorbeigegangen ist, wie sie im Interview erzählt: “Das hat natürlich auch etwas mit mir gemacht, wenn man weiß, dass man von Personen so stark gehasst wird, dass sie sich im Internet über einen austauschen (…) und ich musste mein Leben dahingehend umstellen. Ich musste die Sicherheitsmaßnahmen erhöhen.”
Von Genderforschung bis Klimawissenschaft
Forschende aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen erleben Ähnliches. Sie geraten ins Kreuzfeuer. Egal ob Genderforschung, Rente, Virologie – alles Reizthemen, die Userinnen und User vor allem im Netz triggern.
Schon seit längerem steht etwa die Klimaforschung unter Beschuss – und mit ihr Einzelpersonen wie Claudia Kemfert. Die Energieökonomin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat bereits erlebt, wie Fake-Accounts unter ihrem Namen angelegt, Webseiten gehackt und Wikipedia-Einträge gelöscht wurden. Sie stellt fest, dass sich in den vergangenen Jahren nicht nur die Quantität der Beleidigungen, sondern auch die Qualität verändert hat. “Das hat an Intensität zugenommen, aber auch im Niveau, das wirklich aggressiver und unterirdischer wird”, so Kemfert.
Dabei gehe es nicht um sie als Privatperson, sondern um den Klimawandel an sich. Diese Erklärung, dass sie stellvertretend für ein Thema stehe, helfe ihr, mit den persönlichen Anfeindungen umzugehen und resilient zu bleiben. “In der Klimawissenschaft gibt es schon sehr lange, seit Jahrzehnten, unglaubliche Anfeindungen von bestimmten Populisten oder wissenschaftsfeindlichen Organisationen. (…) Und das hat dann weniger mit der Person an sich etwas zu tun, sondern generell mit dem Thema Klimawandel und überhaupt Klimaschutz. Und da wird man automatisch zur Zielscheibe.”
Doch gerade Frauen erfahren zusätzlich oft noch eine ganz andere Dimension von Beschimpfung: sexuelle Diffamierungen. Damit hat auch Pia Lamberty Erfahrung gemacht: “Vor allem auch das Sexualisierte, was ich erhalten habe. Das ist schon sehr unangenehm. Wenn es solche Bedrohungen und Beleidigungen gibt, die meinen Körper betreffen oder irgendwelche Vergewaltigungsfantasien.”
Der Scicomm-Support – Hilfe für bedrohte Forschende
Eine repräsentative Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) hatte zuletzt Ende 2023 gezeigt, dass fast die Hälfte der Forschenden Anfeindungen schon einmal erlebt hat.
Um Betroffene zu unterstützen, hat Julia Wandt gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vor knapp zwei Jahren den Scicomm-Support gegründet. Die bundesweite Anlaufstelle berät und unterstützt Personen, die aufgrund ihrer Wissenschaftskommunikation (Scicomm) Opfer von (digitaler) Gewalt, Hassrede oder Medienkampagnen geworden sind. “Manchen Personen kann man mit einem Telefonat helfen. Dann gibt es Fälle, wo man kommunikativ unterstützt, vielleicht etwas schreibt. Und dann gibt es auch Fälle, wo wir mit den Personen vor Gericht gehen”, erzählt Wandt.
Neben einer Kommunikations- und Rechtsberatung können Betroffene auch psychologische Hilfe erhalten. Die sei besonders wichtig, um bei der Bewältigung der emotionalen Belastung zu helfen, meint Wandt.
Telefonisch ist der Scicomm-Support täglich zwischen 07:00 und 22:00 Uhr besetzt – selbst am Wochenende. Zudem bieten Julia Wendt und ihr Team präventive Trainings und Workshops an. Die Nachfrage sei groß – leider. Die Hochschulkommunikatorin ist überzeugt, dass Anfeindungen gegen Forschende auch in Zukunft nicht zurückgehen werden. “Ob sie zunehmen werden, muss man sehen. Natürlich hat auch das politische Klima Einfluss darauf. Und das sehen wir ja leider gerade auch an Ländern wie den USA oder auch Ungarn. (…) wie Wissenschaft insgesamt behandelt werden kann und dass das dann natürlich auch einen Einfluss auf Wissenschaftler:innen hat.”
Autokratische Systeme als Nährboden
Das Problem reicht inzwischen längst über einzelne Personen hinaus. Je autokratischer ein System, desto größer ist auch die Wissenschaftsfeindlichkeit in einer Gesellschaft, erklärt Pia Lamberty. Autoritäre Kräfte hätten stets ein Interesse daran, die Wirklichkeit so umzudeuten, dass sie zur eigenen Propaganda, den Narrativen und Zielen passt. Forschende, aber auch Journalisten würden in so einer Phase oft als Erste attackiert. “Wir bewegen uns geradezu auf eine immer autoritärere Phase zu. Und in solchen Zeiten werden diejenigen, die Fakten verbreiten, eigentlich immer angegriffen. Dementsprechend befürchte ich schon, dass Forschende immer mehr unter Druck geraten und dass die Wissenschaftsfreiheit auch immer mehr angegriffen wird. (…).”
Einschüchterungsversuche, egal aus welchen gesellschaftlichen Gruppen, dürfe sich die Wissenschaft nicht bieten lassen, sondern müsse diesen trotzen. Dieser Überzeugung ist auch Claudia Kemfert. Andernfalls hätten Populisten und andere Wissenschaftsfeinde ihr Ziel erreicht, meint die Energieökonomin. “Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen. Und wir sollten auf gar keinen Fall verstummen. Im Gegenteil. Es muss gelten: Jetzt erst recht.”
Einen demokratischen und konstruktiven Wissenschaftsdiskurs zu fördern, sich schützend vor Forschende zu stellen, die freie Ausübung der Wissenschaft zu garantieren – das ist am Ende auch Aufgabe von Gesellschaft und Politik – in einer Zeit, in der Fakten wichtiger sind denn je.