Wirkt das bedingungslose Grundeinkommen Wunder?

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Das bedingungslose Grundeinkommen wirkt Wunder. Zumindest für Lara. 15 Jahre rackerte sie sich in einer Tierarztpraxis ab. Als die Kinder kamen, wurde der Stress für sie unerträglich, sie wurde krank, konnte nicht mehr, schmiss den Job hin. Kurz nach der Kündigung dann eine Art Lottogewinn: Sie ergattert ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Für ein Jahr erhielt sie 1000 Euro monatlich. Von dem Geld zahlte sie Medikamente und leistete sich einen weniger lukrativen, aber entspannteren Job in einem Impfteam. „Lara kommt zur Ruhe, geht wieder Reiten und Tanzen, lernt neue Menschen kennen“, heißt es auf der Website des Vereins „Mein Grundeinkommen“, der die monatlichen Zahlungen dank Crowdfundings finanziert. Auch die Krankheitssymptome lassen nach. „Mein Leben ist wieder bunt“, lässt sich Lara zitieren, die, wie sich am Ende des Textes nachlesen lässt, ihren wahren Namen nicht nennen will.

Für die Verfechter des Bedingungslosen Grundeinkommens ist Lara ein sinnbildlicher Fall. Denn das Geld sei nur ein Trick, um den Menschen Selbstvertrauen zu geben. Wer nicht ständig über das Geld nachdenken muss, unternehme sinnvolle, kreative und produktive Dinge – und hilft so auch der Gesellschaft.

Aber stimmt das? Eine Feldstudie scheint den Befürwortern des Grundeinkommens nun Auftrieb zu geben. 107 alleinlebende Personen in Deutschland im Alter von 21 bis 40 Jahren bekamen drei Jahre lang 1200 Euro im Monat überwiesen. Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) haben die Auswirkungen untersucht. Ihr Fazit klingt positiv: Die Profiteure des Zusatzeinkommens zogen sich weder aus dem Arbeitsmarkt zurück – auch nicht kurzzeitig –, noch reduzierten sie ihre Arbeitsstunden signifikant, fassen die Autoren zusammen. „Die Resultate widerlegen gängige Mythen über das bedingungslose Grundeinkommen, insbesondere die Vorstellung, dass es zu einem Rückzug aus dem Arbeitsmarkt kommt“, sagt DIW-Forscher Jürgen Schupp. „Unsere Studie zeigt das Gegenteil – die Teilnehmer blieben aktiv im Arbeitsmarkt und nutzten die Zahlungen in einer Weise, die auf Verantwortung und Fürsorge hinweist.“

Nur ein „Puzzleteil“

Im Vergleich zu einer aus mehr als 1500 Personen bestehenden Kontrollgruppe habe sich gezeigt, dass die Bezieher des Grundeinkommens mehr Geld sparten (447 Euro im Monat), aber auch Familie und Freunde finanziell unterstützten und mehr spendeten. Das subjektive Wohlbefinden, ein übliches Maß in der Glücksforschung, habe sich „signifikant“ verbessert. Auch die mentale Gesundheit habe zugenommen, die Zahl der Krankschreibungen wegen psychischer Beschwerden sei rückläufig gewesen.

Aber wie belastbar sind diese Ergebnisse? Der größte Angriffspunkt der Studie ist die Auswahl der Teilnehmer. Sie wurden nicht repräsentativ aus der Bevölkerung ausgewählt, sondern aus einer Gruppe von mehr als zwei Millionen Menschen, die sich für das Experiment gemeldet haben. Die Teilnehmer auf andere Weise zu rekrutieren, sei überlegt worden, habe sich aber als zu teuer herausgestellt, sagte DIW-Forscher Schupp der F.A.Z. Er betont jedoch, dass trotz der Selbstselektion der Teilnehmer nicht nur Befürworter des Grundeinkommens, die womöglich ohnehin einen Hang zu Selbstverwirklichung und sozialem Verhalten haben, teilgenommen hätten. Jeder Zweite sei ein Kritiker der Idee gewesen, ein Wert, der zu Beginn des Experiments dem gesellschaftlichen Durchschnitt entsprach. Inzwischen sei die Zustimmung zum Grundeinkommen auf etwa ein Drittel abgesackt.

Die Ergebnisse aus Deutschland widersprechen diametral den Ergebnissen einer Untersuchung in zwei amerikanischen Bundesstaaten, bei der die Teilnehmer zufällig ausgewählt wurden. Wie Oxford-Ökonomin Eva Vivalt dort feststellte, reduzierten die Bezieher eines Grundeinkommens ihre Arbeitszeit durchschnittlich um etwa 1,3 Stunden je Woche. Die Arbeitseinkommen seien um vier bis fünf Prozent gesunken. Unter dem Strich habe das dazu geführt, dass jeder geschenkte Dollar das Arbeitseinkommen der Haushalte um 21 Cent verringert habe. „Das ist ein ziemlich substanzieller Betrag“, fasste Forscherin Vivalt zusammen.

Die DIW-Forscher verschweigen diese Gegensätze nicht. Auch die Tatsache, dass das Experiment zeitlich begrenzt ist – die Probanden also wissen, dass sie bald wieder ganz alleine für ihren Lebensunterhalt sorgen müssen – schränke die Aussagekraft ein. Ihre eigenen Ergebnisse bezeichnen sie deshalb auch als „Puzzleteil“ für die große Frage, wie sich ein für alle ausgezahltes Grundeinkommen auswirken würde – wenn es denn jemals eingeführt würde.

In Deutschland kann davon in Zeiten knapper Kassen und weltpolitisch bedrohlicher Lage keine Rede mehr sein. Parteien, die wie die Grünen Sympathien für das Grundeinkommen haben, regieren nicht mehr mit. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD spielt das Grundeinkommen keine Rolle. Im Gegenteil, das Bürgergeld soll reformiert werden und die Sanktionen gegen Menschen, die Arbeitsangebote ausschlagen, verschärft werden.