Neues Wirtschaftswachstum steht als großes Ziel vorn im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. Wer einem ganzen Land mehr Schwung geben will, wer die Wirtschaft beflügeln will, wer Menschen zu risikoreichen und damit hoffentlich auch ertragreichen Engagements motivieren will, der muss ihnen Mut machen und ihnen in Aussicht stellen, dass sich ihr Einsatz lohnt. Deswegen ist das Steuerrecht für jedes Regierungsprojekt von zentraler Bedeutung. Daher auch dieses Mal die Frage: Setzen Union und SPD in der Finanzpolitik die richtigen Schwerpunkte?
Erste Reaktionen aus der Wirtschaft sind verhalten freundlich ausgefallen – obwohl die Reformversprechen überschaubar sind. Vor allem ist die Erleichterung groß, dass es bei Weitem nicht so schlimm gekommen ist, wie nach dem Bericht der zuständigen Arbeitsgruppe zu befürchten war. Auch wenn dort fast alles strittig geblieben ist, hatte das Papier das Unternehmerlager ernsthaft beunruhigt. Was die SPD als steuerpolitische Ziele formulierte, hatte die Qualität von Donald Trumps Zollankündigen – es hätte das Zeug gehabt, sämtliche Wachstumshoffnungen in kürzester Zeit implodieren zu lassen. Mit einer Wiederbelebung der Vermögensteuer, mit einer deutlich stärkeren Belastung von Spitzeneinkommen, mit einer Erhöhung der Abgeltungsteuer würde sich jeder bestraft fühlen, der investiert, mehr leistet, spart.
Dieser Blick in den Abgrund bleibt dem Land glücklicherweise erspart. Aber ist deswegen schon gut, was unter der Überschrift „Wirkungsvolle Entlastungen, stabile Finanzen, leistungsfähiger Staat“ im Koalitionsvertrag steht? Die Antwort verlangt ein Durchdeklinieren der diversen Pläne.
Nur vage Aussagen in wesentlichen Punkten
Für Unternehmen gibt es die Zusage, vom Jahr 2028 an die Körperschaftsteuer jedes Jahr um einen Prozentpunkt zu senken, um unter Einschluss der Gewerbesteuer nach fünf Jahren auf eine Gesamtbelastung von durchschnittlich 25 Prozent zu kommen. In vielen Industrieländern zahlen Unternehmen schon heute nur so viel oder noch weniger. Hinzu kommt, dass ein höherer Mindesthebesatz in der Gewerbesteuer das schwarz-rote Entlastungsversprechen relativiert. Richtig ambitioniert ist das Vorgehen von Union und SPD somit nicht. Doch zumindest die Richtung stimmt, zumal es vorher noch eine attraktive Sonderabschreibung geben soll. Das stärkt die Liquidität investierender Unternehmen.

In der Einkommensteuer ist die CDU-Agenda für die Fleißigen von den Sozialdemokraten entkernt worden. Zum Steuertarif gibt es nur die vage Aussage, ihn für kleine und mittlere Einkommen zur Mitte der Legislaturperiode zu senken. Es gibt keinen Hinweis, wie groß die Entlastung sein soll. Es gibt keinerlei Anzeichen, dass die neuen Partner die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz verschieben wollen. Im Wahlkampf war Konsens, dass dies geboten wäre, denn immer öfter schlagen Spitzensteuersatz und Sozialbeiträge doppelt zu, sodass die Abzüge eine eigentlich schöne Gehaltserhöhung verkümmern lassen. Und was ist mit dem Ausgleich der kalten Progression? Im Koalitionsvertrag findet sich dazu nichts. Wird der Steuertarif nicht regelmäßig angepasst, wenn das Leben teurer wird, steigt schleichend die Belastung der Steuerzahler, weil sie sich mit dem verbleibenden Netto weniger leisten können.
Punktuelle Verbesserungen statt allgemeiner Tarifkorrektur
Statt einer allgemeinen Tarifkorrektur gibt es punktuelle Verbesserungen: Zuschläge für Überstunden werden steuerfrei gestellt. Wer im Rentenalter arbeitet, kann 2000 Euro im Monat steuerfrei einstreichen. Wege zur Arbeit werden stärker berücksichtigt. Bauern erhalten den verbilligten Agrardiesel zurück. Gastronomen profitieren vom Steuerrabatt aufs Essen. Doch Ausnahmen sind im Steuerrecht grundsätzlich mit Vorsicht zu genießen. Sonderregelungen für wenige mindern den Spielraum, alle zu entlasten – und laden zu Gestaltungen ein.
Deutschlands Wirtschaft wächst schon länger kaum noch. Mit dem von Trump verursachten Zollchaos droht das dritte Rezessionsjahr. Das lässt erahnen, wie groß die Aufgabe der nächsten Regierung ist. Entscheidend ist auf dem Platz, besagt eine alte Fußballerweisheit. Soll heißen: Die beste Strategie hilft nichts, wenn im Spiel Einsatz und Wille nicht vorhanden sind. Ähnliches gilt auf dem Feld der Politik. Ein guter Plan ist hilfreich, aber noch wichtiger ist, was die Regierung daraus macht – zumal Entscheidendes häufig erst im Laufe einer Legislaturperiode passiert, Dinge, die keiner auf dem Schirm haben konnte. So wächst die Spannung, wie sich das von Friedrich Merz angeführte Kabinett schlagen wird.