Aus Saarbrücken Einfluss in Berlin nehmen

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Einst war es Oskar Lafontaine, der das kleine Saarland in den Mittelpunkt der Bundespolitik rückte. 1995 war er Ministerpräsident in Saarbrücken und zugleich SPD-Vorsitzender im Bund. Er koordinierte die sozialdemokratischen Länder im Bundesrat, die über eine Mehrheit verfügten und damit die schwarz-gelbe Bundesregierung ausbremsen konnten. Lafontaine lud häufig mit großer Geste in die Landesvertretung des Saarlandes ein. Als Ausdruck saarländischer Gastfreundlichkeit und des eigenen Anspruchs stellte man sogar einen Sternekoch in Bonn ein.

Heute spielt das Saarland wieder eine herausgehobene politische Rolle. Einen Sternekoch einzustellen, sei jedoch eindeutig nicht geplant, sagt ein Sprecher der F.A.Z. Anke Rehlinger will auch nicht SPD-Vorsitzende werden, obwohl es sich viele in ihrer Partei wünschen. In den Koalitionsverhandlungen gehörte Rehlinger dem Kernteam ihrer Partei an. Sie ist erfahren, hat insgesamt vier Bündnisse im Bund mitverhandelt. Sie gilt in der Medien- und auch der Parteilogik trotz allem als „unverbraucht“. Talkshows mied sie bisher meist. Auch jetzt geht sie nur „der Sache wegen“ zu „Lanz“ oder „Hart aber fair“, wie es aus ihrem Umfeld heißt. Dass es zu einer Grundgesetzänderung kam, die die Schuldenpolitik Deutschlands grundlegend veränderte, nahm indes in Saarbrücken seinen Anfang. Rehlinger und ihr saarländischer Finanzminister Jakob von Weizsäcker spielten dabei eine zentrale Rolle.

Mit Rehlinger in die nächste Landtagswahl

Von Weizsäcker, der zuvor im Bundesfinanzministerium arbeitete, verfügt über gute Kontakte in die Ökonomenszene und brachte fünf Vertreter unterschiedlicher Prägungen zusammen. Ihr gemeinsames Papier, in dem sie eine Reform der Schuldenbremse forderten, galt als Brücke für Friedrich Merz und die Union, um sich auf das Vorhaben einzulassen.

Von einer „Rückkehr des Saarlandes“ war etwa im „Handelsblatt“ in der Folge die Rede. Ulrich Commerçon, Fraktionsvorsitzender der SPD im Landtag in Saarbrücken, lacht darüber. Man sei ja als Saarland nie weg gewesen, im Zweifel halte das Saarland als Größenvergleich her. Er freut sich über die Begeisterung innerhalb der SPD für Rehlinger. Auch er wurde häufig gefragt, ob sie nach Berlin gehe. „Es ist ein großes Kompliment an Anke Rehlinger, wenn sich viele in der SPD wünschen, dass sie Verantwortung in Berlin übernimmt”, sagt er der F.A.Z. Fügt jedoch an: „Für Anke und den Landesverband war immer klar, dass wir gemeinsam mit ihr in die nächste Landtagswahl gehen wollen.“ Die steht bereits in zwei Jahren an.

Die Gefahr, in Berlin demontiert zu werden

Es gilt eine absolute Mehrheit zu verteidigen. Commerçon will mit der SPD stärkste Kraft werden. Dass es aber wieder gelingen würde, als SPD allein zu regieren, sei nicht entscheidend. „Zwei Jahre vor der vergangenen Landtagswahl hätte ich nicht geglaubt, dass wir es schaffen.“ Laut einer Umfrage, die vor wenigen Tagen erschien, liegen die Sozialdemokraten im Saarland mit 31 Prozent noch immer vier Prozentpunkte vor der CDU. In einer Zeit, in der die Genossen im Bund rund 16 Prozent erreichen, sorgt das für Aufsehen – und zahlt auf den Status Rehlingers als Hoffnungsträgerin ein.

Gehen Wahlen im Bund verloren, besinnen sich Parteien häufig auf diejenigen Länder, in denen es noch gut läuft. Vor 19 Jahren war das Rheinland-Pfalz, wo Kurt Beck mehr als ein Jahrzehnt regierte – und auch eine absolute Mehrheit gewann. Als SPD-Vorsitzender wurde er in Berlin zerrieben, teilweise vorgeführt – ein interner Putsch beendete sein Gastspiel in der Bundespolitik.

Viele Landespolitiker führen das Beispiel an, wenn sie begründen, dass sie lieber nicht nach Berlin wollen. Auch Rehlinger dürfte es zumindest bedacht haben, als sie ablehnte, etwa an der Seite von Lars Klingbeil Ko-Vorsitzende der SPD zu werden. Eine andere Saarländerin, die im eigenen Land erfolgreich regierte, die CDU-Politikerin Annegret Kramp-Karrenbauer, scheiterte erst vor wenigen Jahren beim Wechsel nach Berlin. Wer gefeiert aus der Provinz kommt, kann seinen Status in der Bundespolitik rasch verlieren.

Ein zwiespältiges Verhältnis zu Berlin

Rehlingers Absage bezieht sich nur auf den jetzigen Zeitpunkt. Hört man sich in der Saar-SPD um, hört man, dass die „nächste Stufe“ – der Wechsel in die Bundespolitik – nach einer gewonnenen Landtagswahl durchaus infrage kommen könne. Einer hält sie für eine geeignete Kanzlerkandidatin. Das ist eine Rolle, aus der heraus sie in der Partei und der Bundespolitik viel Einfluss nehmen kann. Berliner Ambitionen ganz zu verneinen, könnte schädlich sein: Das zeigte etwa der Fall von Hannelore Kraft, die als beliebte Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen den Weg nach Berlin kategorisch ausschloss. In der Folge konnte sie im Bund weniger bewegen.

Im Saarland hat man ein zwiespältiges Verhältnis zu Berlin. Einerseits wird wild spekuliert, welcher Saar-Politiker ins Kabinett kommen könnte (die Wahrscheinlichkeit gilt als gering), andererseits wird es eher bestraft, wenn sich ein Politiker allzu viel auf dem Berliner Parkett bewegt. In der Landespolitik gibt es die Lesart, dass Tobias Hans von der CDU als Ministerpräsident gegen Rehlinger verlor, weil er zu viel in Talkshows saß, sich mit dem Klein-Klein der CDU auseinandersetzte und zu wenig im Land wahrgenommen wurde.

Rehlinger weiß ihren Einsatz in den Koalitionsverhandlungen auch daheim zu verkaufen. In einem Video, das die Saar-SPD vor einigen Tagen veröffentlichte, schlendert sie über den Markt in Saarbrücken. Sie grüßt, lacht, plaudert und umarmt – ganz die Landesmutter. „In Berlin bin ich vor allem mit saarländischer Brille unterwegs“, sagt sie. Sie wollte vor allem etwas für das Saarland rausholen, so die Botschaft. Als Erfolge gelten die Entlastung der Industrie bei den Energiepreisen und das Infrastrukturprogramm.