Wissing im Gespräch über Bahn, Lindner und blockiertes Geld

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Herr Wissing, Sie arbeiten seit einem Monat parteilos als Bundesverkehrsminister. Ist das eine Last oder fühlen Sie sich befreit?

Es ist ein anderes arbeiten, schon allein weil ich mit dem Bundesjustizministerium noch ein zweites Ressort übernommen habe. Insgesamt ist meine Arbeitsbelastung also nicht gesunken, auch wenn andere Abstimmungen mit der Partei und der Fraktion weggefallen sind. Dass ich die Spannungen innerhalb der Koalition schwierig fand, ist kein Geheimnis, insofern hat das Ende der Ampel-Regierung in gewisser Weise etwas Klärendes. Aber schön finde ich das nicht.

Arbeiten Sie jetzt mit dem neuen Bundesfinanzminister Jörg Kukies besser zusammen?

Die Situation ist jetzt eine völlig andere, weil wir keinen Bundeshaushalt haben und mit der vorläufigen Haushaltsführung zurechtkommen müssen. Es fehlt auch der Nachtrag zum Haushalt 2024. Aber die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut.

Am Wochenende schließen Sie ein großes Projekt Ihrer Amtszeit ab: Am Samstag wird die Riedbahn wiedereröffnet und damit ist der erste Abschnitt der Generalsanierung fertig. Heißt das: Operation geglückt?

Ja, die Riedbahn wird freigeben – termingerecht. Der Verkehr kann wieder fließen und wird sukzessive hochgefahren. Man kann also sagen: Das, was Viele für unmöglich gehalten haben, nämlich innerhalb von fünf Monaten so eine große Strecke zu erneuern, ist geglückt.

Es ist der Auftakt für eine ganze Reihe von Sanierungen, einige noch deutlich größer als die Bauarbeiten bei der Riedbahn. Nächstes Jahr wird die Strecke Berlin-Hamburg saniert. In der Bahnbranche sind die Befürchtungen groß, dass es nicht so glimpflich abläuft.

Berlin – Hamburg ist natürlich eine andere Strecke. Es ist eine noch längere Trasse, die anderen Herausforderungen unterliegt. Die Riedbahn war die größte Operation, weil die Vollsperrung einen umfangreichen Schienenersatzverkehr erforderlich gemacht hat. Das war eine der großen Unbekannten. Wenn man eine so kurze Bauzeit hat, wie bei der Riedbahn, muss man sich so perfekt organisieren, damit alles ineinandergreift. Hier gab es keine Verzögerungen durch Lieferengpässe oder andere Dinge. Besonders gelungen war das Baustellenmanagement. Es wurde so optimiert, dass alle auftretenden Probleme direkt vor Ort gelöst wurden. Wir haben das sehr eng begleitet und konnten so bei auftretenden Problemen schnell gemeinsam gegensteuern. Da sind sehr viele neue, auch innovative Ansätze zum Einsatz gekommen und das erfolgreich. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass auch die weiteren Korridore gelingen werden.

Wieso hat diesmal funktioniert, was vorher nicht funktioniert hat?

Man muss die Kräfte bündeln. So eine Sanierung muss die volle Aufmerksamkeit von politischer Seite, aber natürlich auch von Vorstandsseite haben. Und man braucht ein Team, das zusammenarbeiten will. Das ist entscheidend. Wenn es Reibungsverluste gibt und nicht jeder den anderen unterstützt, kommt es meist zu Problemen.

Was Sie jetzt so gelassen aussprechen, hätte man sich ja schon viel früher gewünscht. Glauben Sie, dass die Deutsche Bahn jetzt auf dem richtigen Weg ist?

Die Deutsche Bahn und die Bauindustrie haben zunächst einmal allen gezeigt, was sie können. Wir haben mit dieser Baustelle ein Projekt, das dem Anspruch Deutschlands an die eigene Infrastrukturleistung gerecht wird. Das wird sogar im Ausland bewundert. Die Beteiligten sind stolz darauf, dass sie das geschafft haben und das können sie auch sein. Sie haben diejenigen, die gesagt haben, die Bahn kann das nicht, eines Besseren belehrt. Die Sanierung der Riedbahn hat auch gezeigt: Man kann mit diesem Team eine hervorragende Leistung bringen, wenn man es unterstützt und wenn man es auch entsprechend führt. Man muss sich kümmern. Das zahlt sich für alle aus.

Allerdings kostet die Generalsanierung etliche Milliarden zusätzlich. Derzeit gibt es nicht einmal einen Haushalt für das nächste Jahr geschweige denn eine Mittelfristplanung bis 2027. Kann die Bahn die Generalsanierung überhaupt durchhalten?

Mit dem Ende der Ampel-Regierung ist auch die Bahn in eine Stresssituation geraten. Wir stehen jetzt vor einigen, nicht unerheblichen offenen Finanzierungsfragen, die wir gerade klären.

Schon für dieses Jahr fehlen der Bahn noch 2,7 Milliarden Euro, die Sie versprochen haben. Fließt das Geld noch in diesem Jahr?

Jedenfalls würde es sehr teuer, wenn die Bahn Zwischenkredite aufnehmen müsste, um die Lücke zu schließen. Das Geld ist beschlossen und im Haushalt 2024 eingestellt. Es wäre unverantwortlich, das Geld nicht in diesem Jahr zu überweisen. Alle Parteien sollten auch daran denken, dass sie diese Probleme dann in der nächsten Legislaturperiode selbst auf dem Tisch haben, wenn sie regieren wollen. Und das wollen ja alle. Verhandlungen über offene Finanzfragen können sehr fordernd sein. Soviel kann ich aus Erfahrung sagen.

Die Bahn muss im Monat neun Millionen Euro zahlen, weil der Haushaltsausschuss eine Zahlung von 2,7 Milliarden Euro derzeit nicht freigibt. Ist das symptomatisch für die Probleme der Bahn?

Bei der Bahn sind Finanzfragen immer in die Zukunft vertagt worden, ohne dass man sie abschließend geklärt hat. Das behindert die politische Sacharbeit schon sehr. Das muss man nüchtern feststellen.

Mit der Idee eines Infrastrukturfonds wollten Sie Ruhe reinbringen. Das ist Ihnen nicht gelungen. Woran hat es gelegen?

Ich habe den Vorschlag für einen Infrastrukturfonds gemacht, nachdem es so große Schwierigkeiten gab, die notwendigen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Mir war klar: So wie bisher kann das nicht weitergehen. Es kann nicht sein, dass wir ständig unseren Investitionsbedarf identifizieren und dann die Finanzierungsfrage offenbleibt. Mit einem Infrastrukturfonds lassen sich diese Fragen nachhaltig klären und vor allen Dingen über einen längeren Zeitraum, sodass die Wirtschaft auch Kapazitäten aufbauen kann. Das war das Ziel. Also haben wir an diesem Infrastrukturfonds gearbeitet und wir hätten ihn jederzeit umsetzen können.

Gescheitert ist er an den damaligen Bundesfinanzminister Christian Lindner?

Das möchte ich nicht weiter kommentieren. Aber klar ist: Nachdem die Ampelregierung jetzt beendet ist, gibt es keine parlamentarische Mehrheit dafür.

Aber das Konzept ist fertig und Sie könnten es jederzeit rausholen?

Wir haben diese Dinge weit entwickelt, um auch für künftige Koalitionsverhandlungen etwas an die Hand geben zu können. Das werden wir zu gegebener Zeit auch tun. Damit könnte in einem Koalitionsvertrag ein Infrastrukturfonds so hinreichend präzise formuliert werden, dass man am Ende auch in die Umsetzung gehen kann. Wir brauchen einen Infrastruktur-Investitionsfonds, sonst wird dieses Land mit ernsten Infrastrukturproblemen konfrontiert.

Und wie soll der aussehen? Wollen Sie weiterhin, dass sowohl Straßenbau als auch das Schienennetz aus diesem Topf finanziert werden?

Die aktuellen Verkehrsprognosen sagen ein starkes Wachstum vor allem auf der Schiene voraus. Das ist ohne kräftige Investitionen in das Schienennetz nicht zu bewältigen. Der Verkehr wird nicht pünktlich und auch nicht zuverlässig abgewickelt werden können, wenn die Schiene nicht weiter auf Vordermann gebracht wird. Diese politischen Diskussionen der vergangenen Jahre – mehr Straße statt Schiene oder umgekehrt mehr Schiene statt Straße – treffen nicht den Kern des Problems. Das Problem ist: Wir haben ein marodes Schienennetz und gleichzeitig einen Zulauf im Personenverkehr von 60 Prozent bis ins Jahr 2040. Wer jetzt meint, man könne die Investition in die Schiene ein bisschen langsamer angehen, wird Millionen unzufriedener Bahnkunden sehen. Dann wird die Bahn nämlich nicht pünktlicher. Gleichzeitig brauchen wir Investitionen in die Straße, weil wir hier Engpässe haben. Insbesondere der Güterverkehr wird auf der Straße zunehmen. Das liegt auch an der Art der transportierten Güter. Das bedeutet: Überall dort, wo heute Engstellen sind, wird es künftig Staustellen geben. Das wird zu massiver Frustration und zu erheblichen wirtschaftlichen Einbußen führen, wenn man das nicht angeht. Deswegen muss auch die Engpassbeseitigung ausfinanziert werden.

Und das bedeutet konkret? Sie haben für die Schiene 27 Milliarden Euro bis 2029 eingeplant, zusätzlich zu den 86 Milliarden Euro aus früheren Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen.

Das wird nicht reichen. Eines muss man wissen: Wer diese Korridorsanierung einmal unterbricht, fängt erst zwei Jahre später wieder damit an. Das ist wie eine Kette. Die kann man nicht einmal kurz unterbrechen und dann sagen: Wir machen drei Monate später da weiter, wo wir waren. Dann fängt man wieder von vorne an, und die Vorbereitung dauert eben zwei Jahre. Deswegen haben wir auch erst Mitte 2024 angefangen mit der ersten Sperrung, obwohl wir daran schon viel länger arbeiten. Parallel dazu haben wir natürlich schon die nächsten Korridore vorbereitet, deshalb können wir jetzt direkt nächstes Jahr weitermachen.

Und das ist nur die Schiene….

…dann brauchen wir noch zusätzliches Geld für die Straßen, und zwar für die Sanierung der Autobahnbrücken und für die Beseitigung von Engpässen.

Bedeutet: Die Autobahnen müssen ausgebaut werden?

Es geht in Deutschland nicht darum, dass man zehn neue Autobahnen durch das Land baut. Wo sollen die denn hin? Wir haben schon ein sehr enges Straßennetz, aber wir müssen gezielt die Engpässe in diesem Netz beseitigen. Die Debatte in Europa ist eine völlig andere, als hier bei uns: Wie können wir unsere europäischen Verkehrsnetze ausbauen? Sowohl auf der Straße als auch auf der Schiene. Wir müssen unsere Infrastruktur auch unter Sicherheitsaspekten ansehen. Können wir die Infrastruktur so ausbauen, dass wir den Binnenmarkt weiter stärken? Auch die Ukraine soll stärker an die Europäische Union heranwachsen. Wie soll das funktionieren, wenn es keine ausreichenden Verkehrswege gibt? Die baltischen Staaten wollen enger mit uns zusammenarbeiten. Wie soll das gehen, ohne dass wir Verkehrswege ausbauen? Unsere Sicherheitsarchitektur in Europa verändert sich gerade massiv und das bedarf auch Anpassungen größerer Art bei den Verkehrswegen. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Verkehrswegen und Sicherheit und den kann ich nicht einfach negieren.

Wenn man das alles überschlägt, kommt man locker auf 200 Milliarden Euro, die in solch einen Infrastrukturfonds müssten.

Die konkrete Summe hängt von der Ausgestaltung ab. Zum Beispiel von der Frage, wie viel man aus dem regulären Haushalt finanzieren möchte.

So oder so – das macht es noch wichtiger, die Milliarden auch zu steuern. Das sollte bei der Bahn über den Infraplan erfolgen, der bis Ende des Jahres erstellt werden sollte. Kommt der noch?

Das Ziel war, den Infraplan in diesem Jahr abzuschließen, aber das können wir nicht final. Die Finanzierung des Bundes muss stehen, bevor wir den Infraplan finalisieren können. Aber das bedeutet natürlich nicht, dass ungesteuert in die Infrastruktur investiert wird. Es entsteht kein Steuerungsvakuum und auch kein Sanierungsvakuum. Natürlich verfolgen wir schon jetzt ganz genau und sehr engmaschig, was die Bahn macht. Zentrale Dinge wie die Korridorsanierung stehen fest, das ist auch gesetzlich verankert. Die Arbeiten für einen Infraplan sind weit fortgeschritten, aber man kann ihn erst sinnvoll finalisieren, wenn der Bundeshaushalt steht.

Ein Großteil der Milliarden für die Bahn soll als Eigenkapital fließen, damit sie nicht unter die Schuldenbremse fallen. Jetzt, wo Sie ganz frei denken können: War das eine kluge Idee?

Das Eigenkapital führt auch zu Problemen – beispielsweise bei den Trassenpreisen, weil die sich damit automatisch erhöhen und den Schienenverkehr teurer machen. Wir haben uns deshalb für andere Lösungen eingesetzt.

Der Vorschlag kam aus dem Bundesfinanzministerium.

Das Bundesverkehrsministerium hat die Aufgabe, Infrastrukturkonzepte zu erarbeiten und zu priorisieren. Das Finanzministerium hat die Aufgabe, die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen.

Was raten Sie denn der neuen Bundesregierung? Soll man die fehlenden Milliarden weiter über eine Erhöhung des Eigenkapitals bereitstellen, also auf Pump finanzieren?

Das Eigenkapital der Bahn zu erhöhen, ist nur bis zu einer gewissen Grenze möglich. Die noch fehlenden Milliarden über diesen Weg zu beschaffen, wäre keine gute Idee. Da muss man sich etwas anderes einfallen lassen. Da wäre meines Erachtens ein Infrastrukturfonds die beste Lösung.

Soll der auf die Schuldenbremse angerechnet werden?

Das sind keine Fragen, mit denen ich mich als Infrastrukturminister befasse. Die Bahn hat einen Finanzbedarf, den niemand in Frage stellt. Ich kenne jedenfalls niemanden, der das tut. Wenn man also diesen Bedarf festgestellt hat und der unstreitig ist, dann muss man die Möglichkeiten der Verfassung auch ausschöpfen, um das notwendige Geld zur Verfügung zu stellen. Das Grundgesetz gibt den Rahmen vor. Innerhalb dieses Rahmens muss das Notwendige veranlasst werden.

Derzeit wird ja diskutiert, diese Grenzen aufzuweichen und die Schuldenbremse zu reformieren. Wie halten Sie es damit?

Ich bin einer der Verfasser der Schuldenbremse als Mitglied der Föderalismuskommission II. Wir haben uns damals intensiv mit diesen Fragen beschäftigt, sogar mit dem Thema Pandemie. Allerdings haben wir uns zu wenig mit der Frage beschäftigt, was passiert, wenn direkt nach einer Pandemie die wirtschaftliche Erholung nicht so schnell erfolgt, wir gleichzeitig noch eine Störung globaler Lieferketten haben, geopolitische Stresssituationen entstehen und dann vielleicht noch ein Krieg in Europa ausbricht. Das konnten wir damals alles nicht in dem Ausmaß bedenken. Aber klar ist doch auch, dass der Staat in jeder Situation handlungsfähig sein muss. Dann muss man eben überlegen, wie bekommt man das hin? Das Grundgesetz ist so auszulegen, dass der Staat seine notwendigen Ausgaben tätigen kann, beispielsweise um die Sicherheit zu gewährleisten, um seine Bevölkerung zu schützen. Deswegen kann es nicht sein, dass wir in eine Situation geraten, in der wir unsere Autobahnbrücken nicht bezahlen können, weil vermeintlich Schuldenregeln entgegenstehen. So ist die Verfassung mit Sicherheit nicht auszulegen.

Herr Wissing, wie geht es bei Ihnen persönlich nach den Neuwahlen im Februar weiter?

Für den Bundestag kandidieren werde ich jedenfalls nicht. Alles andere wird sich finden, wenn es soweit ist. Ich bin ja auch selbstständiger Anwalt mit einer eigenen Kanzlei und habe nach wie vor eine Anwaltszulassung. Und ehrlich gesagt fordern die Dinge, die bis dahin noch zu erledigen sind, meine volle Aufmerksamkeit.