Bis zum Beginn der Sommerpause soll sie geschafft sein: die Stimmungswende in Deutschland. Das ihm eigene Arbeitstempo will CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann auf die schwarz-rote Koalition übertragen. Weniger als drei Monate nach der Kanzlerwahl sollen die wichtigsten Projekte angeschoben sein. Wie nötig das ist, zeigt die neue Wachstumsprognose der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute. Stagnation wäre angesichts von Trumps Zolleskapaden schon ein Erfolg. Die deutsche Wirtschaft könnte aber auch ein drittes Rezessionsjahr erleben.
Ein Stimmungsumschwung allein macht indes noch keine „Wirtschaftswende“. Rechnet es sich wieder, in Deutschland Stahl, Autos oder Maschinen herzustellen? Macht es wieder Freude, einen Handwerksbetrieb oder eine Werbeagentur zu führen? Bietet Deutschland attraktive Rahmenbedingungen, um neue Geschäftsideen zu entwickeln und diese zu einem größeren Unternehmen auszubauen? An diesen Fragen wird sich die schwarz-rote Koalition messen lassen müssen – noch nicht in diesem Sommer, aber spätestens vor der nächsten Bundestagswahl.
Die Wucht einer Agenda 2010 ist nicht erkennbar
Die Wucht einer Agenda 2010, mit der einst der SPD-Kanzler Gerhard Schröder den Reformstau in Deutschland auflöste, hat dieser Koalitionsvertrag nicht. Er ist eher eine Wachstumsoffensive light. Der „Investitionsbooster“ mit verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten dürfte so manches Unternehmen veranlassen, aufgeschobene Investitionen doch noch umzusetzen. Gut sind auch die Pläne zum Bürokratieabbau. Die Abschaffung des Lieferkettengesetzes war schon lange überfällig, die Lockerung der Arbeitszeitregeln ebenso. Für deutsche Verhältnisse geradezu revolutionär ist das Vorhaben, Unternehmensgründungen durch eine zentrale Anlaufstelle innerhalb eines Tages zu ermöglichen. Ein solcher „One-Stop-Shop“ stand allerdings auch schon im schwarz-roten Koalitionsvertrag 2018. Und kam dann doch nicht.
Nur noch stichprobenhafte Kontrollen statt der heute üblichen Genehmigungs- und Berichtspflichten für nahezu jede unternehmerische Aktivität: Auch das wäre ein großer Fortschritt. Doch es sind Zweifel angebracht, ob es wirklich zu einem Kulturwandel auf allen staatlichen Ebenen kommt. Im Fall der Tesla-Ansiedlung in Brandenburg hat die öffentliche Verwaltung bewiesen, dass sie die Rolle des ewigen Bedenkenträgers abstreifen kann. Solche Beispiele sind bislang aber die Ausnahme.
Viele andere Punkte für eine Wirtschaftswende fehlen im Koalitionsvertrag. Die versprochene Senkung der Strompreise dürfte in den Betrieben zwar sehr willkommen sein. Die Kosten der Energiewende werden damit jedoch nur von den Stromkunden zu den Steuerzahlern verschoben. Eine verlässliche Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen hat Deutschland dadurch immer noch nicht. Offen bleibt auch die Frage, wie die im Vergleich zu anderen Industrieländern hohe Steuer- und Sozialabgabenlast sinken soll.
Habecks Förderprogramme sollen fortgeführt werden
Bemerkenswert ist, dass trotz der regen Habeck-Schelte der Union die zentralen Förderprogramme des grünen Wirtschaftsministers fortgeführt werden sollen. Ob Klimaschutzverträge, Zuschüsse für Chipfabriken oder Kaufanreize für Elektroautos: Auch Schwarz-Rot setzt auf staatliche Industriepolitik. Noch dazu hat die SPD den von ihr (und den Grünen) geforderten Deutschlandfonds in den Koalitionsvertrag verhandelt. Woher der Glaube an die Weisheit des „Investors Staat“ kommt, bleibt ein Geheimnis der Politik. Nach den Fehlgriffen bei Curevac, Intel, Northvolt und Wolfspeed müsste eigentlich jedem klar sein, dass der Staat kein guter Unternehmer ist.
Neben der fehlenden Prioritätensetzung im Koalitionsvertrag könnte sich auch der Zuschnitt der Ministerien als Wachstumsbremse erweisen. Die CDU konnte sich zwar wie gewünscht das Wirtschaftsministerium sichern. Ein kombiniertes Wirtschafts- und Arbeitsministerium, mit dem einst Gerhard Schröder seine Reformen durchsetzte, scheiterte jedoch am Widerstand der SPD.
Mit dem Verlust der Zuständigkeit für den Klimaschutz verliert das Wirtschaftsministerium den Zugriff auf einen Teil der Fördermittel im Klima- und Transformationsfonds, der dank der 100 Milliarden Euro Sonderschulden attraktiver wird denn je. Und dann ist da noch das neue Ministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt, das die CSU zu einer Art Nebenwirtschaftsministerium zur besonderen Berücksichtigung bayerischer Wirtschaftsinteressen machen dürfte. Das alles verstärkt den Eindruck: Ein guter Verhandler ist die CDU nicht.