Koalitionsvertrag sorgt für Unmut an SPD-Basis

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In der Innenstadt von Bergedorf, ganz am Ostrand Hamburgs gelegen, sind viele Fenster dunkel, doch im Erdgeschoss des SPD-Gebäudes brennt noch Licht. Der Distriktvorstand (andernorts Ortsvereinsvorstand genannt) ist zu einer Sitzung zusammengekommen. Die Stimmung nach der Verabschiedung des Koalitionsvertrags im Bund ist alles andere als überschwänglich. Auf eine „Light-Version“ des CDU-Wahlprogramms habe sich die SPD da eingelassen, heißt es etwa. Und: So könnten die Sozialdemokraten bei der nächsten Bundestagswahl nur noch weiter verlieren.

„Das Ergebnis kann sich sehen lassen“, hatte der SPD-Ko-Vorsitzende Lars Klingbeil wenige Stunden zuvor in Berlin bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags gesagt. Da stand Klingbeil Seite an Seite mit dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, dem CSU-Chef Markus Söder und der Ko-Vorsitzenden seiner Partei Saskia Esken. Klingbeil versuchte, Mut zu machen in schwierigen Zeiten. Es sei notwendig, sich von „liebgewonnenen Projekten“ zu verabschieden, sagte er. Aber in dem Papier stecke „viel drin, das wir umsetzen wollen“.

Kritik an Steuer- und Migrationspolitik

In Bergedorf ist man sich da nicht so sicher. Klingbeil versandte am Mittwoch später eine E-Mail an alle SPD-Mitglieder. Aus der liest Paul Veit am Abend in Bergedorf dann vor. Veit ist Student und Verwaltungsmitarbeiter, 23 Jahre alt und Vorsitzender des SPD-Distrikts Vier- und Marschlande, einem von sechs SPD-Ortsverbänden im Kreisverband Bergedorf. Veit zählt einige Punkte aus Klingbeils E-Mail auf: Ein Mindestlohn von 15 Euro komme, die Mietpreisbremse bleibe, das Deutschlandticket werde verlängert.

Naja, sagt Veit. Kritik übt er vor allem an den Plänen zur Steuerpolitik und zur Migration. Entlastet würden nun alle Einkommensstufen. Aber wer geringe Einkommensteuern zahle, weil er wenig verdiene, werde auch wenig entlastet. Geeinigt haben sich Union und SPD auch auf ein Ende der Bundesaufnahmeprogramme, etwa aus Afghanistan. Über ein solches wurde versucht, Ortskräfte der Bundeswehr und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) aus dem Land herauszuholen. Das stelle man nun ein? „Ein Armutszeugnis, auch für die CDU“, sagt Veit.

Ein anderer Sozialdemokrat fürchtet, die SPD werde künftig bei Migrationsfragen von Söder vor sich hergetrieben werden. Bei dem Thema werde die SPD wohl „in Sippenhaft“ genommen. „In migrantischen Communities werden wir es schwer haben, zu zeigen, dass das nicht unsere Politik ist.“ Immerhin sei der von der CDU geforderte Entzug der doppelten Staatsbürgerschaft, der noch im Sondierungspapier stand, vom Tisch. Selbst von Genossinnen und Genossen habe es dazu geheißen: „Werde ich jetzt abgeschoben, wenn ich falsch parke?“

Es fehlt ein zentrales SPD-Projekt

Der Bezirk Bergedorf nimmt zwar rund ein Fünftel der Fläche Hamburgs ein, ist aber dünn besiedelt und sehr ländlich geprägt. Auf den fruchtbaren einstigen Überschwemmungsgebieten wird Landwirtschaft und Blumenzucht betrieben. Die SPD ist hier wie in vielen Teilen Hamburgs noch tief in den Gemeinden verankert. 35 Prozent erhielt sie bei der Bürgerschaftswahl Anfang März im Bezirk und damit noch etwas mehr als in Hamburg insgesamt. Derzeit führt die SPD mit den Grünen in der Stadt Koalitionsverhandlungen, bis Ende April will man fertig sein, den Koalitionsvertrag in Berlin wollte man zunächst abwarten.

Historisches Gebäude an der Vierlandenstraße und Sitz des SPD-Kreisbüros in Bergedorf in Hamburg
Historisches Gebäude an der Vierlandenstraße und Sitz des SPD-Kreisbüros in Bergedorf in HamburgPicture Alliance

Bei der Sitzung des Ortsvereins sind neun Leute anwesend, vier Frauen und fünf Männer, drei weitere haben sich online zugeschaltet. Manche beteiligen sich rege, andere kaum. Neben der Koalitionsvereinbarung in Berlin wird über Beschlüsse aus dem Regionalausschuss berichtet. Da geht es dann etwa um ein neues Baugebiet in Kirchwerder, große Überraschungen sind nicht zu vermelden, über die Kollegen von der CDU in den Gremien wird gelästert. Was die Koalition mit den Christdemokraten im Bund angeht, herrscht bei den Genossinnen und Genossen Ernüchterung.

Ausführlich diskutiert wird über die Ziele zur Digitalisierung und Bürokratieabbau. Das Vorhaben, die Bundesverwaltung um acht Prozent zu verkleinern, müsse man erst mal schaffen, sagt ein Bergedorfer Sozialdemokrat, der selbst in der Verwaltung tätig ist. Reformen seien in dem Bereich schwierig, da gebe es so viele Bedenkenträger. Für Unmut sorgen die Beschlüsse zur Reform des Bürgergelds. Das einst zentrale Vorhaben der Sozialdemokraten soll nach dem Willen von Union und SPD durch eine „neue Grundsicherung“ ersetzt werden.

In Bergedorf heißt es dazu: Es sei doch richtig gewesen, die Leute in den Zustand zu versetzen, erst ihr Leben in den Griff zu bekommen, bevor man sie in Arbeit bringe. Die Rückkehr zum sanktionsgetriebenen System sei falsch. Andererseits habe die SPD es auch versäumt, hier Stellung zu beziehen: „Die SPD hat die Wahl auch verloren, weil sie keine klare Position zum Bürgergeld hatte“, sagt ein Sozialdemokrat. Es gäbe das Vorurteil, dass alle, die Bürgergeld bekämen, „faule Säcke“ seien. „Uns ist nicht gelungen zu zeigen, dass das falsch ist. Wir haben verzweifelt versucht, das Wort Hartz IV zu vermeiden.“ Die SPD müsse darauf achten, dass sie eine Partei der Arbeiter sei, nicht der Arbeitslosen, sagt ein Genosse. „Das wurde in der Vergangenheit vergessen.“

Einig ist man sich an dem Abend, dass in der Union nun wohl „ähnliche Wunden geleckt“ würden, auch CDU und CSU hätten Kompromisse machen müssen. Vor allem bei dem großen Sondervermögen zur Infrastruktur. Immerhin das habe man als SPD durchgesetzt, wenn auch mit Geschenken an die Grünen, sagt einer. Aber ob diesen Erfolg die Wähler am Ende der SPD zuschrieben, wird bezweifelt.

Die SPD habe in dem Koalitionsvertrag „Schlimmeres verhindert“, ist man sich an dem Abend in Bergedorf weitgehend einig. „Aber es ist wenig bis gar nichts da, bei dem wir sagen können, das gab es nur wegen uns“, sagt einer. Was fehle, sei ein zentraler Punkt, bei dem sich die SPD durchgesetzt habe, heißt es an dem Abend immer wieder. Ein Punkt, bei dem man den Wählern bei der nächsten Wahl zeigen könne: Das gebe es nur wegen der SPD. Das sei schon bei früheren Koalitionen mit der Union so gewesen. So werde man in vier Jahren die gleichen Probleme haben wie bei den jüngsten Bundestagswahlen.