Unbewusstes Lernen im Gehirn

8

Jeder kennt es: Die Gedanken schweifen ab, während man konzentriert bei einer Aufgabe bleiben sollte. Man sitzt im Büro und starrt auf den Bildschirm, während der Kopf plötzlich über das geplante Abendessen oder das nächste Wochenende nachdenkt. Oder man muss eigentlich lernen, aber anstatt sich Systemtheorie anzueignen, denkt man über den nächsten Sommerurlaub nach. Experten schätzen, dass wir zwischen 30 und 50 Prozent unseres (wachen) Lebens in diesem Zustand der Abschweifungen verbringen.

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Gedankenabschweifen die Leistung bei Aufgaben, die hohe Aufmerksamkeit erfordern, negativ beeinträchtigt. Aber ist es wirklich immer schlecht oder unproduktiv, wenn die Gedanken wandern? In einer neuen Veröffentlichung im „Journal of Neuroscience“ wirft ein Forscherteam aus Ungarn, Frankreich und Norwegen einen Blick auf die möglichen Vorteile des Gedankenabschweifens und kommt zu überraschenden Ergebnissen: Unter gewissen Umständen könnte es das Lernen sogar fördern.

Hilfe bei unbewussten Lernprozessen

Die Forscher gingen der Frage nach, ob Gedankenabschweifen spezifische Lernprozesse begünstigen könnte, etwa den Lernvorgang, durch den wir statistische Muster unbewusst erkennen. Dieser Prozess wird auch probabilistisches Lernen genannt. Während bewusste Lernprozesse wie das Erlernen eines neuen Musikstücks oder die Anwendung einer mathematischen Formel viel Aufmerksamkeit erfordern, handelt es sich hierbei um eine passivere Form des Lernens, die weniger Aufmerksamkeit beansprucht.

Die Wissenschaftler ermittelten mithilfe der Elektroenzephalographie (EEG) die neuronale Aktivität von knapp 40 ungarischen Studierenden, während sie Aufgaben unter Zeitdruck abarbeiteten. Hierzu mussten die Studienteilnehmer möglichst schnell und genau auf Pfeile auf einem Computerbildschirm reagieren. Gleichzeitig sollten sie unbewusst die sich wiederholende Reihenfolge erkennen, um anschließend schneller reagieren zu können. Die Studierenden wurden außerdem nach jedem Abschnitt angehalten, darüber zu reflektieren, inwieweit ihre Gedanken bei der Bearbeitung der letzten Aufgabe abgeschweift waren.

Wie die Ergebnisse der Studie zeigen, hat Gedankenabschweifen nicht nur keine negativen Auswirkungen auf das probabilistische Lernen, sondern in einigen Fällen sogar die Leistung der Teilnehmer gesteigert. Dies war besonders dann der Fall, wenn das Abschweifen spontan und nicht absichtlich auftrat. Die Analyse der Hirnstromkurven ergab zudem, dass langsame Hirnwellen, die mit bestimmten Schlafzuständen und tiefem Entspannen verknüpft sind, immer wieder auftreten – und nicht nur, wenn die Gedanken wanderten, sondern auch, wenn sich das Lernen selbst verbessert hatte. Besonders in der ersten Hälfte der Aufgaben profitierte das Lernen vom Abschweifen, noch in der Phase also, wenn die Studienteilnehmer die Reihenfolge der Symbole lernen mussten. In der zweiten Hälfte, als das neue Wissen sich zu stabilisieren begann, trat der positive Effekt nicht mehr auf, das Lernen wurde in erster Linie durch weiteres Üben und Wiederholen unterstützt.

Nach Ansicht der Studienautoren eröffnen diese Erkenntnisse eine Perspektive darauf, was unser Gehirn tut, wenn es scheinbar offline ist: „Die meisten kognitiven Studien beschäftigen sich mit Lernen, wenn man voll engagiert ist.“ sagt Péter Simor von der Universität Budapest. „Aber im wirklichen Leben verbringen wir so viel Zeit mit passivem Lernen.“ Ähnlich wie unser Gehirn zum Lernen Schlaf brauche, benötigten wir, so vermutet er, auch solche passiven Lernmethoden und wachen Ruhephasen, um uns von den Aufgaben zu erholen, für die unser Gehirn aktiv und engagiert sein muss.