Pläne für Steuererhöhungen finden sich zwar in einigen Wahlprogrammen, doch richten sie sich meist an nicht näher spezifizierte, mutmaßlich aber wenige, dafür finanzstarke Personen. Ihnen mehr abzuverlangen, trifft bei vielen auf Zustimmung. Doch die Reichen und Superreichen, so der routinierte Einwand, sind eben nicht nur reich, sondern auch mobil. Würde man auch nur versuchen, sie zur Steuerkasse zu bitten, würden sie sich schnell ein anderes Land suchen, in dem ihr Reichtum vor dem Zugriff des Staates besser geschützt ist.
Ob es im Fall einer Steuererhöhung zu einer Massenauswanderung der oberen Zehntausend käme, ist jedoch fraglich. Aus den Statistiken lässt sich ablesen, dass vor allem hoch bezahlte Fußballstars und Wissenschaftler geneigt sind, aus steuerlichen Gründen auszuwandern. Für wohlhabende Personen mag es leichter sein als für andere, den Wohnort zu wechseln. Aber auch sie haben Gründe, einen Umzug zu scheuen. Hierzu zählt die Verankerung in einem beruflichen, sozialen und familiären Umfeld, das in der Regel an einen bestimmten Ort gebunden ist. Außerdem können sie ihre Qualifikationen und Fähigkeiten nicht überall zur Geltung bringen.
Und schließlich können selbst bei Personen, die durch den Zufall der Geburt oder eigene Leistungen zu Wohlstand gekommen sind, moralische Überlegungen einem finanziell motivierten Umzug entgegenstehen. Viele Reiche bemühen sich darum, zumindest den Anschein einer dem Gemeinwohl verpflichteten Existenz zu wahren. Steuerflucht würde derartigen Bemühungen zuwiderlaufen.
Kein Exodus der Reichen
Im Detail ist bislang allerdings wenig bekannt darüber, warum Reiche sich dafür oder dagegen entscheiden, ihren Wohnort zu wechseln. Einen Einblick in ihre Motive gibt eine kürzlich veröffentlichte Studie britischer Soziologen, die Interviews mit 35 wohlhabenden, überwiegend in London lebenden Personen geführt haben. Im Vereinigten Königreich gilt die Sorge, dass Spitzenverdiener und Vermögende das Land verlassen würden, als ein Haupthindernis für eine Steuerreform.
Die Medien berichteten ausführlich über die steuerlich motivierte Abwanderung von milliardenschweren Unternehmern wie Richard Branson oder Jim Ratcliffe. Jenseits prominenter Einzelfälle belegen die Zahlen jedoch nicht, dass Steuerreformen und -erhöhungen zu einem Exodus der Reichen geführt hätten. Dieser Befund entspricht auch den Auskünften der für die Studie befragten Personen. Keine von ihnen äußerte, dass sie vorhätte, aus steuerlichen Gründen auszuwandern.
Auf den Bahamas gibt es keine Oper
Die große Mehrheit gab vielmehr zu Protokoll, dass sie weder einen Umzug nach Großbritannien noch einen Wegzug aufgrund der Steuerbelastung in Betracht ziehen würden. Auch diejenigen, die bereits einmal ausgewandert waren oder sich aktuell außerhalb Großbritanniens aufhielten, hatten dafür berufliche oder familiäre Gründe. Sofern damit Steuervorteile verbunden waren, erfuhren einige von diesen erst, als sie die neuen Regeln in der Praxis kennenlernten. Sie gaben zwar zu, bei extremen Steuererhöhungen eine Auswanderung in Erwägung zu ziehen, hielten dies aber für wenig realistisch.
Obwohl nicht nur hohe Steuersätze, sondern gerade in London auch die hohen Lebenshaltungskosten als Standortnachteil wahrgenommen werden, sahen die meisten Befragten wenig Anlass auszuwandern. Schon bei der Darstellung der eigenen Motive bemühten sich die meisten darum, sich von Personen, die nur auf ihren finanziellen Vorteil aus sind, abzugrenzen. Auch auf die typischen Ziele von Steuerflüchtlingen blickten sie mit Herablassung: Auf den Bahamas gebe es kein Theater, in Dubai kein Bier, und in der Schweiz sei es schlicht langweilig.
Gegenüber dem Stigma dieser und anderer Steuerparadiese wird Städten wie London und New York aufgrund ihres ortsgebundenen kulturellen Kapitals eine hohe Anziehungskraft attestiert. Nur sie böten eine angemessene Infrastruktur für einen gehobenen Lebensstil. Hinzu kommt, dass man in diesen Städten – insbesondere in bestimmten Vierteln – vor allem auf seinesgleichen trifft. Dort zu wohnen – und gesehen zu werden –, ist daher ein unbezahlbares, aber auch sehr kostspieliges Distinktionsmerkmal.
In Ermangelung einer mit London vergleichbaren Metropole wohnen wohlhabende Deutsche eher selten in Berlin, dafür in Hamburg, München und Düsseldorf, aber auch in Bad Homburg, Neckarsulm und am Tegernsee. Viel aufregender als in der Schweiz ist das Leben dort nicht. Aber vielleicht sind die Steuern in Deutschland ohnehin niedrig genug, um diese Abwägung überflüssig zu machen.