Von Donald Trumps Zollschlägen ist Russland bisher verschont geblieben. Eine offizielle Erklärung des Weißen Hauses dazu lautet: Wegen der Sanktionen gebe es ohnehin kaum noch Handel zwischen den Ländern. Dabei sind andere Staaten, mit denen die Vereinigten Staaten im vergangenen Jahr noch weniger Handel betrieben als mit Russland – mit dem es noch 3,5 Milliarden Dollar waren –, trotzdem auf die Zollliste gekommen, darunter die Ukraine. Naheliegender ist deshalb die Vermutung, dass der amerikanische Präsident sich die Zölle als ein Instrument für die Verhandlungen mit Wladimir Putin aufheben will. Auch wenn die Wirkung einer solchen Drohung begrenzt sein dürfte.
Doch Russland hat die Turbulenzen der vergangenen Tage schon auf anderem Wege zu spüren bekommen, nämlich durch die Schwankungen des Ölpreises. Russlands Staatshaushalt ist auf einen Ölpreis von knapp 70 Dollar je Barrel der russischen Sorte Urals ausgelegt; nun liegt der Preis deutlich darunter. Bei Ladungen aus den Häfen Primorsk an der Ostsee und Noworossisk am Schwarzen Meer kostet ein Urals-Fass laut der russischen Staatsnachrichtenagentur Tass derzeit nur noch knapp 50 Dollar. Um das Budget nach Plan zu füllen, reicht das nicht aus.
Einige Ökonomen sehen Vorboten schwerer Wirtschaftskrise
Einige exilrussische Ökonomen sehen in den fallenden Preisen schon Vorboten einer schweren Wirtschaftskrise in Russland: Wenn der Ölpreis längere Zeit bei rund 50 Dollar je Fass der Sorte Urals liege, bedeute das riesige Probleme für Russlands Präsident. Dieser müsse dann beginnen, den Krieg „herunterzufahren“, sagte etwa der Ökonom und Mitstreiter des 2024 in Haft umgekommenen Oppositionellen Alexej Nawalnyj, Wladimir Milow, kürzlich im Interview des litauischen Portals Delfi.
Doch es gibt einige Argumente, die gegen diese These sprechen. So ist Russlands Wirtschaft in den vergangenen drei Kriegsjahren unabhängiger von den Einnahmen aus dem Öl- und Gasexport geworden. Standen sie bis 2021 für mehr als 40 Prozent des Haushalts, in manchen Jahren für rund die Hälfte, sind es mittlerweile noch knapp 30 Prozent.
An Gewicht gewonnen haben dagegen die Einnahmen aus anderen Bereichen. So haben die hohen Staatsausgaben für die Rüstungsindustrie, die in diesem Jahr bei rund sechs bis sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen, zu einem schnellen Wachstum der Industrieproduktion geführt; mit Anfang dieses Jahres wurden auch noch die Gewinn- und Einkommenssteuer erhöht.
Russland kann außerdem noch sparen. Schon jetzt gibt der Staat deutlich mehr für Verteidigung aus als für Soziales; 2023 hatten die Posten noch beinahe gleichauf gelegen. Zu spüren bekommen das insbesondere Rentner, deren Bezüge nur an die offizielle Inflation angepasst werden. Da etwa Medikamente aber deutlich teurer geworden sind als in der Inflationsrate abgebildet, leiden ältere Russen besonders unter der Teuerung. Auch Staatsangestellte wie Lehrer und Ärzte profitieren nicht von den Lohnsteigerungen in den kriegsrelevanten Branchen. Doch da sich in der Bevölkerung kein Unmut regt, kann der Kreml an solchen Ausgaben noch weiter kürzen, außerdem an Infrastruktur, Modernisierung von Straßen, Strom- und Wasserleitungen, Schulen und Krankenhäusern, obwohl diese dringend nötig sind.
Noch wichtiger sei die Tatsache, dass Russland sich ohne Weiteres noch mehr verschulden könne, sagt der Exilökonom Dmitrij Nekrassow, der seit 2020 in Zypern lebt. Putin habe in den 18 Jahren seiner Herrschaft vor dem Überfall auf die Ukraine 2022 durch eine „ultrakonservative“ Fiskal- und Haushaltspolitik große Sicherheitspolster aufgebaut. Durchschnittlich habe Russland in der Zeit bis 2022 einen Haushaltsüberschuss von einem Prozent im Jahr gehabt – während die meisten westlichen Industrieländer ein Defizit gehabt hätten. Im vergangenen Jahr fehlte im Budget eine Summe in Höhe von 1,7 Prozent des BIP; für dieses Jahr ist ein Defizit von 0,5 Prozent des BIP geplant. Nekrassow geht davon aus, dass es angesichts der Weltkonjunktur deutlich größer und eher bei zwei Prozent der Wirtschaftsleistung liegen wird. Doch Russlands gesamte Schuldenlast liegt bei 18 Prozent der Wirtschaftsleistung und damit ebenfalls viel niedriger als etwa in den USA, in Frankreich oder auch in Deutschland, wo die Schuldenquote 2024 bei gut 60 Prozent des BIP lag.
Es mangelt nicht an Kapital im Land
Russland könne daher „praktisch unbegrenzt Schulden aufnehmen“, sagt Nekrassow. Zwar versperren die westlichen Sanktionen den Zugang zu internationalen Finanzmärkten, aber im Land mangelt es nicht an Kapital – denn die Strafmaßnahmen haben auch den Kapitalabfluss erheblich erschwert. Hinzu kommt der mit 21 Prozent extrem hohe Leitzins, der dazu führt, dass viele Russen ihr Vermögen im Land lassen oder sogar zurückbringen, um von den hohen Zinsen zu profitieren. Im vergangenen Jahr wuchs die Summe, die Russen auf Sparkonten hielten, im Vergleich zum Vorjahr um 70 Prozent; die Kreditaufnahme ist dagegen zurückgegangen. Es sei viel Geld im System, das von Banken und privaten russischen Investmentfonds in Staatsanleihen investiert werde, sagt Nekrassow. Zwar werde es langfristig wegen des hohen Zinssatzes für Russland sehr teuer sein, seine Schulden zu bedienen; zehn Jahre lang sei das unmöglich. Aber für die nächsten zwei oder drei Jahre sieht er kein Problem. Dass bei einem Urals-Preis von 50 Dollar von einer Haushaltskrise gesprochen werde, hält Nekrassow für „Wunschdenken“. Zumal noch längst nicht klar sei, wie sich der Preis über das Jahr weiterentwickle. Erst wenn er über drei, vier Jahre bei 30 oder 40 Dollar liege, werde es „schmerzhaft“. Dann bekäme Russland ernsthafte Budgetprobleme.
Der fallende Ölpreis hat indes auch eine positive Wirkung für den russischen Haushalt, da er den derzeit starken Rubel schwächen dürfte. Seit Jahresbeginn hat die Währung gegenüber dem Dollar um gut 30 Prozent aufgewertet. Denn wegen des hohen Leitzinses leisten sich nur noch wenige Russen den Kauf eines neuen Autos, Fernsehers oder anderer meist im Ausland hergestellter Güter, weshalb die Importe in den ersten Monaten dieses Jahres stark zurückgegangen sind.
Für Russlands Exporteure ist ein starker Rubel ein Problem, da sie für ihre Deviseneinnahmen weniger Rubel bekommen. Und auch für den Haushalt, der auf einen Kurs von 96 Rubel je Dollar ausgelegt ist, ist der aktuelle Kurs von etwa 85 Rubel je Dollar ungünstig. Ein schwächerer Rubel aber macht die Importe wieder teurer und befeuert damit die Inflation, die sich bisher trotz des hohen Leitzinses bei rund 10 Prozent hält und Ausdruck zunehmender Schwierigkeiten der auf den Krieg ausgerichteten Wirtschaft ist: Die durch die steigenden Löhne in der Rüstung und im Militär angetriebene höhere Nachfrage kann nicht bedient werden, weil es den Betrieben überall an Arbeitskräften fehlt. Die Produktivität zu erhöhen, gelingt auch nicht, da Sanktionen und der hohe Leitzins eine Modernisierung oder Erweiterung der Anlagen unmöglich machen. Also steigen die Preise und in der Folge der Leitzins – der besonders die zivilen Branchen schwächt, die keinen Zugang zu staatlich geförderten Krediten haben.
In dieser Situation dürfte Trumps Handelskrieg der russischen Wirtschaft auch noch auf andere Weise zusetzen. China ist seit dem Überfall auf die Ukraine Russlands mit Abstand wichtigster Handelspartner geworden: An den Nachbarn gingen im vergangenen Jahr 31 Prozent aller russischen Exporte; von dort kamen 39 Prozent aller Importe. Der Schlag, den Trump mit seinem Zollkrieg Chinas Wirtschaft versetze, werde wie ein Bumerang auch Russland treffen, sagt Ökonom Nekrassow.