Wie Union und SPD die Asylzahlen mit einem Trick drücken wollen

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Ein drittes Mal wollen Union und SPD nicht mit ihrem Vorhaben scheitern, Marokko, Tunesien und Algerien zu „sicheren Herkunftsländern“ zu erklären. Im Jahr 2017 verfehlte ein entsprechender Gesetzentwurf der damals noch großen Koalition eine Mehrheit im Bundesrat. 2019 kam es dort erst gar nicht zu einer geplanten Abstimmung.

Nun will Schwarz-Rot es noch mal mit den drei Maghrebstaaten (und zusätzlich Indien) versuchen. Und die erhoffte Lösung für ihr Problem steht in den Zeilen 3000 und 3001 des Koalitionsvertrags. Man wolle die „Einstufung sicherer Herkunftsstaaten durch Rechtsverordnung der Bundesregierung ermöglichen“, heißt es dort. Sprich: Union und SPD wollen den Bundesrat umgehen.

Das sei „ein klarer Angriff auf die Gewaltenteilung“, sagt die Bundestagsabgeordnete der Grünen Filiz Polat der F.A.Z. Sie war bis zum Bruch der Ampelregierung Sprecherin ihrer Fraktion für Migration und Integration. Und auch in der Sache sei das Vorhaben „wegen massiver Menschenrechtsverletzungen“ in den Maghrebstaaten falsch. Das sich abzeichnende Bündnis aus Union und SPD bezeichnet Polat auch deshalb schon jetzt als „Rückschrittskoalition“.

Niedrige Anerkennungsquoten

In der Vergangenheit hat Deutschland bereits zehn Staaten als „sichere Herkunftsländer“ eingestuft: Ghana und Senegal in den Neunzigerjahren; Bosnien und Hercegovina, Nordmazedonien, Serbien, Albanien, Kosovo, Montenegro Mitte der Zehnerjahre, im Jahr 2023 kamen Georgien und Moldau hinzu. In den beiden letzten Fällen geschah dies, trotz großer Skepsis, auch mit Unterstützung der Grünen.

Der Effekt: Die Zahl der Asylerstanträge ging jeweils recht schnell zurück, was nicht allein mit den üblichen Schwankungen zu erklären ist. Zwar gingen etwa nach 2015 auch insgesamt die Antragszahlen zurück, aber nicht so stark und dauerhaft.

Schutzsuchende aus den genannten Staaten haben niedrige Anerkennungsquoten; im vergangenen Jahr hatte Ghana mit 5,7 Prozent noch die höchste Gesamtschutzquote. Mit einer Einstufung als „sicheres Herkunftsland“ wird die Regelvermutung aufgestellt, dass in einem Staat keine staatliche Verfolgung zu befürchten ist.

Eine Schutzgewährung schließt das nicht aus, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mitteilt. Jedoch müssten Antragsteller beweisen, dass ihnen trotz der Einstufung des Landes in ihrer Heimat Verfolgung droht. „Bei der Ablehnung eines Asylantrags als ‚offensichtlich unbegründet‘ wird das weitere Verfahren erheblich beschleunigt, da sich Fristen verkürzen“, erläutert die Bundesbehörde. So müssen demnach die Migranten dann binnen einer Woche statt binnen 30 Tagen ausreisen. Eine Klage gegen die Entscheidung muss auch binnen sieben Tagen eingehen und hat keine aufschiebende Wirkung. Auch ein Eilrechtsantrag darf nur binnen sieben Tagen gestellt werden.

Der übliche Weg, auch Marokko, Tunesien, Algerien und Indien als „sichere Herkunftsländer“ einzustufen, führt zunächst über den Bundestag. Dort haben Union und SPD zusammen 328 Stimmen, für eine Mehrheit brauchen sie 316 Stimmen.

Wohl keine Kooperation mit Resettlement-Programm mehr

Im zweiten Schritt käme wie in der Vergangenheit der Bundesrat zum Zug. Dort jedoch ist eine Mehrheit für das schwarz-rote Vorhaben nach wie vor nicht sicher. Bundesländer, die – ohne weitere Parteien – von SPD und CDU regiert werden, kommen im Bundesrat auf 16 Stimmen. Notwendig für eine Mehrheit sind 35 Stimmen.

Nimmt man noch jene Länder hinzu, in denen SPD und Unionsparteien mit dem BSW, der FDP und den Freien Wählern – aber ohne Grüne und Linke – koalieren, kämen 34 Stimmen zusammen, also eine Stimme zu wenig. Die Union müsste so zum Beispiel die Grünen in Nordrhein-Westfalen, in Schleswig-Holstein oder in Baden-Württemberg überzeugen. Wohl deshalb will die mutmaßlich nächste Bundesregierung den Bundesrat außen vor lassen – sicher ist sicher.

Union und SPD dürften dabei auf einen Gesetzentwurf der Vorgängerregierung aus dem Herbst zurückgreifen. Die Idee darin: Die meisten Schutzsuchenden begehren nicht Asyl nach dem Grundgesetz. Und nur in solchen Fällen müsse laut Artikel 16a der Bundesrat einer Einstufung von sogenannten sicheren Herkunftsländern zustimmen. In Fällen hingegen, in denen sich die Zuerkennung des Schutzes nach europäischem Recht richtet, sei Artikel 16a nicht berührt und eine Zustimmung des Bundesrats nicht erforderlich. Es könnte also in Zukunft zwei Listen „sicherer Herkunftsländer“ geben, eine nach nationalem, eine nach europäischem Recht.

Darüber hinaus will Schwarz-Rot „freiwillige Bundesaufnahmeprogramme soweit wie möglich beenden“, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Darunter dürften auch Resettlement-Programme fallen, bei denen Flüchtlinge, die ihre Heimat verlassen mussten, im Aufnahmeland aber auch nicht sicher sind, nach einer strikten Kontrolle umgesiedelt werden. Deutschland beteiligt sich seit 2012 an dem Programm und hat darüber seither nach Angaben des Bundesinnenministeriums 15.389 Menschen aufgenommen, die aber nicht in der Asylstatistik mitgezählt werden.

Kürzlich wurde bekannt, dass bis zur Bildung einer neuen Regierung keine Aufnahmezusagen mehr erteilt werden. Und danach? „Wir hoffen sehr, dass das Programm schnell wieder aufgenommen wird“, sagt ein Sprecher des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen Deutschland. Berlin sei „ein stabiler und auch sehr wichtiger Partner“. Der CDU-Abgeordnete Alexander Throm, der während der Sondierungen Migrationsthemen mitverhandelte, macht aber keine Hoffnung: „Wir werden Resettlement-Programme so weit wie möglich einstellen“, teilt er der F.A.Z. mit.