Propalästinensischer Aktivist darf vorerst in Deutschland bleiben

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Vergangene Woche wurde bekannt, dass das Berliner Landesamt für Einwanderung drei EU-Bürgern, die sich an gewaltsamen propalästinensischen Protesten beteiligt haben sollen, die Freizügigkeitsrechte abgesprochen hat. Außerdem verhängte die Behörde Aufenthalts- und Einreiseverbote und drohte Abschiebungen an. Die Betroffenen sind dagegen vor das Verwaltungsgericht gezogen, das über den ersten Fall nun vorläufig entschieden hat. Das Gericht gab einem Iren recht, der Deutschland vorerst nicht verlassen muss. An der Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung haben die Richter „ernstliche Zweifel“.

Gegen den Iren laufen derzeit 17 Ermittlungsverfahren zu Straftaten, die er auf Versammlungen zum Nahostkonflikt begangen haben soll. Die Vorwürfe reichen von Beleidigungen, über Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bis zu schwerem Landfriedensbruch, den der Mann bei der Stürmung des Präsidiums der Freien Universität Berlin im vergangenen Oktober begangen haben soll. Keines der Verfahren ist abgeschlossen. Das halten auch die Richter fest, die zugleich auf die strengen Voraussetzungen verweisen, die für Eingriffe in die EU-Freizügigkeit gelten. Paragraph 6 Freizügigkeitsgesetz schreibt vor, dass es um eine Gefährdung der „öffentliche Ordnung oder Sicherheit“ gehen muss. „Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht“, heißt es weiter. Von der Person müsse vielmehr eine aktuelle und schwere Gefahr ausgehen, „die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“.

Vorwurf an das Landesamt

Was aus der Formulierung folgt, dass eine Verurteilung allein nicht reiche, ist umstritten. Manche Juristen meinen, ohne Verurteilung gehe es nicht. Die Richter der 24. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts sehen es anders. Zugleich stellen sie klar: Stütze sich der Entzug der Freizügigkeit nicht auf ein Urteil, dann bedürfe es „übereinstimmender, objektiver und genauer Anhaltspunkte“ für die Gefahr. Das persönliche Verhalten des Betroffenen müsse umfassend geprüft werden. Dazu gehörten „Art und Schwere der dem Betroffenen zur Last gelegten Straftaten bzw. Handlungen“ und der „Grad seiner individuellen Beteiligung“. Dem Berliner Landesamt werfen sie vor, dieser „Amtsaufklärungspflicht“ nicht „in ausreichendem Maße“ nachgekommen zu sein.

Konkret bemängeln die Richter, dass die Behörde einzig den Entwurf eines Strafbefehls, Strafanzeigen und einen zusammenfassenden Bericht des Landeskriminalamts herangezogen hat – der „schlicht polizeiliche Tatvorwürfe“ wiedergebe. Auch die Strafanzeigen reichten nicht. Weiter heißt es in dem Beschluss des Gerichts: „Auch die Prüfung des Grades der Beteiligung des Antragstellers unter den laut Strafanzeige zirka 20 Personen, die sich unerlaubten Zutritt zur Freien Universität Berlin verschafften, ist an Hand dieser Unterlagen nicht möglich.“ Die Behörde wäre „zumindest verpflichtet gewesen“, sämtliche Strafverfahrensakten „beizuziehen und auszuwerten“.

Die Kritik der Richter geht noch weiter. Sie werfen der Behörde auch vor, Vorwürfe herangezogen zu haben, die zur Kleinkriminalität zählten: Beleidigungen etwa. Gleiches gelte für das Rufen der Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“, die seit vergangenem Jahr verboten ist. Auch dieses Delikt gehöre zur Kleinkriminalität, schreiben die Richter. Sie ergänzen: „Die Frage, ob und wann das Verwenden dieser Parole . . . strafbar ist, wirft erhebliche rechtliche Schwierigkeiten auf“. Handele es sich ersichtlich um Taten im „Grenzbereich zwischen strafbarer und straffreier Äußerung“ spreche schon dies gegen eine „schwere Gefährdung, die Grundinteressen der Gesellschaft berührt“. Die aber ist für einen Verlust der Freizügigkeit nötig.

Die Eilentscheidung des Gerichts wird das Landesamt befriedigen – obwohl die Behörde den Bescheid erlassen hat. Die Aufforderung dazu war von der Senatsverwaltung für Inneres gekommen, worauf das Landesamt erhebliche Bedenken äußerte. Die Senatsverwaltung blieb davon unbeeindruckt und erteilte eine Weisung.

Am Freitag betonte deren Sprecherin, dass eine Verurteilung auch dem Gerichtsbeschluss zufolge nicht notwendig sei. Die Vorwürfe müssten einzig „substantiierter“ dargelegt werden. Um das zu tun, werde man so bald wie möglich die Strafverfahrensakten anfordern.