CDU-Chef Friedrich Merz hat Zweifel daran geäußert, ob es tatsächlich wie im Koalitionsvertrag vereinbart Mitte der Legislaturperiode für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen zu einer Einkommensteuerentlastung kommt. Diese sei „nicht fix“, sagte er der Zeitung „Bild am Sonntag“. Merz verwies darauf, dass die Union die Steuersenkung gerne mit den Sozialdemokraten „von Anfang an“ verabredet hätte, es darüber aber einen Dissens gegeben habe. „Deswegen haben wir es offengelassen.“ Weiter sagte Merz: „Wir senken die Unternehmensbesteuerung. Das ist richtig, damit die Unternehmen in Deutschland wieder investieren. Und die Einkommensteuer, die wollen wir senken, wenn es der öffentliche Haushalt hergibt.“
Die Äußerungen von Merz sind deshalb bemerkenswert, weil es im Koalitionsvertrag heißt: „Wir werden die Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen zur Mitte der Legislatur senken.“ Zwar enthält der Koalitionsvertrag auch den Satz, dass alle Vorhaben unter Finanzierungsvorbehalt stünden. SPD-Chef Lars Klingbeil hatte bei der Vorstellung am Mittwoch jedoch erklärt, dass es durchaus Prioritäten gebe. Nach seiner Darstellung sollen die im Vertrag mit „wir werden“ eingeleiteten Vorhaben kommen, während für die mit „wir wollen“ eingeleiteten Vorhaben noch eine Finanzierung gefunden werden müsse. Klingbeil gilt als möglicher nächster Finanzminister.
SPD will „zu ihrem Wort“ stehen
Die SPD ging am Sonntag nur indirekt auf die Frage ein, wie wahrscheinlich die geplante Einkommensteuerreform noch ist. „Die SPD steht zu ihrem Wort: Leistung muss sich lohnen – für die hart arbeitende Mitte, nicht nur für wenige“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Dagmar Schmidt. Was sie auch sagte: Es dürfe „keine Steuergeschenke für Spitzenverdiener“ geben. Hintergrund ist, dass die SPD in den Koalitionsverhandlungen dem Vernehmen nach bis zum Schluss darauf gedrängt hatte, für Bezieher hoher Einkommen und Erbschaften die Steuern zu erhöhen. Die Union hatte Steuererhöhungen jeglicher Art hingegen ausgeschlossen. Wie dieser offenbar weiter bestehende Konflikt aufgelöst werden soll, bleibt offen.
Ökonomen beobachten die Meinungsverschiedenheiten mit Sorge. „Steuersenkungen wären extrem wichtig, um die Attraktivität des Standorts zu steigern“, sagte Sachverständigenratsmitglied Veronika Grimm der F.A.Z. Viele kleine und mittelständische Betriebe unterlägen der Einkommensteuer. Verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten seien zwar attraktiv, „aber sie ersetzen die Steuersenkungen nicht“. Überhaupt ginge alles viel zu langsam. „In Erwartung dieser Steuersenkungen wird sicherlich niemand nach Deutschland kommen“, sagte Grimm.
Grüne: „Die Mittelschicht wird zahlen“
Kritik kam auch von den Grünen. „Keine Entlastung bei der Einkommensteuer, höhere Lohnnebenkosten, kein Klimageld“, kritisierte Fraktionsvize Andreas Audretsch. „Die Mittelschicht wird zahlen.“ Der Grünen-Politiker sieht die Verantwortung dafür bei Friedrich Merz, der „weiterhin die Realitäten des Landes verdrängt“. Wie die SPD hatten auch die Grünen im Wahlkampf höhere Steuern und Sozialabgaben für Menschen mit hohen Einkommen und Vermögen gefordert.
Zum Thema Mindestlohn sagte CDU-Chef Merz in dem Zeitungsinterview: „Es wird keinen gesetzlichen Automatismus geben.“ Der Mindestlohn könne Anfang 2026 bei den genannten 15 Euro liegen, oder auch später. „Das bleibt die Aufgabe der Mindestlohnkommission, das in eigener Autonomie auch festzulegen.“ SPD-Politikerin Dagmar Schmidt hält dagegen: „Wir haben im Koalitionsvertrag klar die Orientierung am europäischen Mindestlohnziel, also 60 Prozent des Medianlohns, verankert. Damit ist der Weg geebnet: Der Mindestlohn wird sich dynamisch bis 2026 in Richtung 15 Euro entwickeln.“