Als die Chefs von CDU/CSU und SPD am Mittwochnachmittag im Berliner Paul-Löbe-Haus den Koalitionsvertrag vorstellten, gaben sie sich alle Mühe, die Rivalitäten und Meinungsverschiedenheiten der vergangenen Wochen und Monate vergessen zu machen. Friedrich Merz, Markus Söder, Lars Klingbeil und Saskia Esken präsentierten sich als ein Team, das in den nächsten Jahren Deutschland zu einem Land machen will, in dem es wieder „Spaß“ mache zu arbeiten, Unternehmer zu sein oder ein Haus zu bauen.
Ganz so eine eingeschworene Gemeinschaft, wie es vor den Kameras erscheint, ist die neue schwarz-rote Koalition aber nicht. Noch vor der Veröffentlichung des Koalitionsvertrags verschickten Unionsvertreter eifrig SMS, in denen sie deutlich machten, in welchen Punkten sich die Union in den Verhandlungen durchgesetzt habe. Bürgergeld weg, Lieferkettengesetz weg, steuerfreie „Aktivrente“ her: Der Druck war offensichtlich groß, die enttäuschte Basis zu beruhigen. Auch frisch vermählte Koalitionspartner können die „Wir gegen die“-Mentalität nicht abstreifen.
Von den Parteizentralen bis in die Kreisverbände wird nun analysiert, wer sich wo durchgesetzt hat. Auch die F.A.Z. hat sich angeschaut, welche der Forderungen, die den Parteien im Wahlkampf besonders wichtig waren, es in den Koalitionsvertrag geschafft haben.
Gleichstand in der Finanzpolitik
In der Finanzpolitik könnte man von einem Patt sprechen. Die Sozialdemokraten hatten es schon vor dem formalen Beginn der Koalitionsgespräche geschafft, der Union einen Schuldentopf von 500 Milliarden Euro für Investitionen in die öffentliche Infrastruktur und den Klimaschutz abzuringen. In den Verhandlungen selbst durchkreuzte die SPD dann auch noch die Pläne der Union, Arbeitnehmer und Unternehmen bald signifikant zu entlasten. Die Union hat aber auch erreicht, dass die Körperschaftsteuer gesenkt wird, wenn auch zwei Jahre später als gewünscht. Zudem gibt es Steuerbonbons für arbeitende Rentner, für Überstundenleistende, für Pendler. Für die Union war es zudem ein Erfolg, die SPD-Forderung nach Steuererhöhungen für Menschen mit hohen Einkommen oder Vermögen abzuwehren.
Um Investitionsanreize zu schaffen, gelang es der SPD zudem, ihre Wahlkampfforderung eines Deutschlandfonds in den Koalitionsvertrag zu verhandeln. Der Bund will diesen mit zehn Milliarden Euro ausstatten, private Kapitalgeber sollen mindestens weitere 90 Milliarden Euro zuschießen. Das Geld soll in Form von Garantien oder Beteiligungen expansionswilligen Unternehmen beim Wachsen helfen.
Neue Reform des Heizungsgesetzes
Die Klimapolitik wird – das war eine zentrale Forderung der Union – wieder aus dem Wirtschaftsministerium herausgelöst und ins Umweltministerium verschoben. Ebenfalls will Schwarz-Rot wie im Wahlkampf von der Union gefordert das „Heizungsgesetz“ von Robert Habeck (Grüne) „abschaffen“. Da die Klimaziele aber Bestand haben sollen, wird es eine neue Reform des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) geben. Die Maßgabe ist mehr Technologieoffenheit. Die – bei Hauseigentümern beliebte – Förderung des Heizungstauschs soll unter einer schwarz-roten Regierung weitergehen, wobei zugleich die Rede davon ist, die vielen verschiedenen Förderprogramme im Klima- und Transformationsfonds (KTF) grundlegend zu überprüfen. Die von der Union geforderte Prüfung einer Rückkehr zur Kernkraft hat es dagegen nicht in den Vertrag geschafft – in diesem Fall geht der Punkt an die SPD.
In der Sozialpolitik konnte die Union ihre Forderung durchsetzen, das Bürgergeld – zumindest begrifflich – abzuschaffen. Mit der künftigen „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ sollen deren Bezieher wieder stärker zur Aufnahme von Arbeit angehalten werden. In der Rentenpolitik musste indes vor allem die CDU zurückstecken. Die SPD konnte, wenn auch leicht eingeschränkt, ihre Forderung nach stärkeren jährlichen Rentenerhöhungen („Rentenniveau 48 Prozent“) im Koalitionsvertrag verankern. Und die CSU setzte ihr Lieblingsprojekt „Mütterrente“ durch. CDU-Generalsekretär Linnemann hatte vor der Wahl versichert, dass es mit der Union keine weitere Erhöhung der Mütterrente geben werde. Beim umkämpften Thema Mindestlohn bliebt indes unklar, was genau vereinbart ist, insofern haben alle etwas erreicht – die von der SPD erhoffte Anhebung auf 15 Euro je Stunde ist im Vertrag erwähnt, es gibt aber keine Verabredung, dies notfalls gesetzlich zu erzwingen.
In den kommenden Tagen werden die Spindoktoren beider Parteien noch viel damit beschäftigt sein, ihre jeweils durchgesetzten Punkte gegenüber den Mitgliedern als besonders bedeutend zu vermarkten. Wie sehr sie dabei überzeugen, wird man nach dem Mitgliederentscheid der SPD und dem kleinen Parteitag der CDU sehen. Noch ist das Grummeln an der Basis beider Parteien nicht verstummt.
Von Julia Löhr, Corinna Budras, Dietrich Creutzburg, Katja Gelinsky, Manfred Schäfers