Ein Dorf in Portugal will nicht einer Lithium-Mine weichen

8

Die Katze streicht um ihre Beine. Aida Fernandes und ihr Mann Nelson blinzeln in die Frühlingssonne. Es hat lange geregnet. Jetzt ist ihre kleine Rinderherde wieder draußen in dem Auslauf vor dem Stall, hinter dem Olivenbäume auf sattgrünen Wiesen stehen. „Alle sind glücklich“, sagt die portugiesische Bäuerin, aber ihre Stimme klingt traurig. Ihr Mann hat gerade die Mistgabel abgestellt, weil sein Mobiltelefon eine Eilnachricht anzeigt. „Ein schwarzer Tag“, sagt Nelson Gomes und reicht das Gerät an seine Frau weiter: Die Europäische Kommission hat ihr kleines Dorf zum „strategischen Projekt“ erklärt. Ein großer grüner Kreis um die Umgebung markiert auf der neuen EU-Karte das „Barroso Lithium Project“.

Unter den bewaldeten Bergen rund um Covas do Barroso schlummert „weißes Gold“ – das wohl größte europäische Vorkommen von Lithium, dem Rohstoff, den Elektroautos dringend brauchen. Es liegt buchstäblich „Hinter den Bergen“. So heißt übersetzt der Name der einsamen Region im hohen Nordosten des Landes.

14 Jahre lang sollen die Maschinen laufen

Mit dem Paradeprojekt für die Gewinnung von Lithium wollen die portugiesische Regierung und die EU den Beweis antreten, dass Europa eigenständig und nicht mehr von Staaten wie China abhängig ist. Für die EU-Kommission ist es „ein Meilenstein für die europäische Souveränität als Industriemacht“. Insgesamt 47 strategische Projekte sollen die heimische Rohstoffversorgung sichern. Die EU hilft jetzt dabei, dass es in Portugal schnell geht.

Ihr Dorf wird strategisches Projekt: Aida Fernandes und Nelson Gomes stehen in ihrem Stall, als die Eilmeldung kommt.
Ihr Dorf wird strategisches Projekt: Aida Fernandes und Nelson Gomes stehen in ihrem Stall, als die Eilmeldung kommt.F.A.Z.

„Wir werden für die Energiewende geopfert“, sagt Aida Fernandes bitter und zeigt auf die andere Talseite. Dort ist ein kleines Stück Wald gerodet. Mitarbeiter des britischen Minenkonzerns Savannah Resources machen noch Probebohrungen, nächstes Jahr sollen die Arbeiten im Tagebau losgehen. 2027 wollen die Investoren dann das erste Spodumen fördern, aus dem Lithium für eine halbe Million Elektroautobatterien im Jahr werden könnte – oder mehr.

Dafür hat sich Savannah eine Fläche von fast 600 Hektar gesichert. Vier Hunderte Meter tiefe Abbaulöcher werden klaffen, wo heute Wald wächst. Dazu Berge mit mehr als 80 Millionen Tonnen Abraum. Wasserläufe werden umgeleitet, Umgehungsstraßen und eine Verarbeitungsanlage gebaut. 350 Millionen Euro wollen die Investoren in einem der ärmsten Landstriche Portugals ausgeben. 14 Jahre lang werden in der Waldeinsamkeit die Maschinen lärmen.

Ihre beiden Hunde begleiten Aida Fer­nandes vom Stall mit den zwei Dutzend braunen Limousin-Rindern und einer großen Hühnerschar den Berg hinab. Keine 400 Meter entfernt beginnt an einer Kreuzung im Wald die Konzession. „Sie denken, an der südlichen Peripherie Europas sind wir dumme Esel, mit denen sie alles machen können“, sagt die 45 Jahre alte Bäuerin. Sie fürchtet um ihre unberührte Heimat, die sie selbst nie verlassen hat; schon ihre Vorfahren waren Bauern.

DSGVO Platzhalter

Aida Fernandes kennt sie wie wenige andere. Als Präsidentin der Versammlung der Dorfbewohner wacht sie über die „Baldios“. Das sind die Weiden und Wälder, die alle gemeinsam nutzen. Die Welternährungsorganisation FAO hat die Gegend zur einzigen Welterbestätte der Landwirtschaft in Portugal erklärt: Menschen bewohnen und bewirtschaften sie seit Tausenden von Jahren. Sechzig Prozent der Gemeinschaftsflächen werden nun Teil der Lithium-Konzession sein.

„Wir haben hier alles“

Endlich ist Frühling. In den Gärten hinter den Häusern aus grauem Granit und auf den Feldern hinter alten Steinmauern wird überall gesät und gepflanzt. Bohnen, Kartoffeln, Getreide. Ein Schäfer treibt seine Herde über die sattgrünen Wiesen. Etwa 300 Menschen wohnen in den drei Ortsteilen, die kurvige Straßen verbinden. Sie sind so schmal, dass sich Autos und Traktoren kaum ausweichen können. „Wir haben hier alles und können uns selbst versorgen“, sagt Filip Gomes. Das Wasser im Fluss sei so sauber, dass Forellen darin schwimmen. Den Honig seiner Bienen verkauft der Sohn von Nelson Gomes in dem Café, das er mit seiner Lebenspartnerin Ira vor wenigen Monaten am Dorfplatz aufgemacht hat.

An dem Platz rund um ein steinernes Kreuz aus dem 18. Jahrhundert findet sich alles, was den Ort ausmacht: Stolz auf die eigene Geschichte und Tradition, Neuanfang – und Angst. Gegenüber dem Café steht das rauchgeschwärzte Backhaus der Gemeinde. Daneben flattern Plakate mit der Aufschrift „Não à Mina! Sim à Vida“ (Nein zur Mine! Ja zum Leben!). Sie hängen überall und gelten dem Konzern aus London, dessen Schild an einem Haus prangt. Dort hat Savannah ein kleines Bürgerbüro eingerichtet. Seit fast acht Jahren versammeln sich auf dem Kreuz-Platz immer wieder Hunderte Demonstranten, um gegen die Lithium-Pläne zu protestieren.

Mit Plakaten protestieren die Einwohner von Covas do Barroso gegen die Mine.
Mit Plakaten protestieren die Einwohner von Covas do Barroso gegen die Mine.F.A.Z.

Das portugiesische Dorf hinter den Bergen ist zu einem Schauplatz für eine Schlacht mit ganz neuen Fronten geworden. Umweltschützer kämpfen mit den Bewohnern gegen ein Projekt, das dabei helfen soll, die Folgen des Klimawandels in den Griff zu bekommen und die Elektromobilität voranzutreiben. Die Rohstoffe für die Energiewende sollen in Europa mit europäischen Standards gefördert werden und nicht mehr aus Afrika oder Südamerika kommen, wie das beim Lithium der Fall ist.

In Covas do Barroso schmerzt der Vorwurf, ein Dutzend Dickschädel halte den Fortschritt auf, nur weil sie ihre Ruhe wollten. „Sie werfen uns vor, dass wir nicht bereit sind, uns für den Planeten zu opfern“, sagt Nelson Gomes. Aktivisten wie er verlangen, den gesamten Energiewandel zu überdenken. Man müsse reduzieren und nicht die Natur noch mehr ausbeuten. Die Welt brauche nicht mehr Elektroautos, sondern mehr öffentlichen Verkehr.

Für Nelsons Sohn Filip und viele Nachbarn geht es aber nicht nur um eine andere Energiepolitik. Er und seine Partnerin Ira haben ihr ganzes Geld in das kleine Steinhaus gesteckt. In den vergangenen Jahren sind viele Gastarbeiter aus Frankreich, Deutschland und Großbritannien in die Einsamkeit ihres Herkunftsorts zurückgekehrt, haben renoviert oder neu gebaut. Das Paar hat sich in London kennengelernt, wo beide als Köche arbeiteten. 150.000 Euro investierten sie in ihr neues Lokal und die Wohnung darüber. Die Bar ist zum neuen Treffpunkt geworden. Bald soll es nicht nur Marmorkuchen und Muffins geben. „Wir wollen Gerichte mit Fleisch und Gemüse anbieten. Das ist nachhaltig“, sagt Filip Gomes und fügt besorgt hinzu: „Wenn uns nicht die Mine einen Strich durch die Rechnung macht.“

Treffpunkt im Dorf: Zwei Männer sitzen vor Filip Gomes’ Lokal.
Treffpunkt im Dorf: Zwei Männer sitzen vor Filip Gomes’ Lokal.F.A.Z.

Das Misstrauen ist groß und zuletzt weiter gewachsen. Die jüngsten Erkundungsergebnisse seien „wirklich aufregend“, teilte Savannah im Januar mit. Sie deuteten auf noch ein größeres Vorkommen hin als die zuvor geschätzten 28 Millionen Tonnen: Es sei die größte europäische Lagerstätte für Spodumen, aus dem sich Lithium für bis zu eine Million Elektroautobatterien im Jahr gewinnen lasse. Insgesamt vier Tagebauminen sind in der Region geplant.

Alles fing vor acht Jahren fast konspirativ an, als sich ein paar Arbeiter an der alten Feldspat-Mine auf der anderen Talseite zu schaffen machten. Zunächst sah es so aus, als sollte nur sie reaktiviert werden. Ein Dorfbewohner, der gerade in Großbritannien lebte, stieß in der dortigen Presse auf Informationen über das Lithium-Projekt. Das Konzessionsgebiet wuchs von wenigen Hektar auf 600. Viele fühlen sich deshalb von der Regierung im fernen Lissabon übergangen.

Ein „Community Relations Manager“ soll die Einwohner überzeugen

„Es sollte nie Verhandlungen mit den Betroffenen geben. Die einzige Entscheidung, vor die sie gestellt wurden, war: ,Ja oder Ja‘“, sagt Diogo Sobral. Der Soziologe ist von Lissabon in das Dorf gezogen. Dort recherchiert er für seine Doktorarbeit über die Protestbewegung, der er selbst angehört. „Die portugiesische Regierung gibt sich als EU-Streber und tritt als Projektentwickler auf.“ Nicht alle Proteste waren friedlich wie die Sommerlager. Sieben Monate lang blockierten Aktivisten die Maschinen der Erkundungsteams. Am Jahreswechsel kam es zu einer Attacke auf das kleine Savannah-Büro.

In Lissabon betonen Sozialisten wie Konservative an der Spitze der Regierung, dass die lokale Bevölkerung kein Vetorecht gegen die Nutzung nationaler Ressourcen habe. Man verweist darauf, dass alles seinen vorgeschriebenen Gang gehe: Vor knapp zwei Jahren machte eine Umweltverträglichkeitsprüfung nur wenige Auflagen. Der Weg ist fast frei, die letzten Klagen gleichen eher Rückzugsgefechten.

Nicht alles sei bei Savannah im Umgang mit den Anwohnern in den vergangenen Jahren optimal gelaufen, gesteht Thomas Gaultier ein, „daran mussten wir arbeiten“. Als „Community Relations Manager“ versucht er seit einigen Monaten, die Bevölkerung doch noch für das Projekt zu gewinnen, das in seinem Büro in der nahen Kreisstadt Boticas als Modell zu besichtigen ist. Es nimmt einen großen Teil des Raumes ein. Der gebürtige Franzose mit einer Anwaltszulassung in New York ist professioneller Mediator. Er hat für Bergwerkskonzerne schon in der Republik Kongo, Sambia und Mosambik vermittelt.

Seine neue Aufgabe sei manchmal „ein wenig frustrierend“, sagt Gaultier, der fließend Portugiesisch spricht. Einige wenige „Gatekeeper“ in dem Dorf verweigerten den Dialog und versuchten zu verhindern, dass sich wenigstens andere ein eigenes Bild machen könnten. Es ist klar, von wem der Anwalt spricht, hinter den Bergen kennt jeder jeden.

Eigentlich sollte das Projekt schon weiter sein

Thomas Gaultier hat eine monatliche Radioshow organisiert, und im Büro türmt sich Informationsmaterial: Aufwendig gedruckte Broschüren über „gute Nachbarschaft“ mit Vorteilen für alle – mehr als 200 direkte Arbeitsplätze und zehnmal so viele indirekte Stellen sollen entstehen. Darüber, dass die Mine einen geschlossenen Wasserkreislauf haben wird und den Covas-Fluss nicht braucht. Über Lärm- und Staubschutz.

„Leider bewegen wir uns in Richtung Enteignungen, obwohl wir ein freundschaftliches Angebot gemacht haben“, sagt Thomas Gaultier. Für Gemeinschaftsland seien fast zehn Millionen Euro vorgesehen. Leider gebe es jedoch keine Gespräche mit Aida Fernandes’ „Baldio“-Verband. Auf der Homepage von Savannah schreiben die Investoren: „Wir haben verstanden“: Man habe den Menschen zugehört, und es sein ein „sicheres Projekt von allen für alle“. Nie sollen mehr als zwei Tagebaugruben gleichzeitig in Betrieb sein. Und sofort werde alles wieder aufgefüllt und aufgeforstet – als sei nichts geschehen, nur mit besserer Infrastruktur.

Eigentlich wollten die Investoren schon weiter sein. Auf den Rohstoff aus dem Barroso wartet schon eine neue Raffinerie in Deutschland. Die AMG Lithium B.V., die auch einen Sitz in Frankfurt hat, beteiligte sich mit rund 20 Millionen Dollar an Savannah. Mit dem Anteil von 16 Prozent ist das Unternehmen größter Aktionär geworden und sichert sich jährlich die Lieferung von bis zu 90.000 Tonnen Spodumen für die Lithium-Produktion – geplant sind insgesamt mehr als 190.000 Tonnen im Jahr. Über einen Seehafen bei Porto soll die portugiesische Mine die neue Raffinerie in Bitterfeld beliefern.

Die Exportkreditversicherung Euler Hermes (inzwischen Allianz Trade) interessiert das Projekt ebenfalls. Es geht angeblich um eine Absicherung von bis zu 270 Millionen Euro, möglicherweise im Zusammenwirken mit der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und dem Bund. Die KfW-Tochtergesellschaft Ipex steht nach eigenen Angaben am Anfang einer umfangreichen Prüfungsphase.

In Covas do Barroso ist es schwer, jemanden zu finden, der sich für die Mine ausspricht. Die Gegner wirken müde, ihre Zuversicht ist geschwunden. Aber die Bauern machen weiter. Vor ihren Höfen erheben sich die jahrhundertealten Espigueiros aus Granit. Auf hohen Säulen schützen die Speicher Mais und anderes Futter vor den Mäusen. An vielen Orten verfallen sie, in dem Dorf sind sie jedes Jahr prall gefüllt.