Manuela Schwesig zu Koalition: Ich wünsche Merz Erfolg

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Frau Ministerpräsidentin, Sie haben als vordringliche Aufgabe für sich definiert, Mecklenburg-Vorpommern vor der AfD zu retten. Eignet sich der nun vorgelegte Koalitionsvertrag von Union und SPD für den Kampf gegen die AfD?

Der Vertrag nimmt vor allem die Bürger im Land in den Blick. Aber er kann auch helfen, wieder mehr Vertrauen in die demokratischen Parteien und in den Staat zu schaffen. Das ist eine Chance dafür, dass sich nicht mehr so viele Bürger der AfD zuwenden werden. Bei der Bundestagswahl haben im Osten weder die CDU noch die SPD gewonnen, weil die Leute sehr frustriert sind mit vielen Dingen. Jetzt haben wir den Grundstein gelegt für mehr Investitionen in die Wirtschaft, In­frastruktur und Bildung. Auch die Energiepreise sollen sinken. Und hoffentlich streitet sich die neue Regierung nicht so sehr wie die alte. Das war ein großes Problem.

Aber an der SPD-Basis ist man nicht ganz so glücklich.

Ich kann die Kritik nicht bestätigen. Bei uns im Landesverband gab es sehr viel Aufatmen über die Vereinbarung. Der SPD war wichtig, dass wir als Allererstes die Finanzfragen klären. Wenn die Bürger sehen, dass wir Geld für Waffen haben und für die Ukraine, was wichtig ist, aber nicht mehr die Aufgaben im eigenen Land erfüllen können, dann gibt es eine gefährliche Konkurrenz. Deswegen war die Grundgesetzänderung so wichtig, damit es eben keine Konkurrenz zwischen militärischer Sicherheit und notwendigen Investitionen in Wirtschaft, Infrastruktur und Sozialstaat gibt. Auch die Senkung der Energiepreise hilft dabei. Und wir investieren mehr in die Bildung und halten die Rente stabil, das unterstützt Familien.

Hat sich die SPD das Sondervermögen für Infrastruktur teuer erkauft mit Kompromissen etwa beim Bürgergeld und der Migration?

Nein. Alle haben das Sondervermögen für die Infrastruktur für notwendig gehalten, um Deutschland zukunftsfest und sicher zu machen. Denn die Sicherheit entscheidet sich nicht allein über die militärische Sicherheit, sie entscheidet sich auch über unsere wirtschaftliche Stärke. Wir müssen dringend die Wirtschaft unterstützen, kleine, mittelständische und große Unternehmen. Nur wenn Deutschland militärisch sicher, aber auch wirtschaftlich stark ist, sind wir wirklich sicher.

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Die SPD wollte für die Finanzierung dieser Sicherheit Spitzenverdiener stärker belasten. Das passiert jetzt nicht.

Wenn der Staat mehr investiert, dann müssen sich auch diejenigen mit sehr hohen Einkommen stärker daran beteiligen. Deswegen wollten wir den Solidaritätszuschlag für die sehr hohen Einkommen nicht abschaffen, was ja die Union gefordert hatte. Darauf haben wir uns verständigt.

Das Bürgergeld wird abgeschafft, Hartz IV kehrt in Teilen zurück. Erwarten Sie dagegen Widerstand an der Basis?

Das wird sicherlich zu Diskussionen führen. Das Bürgergeld wird abgeschafft, wir kehren aber auch nicht zu Hartz IV zurück. Es bleibt eine Grundsicherung für die Menschen, die in Not sind. Und es ist wichtig, dass die Menschen, die arbeiten, sehen, dass ihnen geholfen wird. Deswegen unterstützen wir die arbeitende Mitte wieder stärker. Etwa mit der Pendlerpauschale, die sehr wichtig ist in den ländlichen Räumen. Deswegen ist es auch gut, dass wir am Deutschlandticket festhalten.

Ich fand gut, dass sich Herr Merz in den Koalitionsverhandlungen Zeit genommen und zugehört hat. Uns ist es sehr gut gelungen, in dieser kurzen Zeit und unter dem enormen Druck aufgrund der internationalen Lage, das zu überwinden, was Union und SPD stark auseinandergetrieben hatte. Die Bürgerinnen und Bürger wollen gar nicht hören, wo sich wer durchgesetzt hat, wer wie viele Ministerien bekommt. Sie wollen wissen, was wir gemeinsam machen und dass wir uns einig sind. Das war der Geist bei diesen Koalitionsverhandlungen. Auch wenn ich es bedaure, dass wir die Bundestagswahl nicht gewonnen haben, wünsche ich mir, dass nun ein Kanzler Merz gemeinsam mit Union und SPD Erfolg hat. Nur so kann man das Vertrauen wieder zurückgewinnen.

An der SPD-Basis gibt es die Sorge, dass Markus Söder die SPD gerade in Migrationsfragen vor sich hertreiben wird.

Nein, die SPD hat ja sehr deutlich gezeigt, dass es bei Migration und Sicherheit um die Balance zwischen unserer humanitären Verantwortung und einer Klarheit und Ordnung geht. Wir schieben oft die falschen Leute ab. Gut integrierte Familien, wo die Eltern arbeiten, die Kinder in der Schule und in Sportvereinen sind. Und Straftäter und Gefährder bleiben oft hier. Das versteht doch keiner. Das drehen wir jetzt um. Aber natürlich gibt es im Bereich der Migration auch Punkte, bei denen einige in der SPD Bauchschmerzen haben. Auch bei diesem Thema können wir die Polarisierung nur durch gemeinsames Handeln überwinden. Es ist gut, dass unsere Mitglieder die Möglichkeit haben, darüber zu entscheiden. Ich werbe dafür.

Vor allem aus den Ländern wird gefordert, dass die SPD sich inhaltlich und personell verändert. Fordern Sie das auch?

Die Länderchefs sind sich einig, dass wir eine personelle und auch eine programmatische Erneuerung brauchen. Wenn man – nachdem man den Kanzler gestellt hat – die Bundestagswahl mit 16 Prozent verliert, kann man nicht einfach so weitermachen. Wir in den Ländern, insbesondere in Ostdeutschland, spüren einen massiven Vertrauensverlust. Den hat auch die CDU erlitten. Die Partei des künftigen Kanzlers Merz ist in ganz Ostdeutschland nicht stärkste Kraft geworden – stattdessen die AfD. Das muss einem zu denken geben.

Fordern Sie einen Wechsel an der Spitze?

Ich glaube, es liegt nach diesem Wahlergebnis in der Verantwortung der Parteivorsitzenden, einen Vorschlag für eine personelle und inhaltliche Erneuerung zu machen. Die Parteivorsitzenden haben angekündigt, dass beim Bundesparteitag eine solche Erneuerung stattfinden soll. Ich werde nun aber nicht über die Medien dazu spekulieren.

Man konnte den Eindruck gewinnen, dass der Koalition schon die Aufbruchs- und Veränderungserzählung entglitten ist. Droht ihr ein Schicksal wie der Ampel?

Bei der Ampel hatten wir damals wirklich sehr gute Koalitionsverhandlungen. Es war konstruktiv, es gab eine Aufbruchsstimmung. Trotzdem ist die Ampel durchgehend als Streitregierung wahrgenommen worden. Jetzt gibt es eine nüchterne Herangehensweise. Das ist nach dem Wahlergebnis auch für beide Parteien richtig so. Schließlich ist keiner so richtig Wahlsieger. Die SPD wurde abgewählt, aber die CDU hat in einem ganz großen Landesteil im Osten auch nicht gewonnen. Da sollten jetzt beide mit Pragmatismus und auch mit etwas Demut an die Arbeit gehen und Schritt für Schritt die Bürgerinnen und Bürger überzeugen. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass nicht schon am Anfang, bevor überhaupt die Tinte unter dem Koalitionsvertrag trocken ist, wieder alles zerredet wird. In diesem Vertrag stehen so viele gute Dinge, die unser Land besser machen können.