Es gibt einen Satz im Koalitionsvertrag, der offenkundig Zündstoff enthält: Alle Maßnahmen, auf die sich Union und SPD verständigt haben, stehen unter Finanzierungsvorbehalt. Was das heißt, wurde schon wenige Stunden nach dem großen Einigungsauftritt deutlich. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch äußerte Zweifel, ob die von der CSU durchgesetzte Ausweitung der Mütterrente tatsächlich kommen wird. „Das ist alles vom Finanzierungsvorbehalt natürlich abhängig“, sagte er dem Nachrichtenportal „Politico“.
Dem widersprach die stellvertretende CSU-Vorsitzende Dorothee Bär umgehend. „Die Mütterrente kommt, glauben Sie mir, ganz sicher.“ Ohne Finanzierungstableau darf gerätselt werden, was Union und SPD auf jeden Fall durchsetzen wollen und was sie nur als wünschenswert ansehen. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil gab bei der Vorstellung des gemeinsamen Werks den Hinweis, es gebe nicht ohne Grund den feinen Unterschied zwischen Wollen und Werden.
Danach beginnt die Senkung der Körperschaftsteuer
Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) beziffert die Gesamtkosten der geplanten Entlastungen auf 50 Milliarden Euro. Auch wenn der Bund nicht alles allein finanzieren muss, kommt das zu einer ohnehin reichlich angespannten Finanzlage hinzu. Im Einzelnen rechnen die Ökonomen so: Die degressive Abschreibung von 30 Prozent entlastet die Unternehmen um insgesamt sieben Milliarden Euro im Jahr. Von 2025 bis 2027 soll es sie geben.
Danach beginnt die Senkung der Körperschaftsteuer. In fünf Schritten wird sie um jeweils einen Prozentpunkt gesenkt. Im ersten Jahr würde das die Wirtschaft um etwa vier Milliarden Euro entlasten, heißt es. Die Senkung der Stromsteuer und Deckelung der Netzentgelte in Verbindung mit dem Industriestrompreis mache elf Milliarden Euro aus.
Diverse Änderungen bei den Freibeträgen für Rentner, Ehrenamtler, Alleinerziehende, die höhere Pendlerpauschale und die steuerfreien Überstunden veranschlagt das Institut zusammen auf sieben Milliarden Euro im Jahr. Die Mütterrente nehmen sie mit vier Milliarden Euro hinzu und die gesenkte Mehrwertsteuer in der Gastronomie mit demselben Betrag. Weitere kleinere und größere Versprechen addieren die IW-Forscher auf zwölf Milliarden Euro.
Auch die Ausgaben sollen sinken
Zwar listen Union und SPD im Koalitionsvertrag Punkte auf, mit denen sie den Haushalt besser aufstellen wollen: zehn Prozent weniger Verwaltungsausgaben bis 2029, acht Prozent weniger Stellen, Halbierung der Beauftragungen, weniger Entwicklungshilfe, Kürzung der Förderprogramme um eine Milliarde Euro, Einsparungen beim Bürgergeld. Aber der Gesamteffekt bleibt unklar. Die SPD-nahe Denkfabrik „Dezernat Zukunft“ hält es für möglich, dass die im Koalitionsvertrag genannten Maßnahmen und Ziele das Wachstum der Wirtschaft langfristig um 0,4 Punkte auf 1,2 Prozent steigern. Sie schätzt aber auch die Lücke zwischen geplanten Mehrausgaben und angekündigten Einsparungen auf „mindestens 50 Milliarden Euro“. „Viele Ausgaben- und Einsparpläne bleiben im Diffusen“, heißt es.
Nicht nur wegen des fehlenden Finanztableaus ist es fraglich, wie viele der Vorhaben überhaupt umgesetzt werden können. Auch die wirtschaftliche Entwicklung könnte den Koalitionären noch einen Strich durch die Rechnung machen. Union und SPD setzen darauf, dass allein durch die Ankündigungen der vergangenen Tage und Wochen – allen voran des 500 Milliarden Euro großen Sondervermögens für Infrastruktur und Klimaschutz – wieder Aufbruchstimmung in der deutschen Wirtschaft entsteht, die Unternehmen mehr investieren und ihre Stellenabbaupläne beiseitelegen. Doch ob dies gelingt, ist nicht gesagt, was nicht nur mit den Entwicklungen in Berlin zusammenhängt.
Steuereinnahmen auch von Trump-Zöllen abhängig
Die höheren Zölle, die der amerikanische Präsident Donald Trump auf Autos aus der EU, aber auch auf andere Waren verhängt hat, könnten die Nachfrage in den USA nach deutschen Produkten spürbar senken. Und da die Unternehmen Zölle meist nur teilweise auf die Verkaufspreise umlegen können, wird wohl auch die Gewinnmarge der Unternehmen sinken. Weniger Gewinn in der Privatwirtschaft bedeutet weniger Steuereinnahmen für den Staat. Fallen Arbeitsplätze weg, fehlen neben Steuern auch noch Beiträge für die Sozialversicherungssysteme.
Der Koalitionsvertrag ist auf Wachstum gebaut, doch das ist vorerst nicht in Sicht. Die Ende Januar von Nochwirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) genannte Prognose von 0,3 Prozent Wirtschaftswachstum in diesem Jahr wurde von Trumps Handelspolitik überholt. Die fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute stellten am Donnerstag in ihrer neuen Gemeinschaftsdiagnose in Berlin 0,1 Prozent in Aussicht. Die höheren Stahl- und Autozölle sind dabei schon berücksichtigt, die am 2. April von Trump verhängten zusätzlichen Zölle auf alle Importe noch nicht. Mit ihnen halten die Ökonomen bestenfalls eine Stagnation für möglich, es könnte aber auch ein drittes Rezessionsjahr in Folge geben. Für 2026 erwarten die Institute eine Zunahme der Wirtschaftsleistung um 1,3 Prozent. Darin enthalten ist der erwartete Wachstumsschub von 0,5 Prozent durch das Sondervermögen. Es handelt sich um die 150. Gemeinschaftsdiagnose seit 1950.
Wann in den Wachstumsraten tatsächlich wieder die ersehnte und auch schon oft prognostizierte Eins vor dem Komma erscheint, ist angesichts von Trumps erratischer Politik offen. Unisono mahnen Ökonomen dieser Tage, die Bundesregierung müsse die dringend nötigen Strukturreformen etwa in den sozialen Sicherungssystemen zügig angehen. Doch mit dem Ausgeben von Geld tat sich die Politik schon immer leichter als mit dem Kürzen von Ausgaben. Die schwarz-rote Koalition ist da keine Ausnahme.