Berlin in der USA-China-Klemme

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Der Plan ist heikel, das wissen die Beteiligten. Drei Dutzend deutsche Unternehmen in China haben gemeinsam einen Katalog mit Empfehlungen für das Merz-Kabinett erarbeitet. Sie wollen die geopolitische Orientierung der Bundesregierung drehen. China soll wieder stärker als Partner, nicht als Gegner gesehen werden. Die internationalen Verwerfungen durch die Handelspolitik von Donald Trump sehen die Manager als Steilvorlage für einen Kurswechsel. „Mehr Einsatz, nicht weniger“ in China sei nötig, „um wirtschaftlich relevant zu bleiben“, heißt es in den Dokument, das der F.A.Z. vorliegt.

Unter den Unterzeichnern sind Vertreter von Dax-Konzernen wie von Mittelständlern. Öffentlich will mit dem Papier niemand in Verbindung gebracht werden. Zu groß ist die Sorge, als naiver China-Freund abgestempelt zu werden. Im Englischen hat sich dafür der Begriff „Panda-Hugger“ etabliert, der für eine innige Umarmung mit dem beliebtesten Tier der Volksrepublik und damit der Kommunistischen Partei steht.

„Panda-Hugger“ gegen Transatlantiker

In Berlin dürfte die Initiative der Unternehmen nicht gut ankommen. So unterschiedlich CDU-Chef Friedrich Merz und SPD-Chef Lars Klingbeil sind – auf die transatlantische Partnerschaft lassen beide nichts kommen. Merz hat zehn Jahre die Atlantik-Brücke geführt, ein Verein zur Pflege der Beziehungen zwischen Deutschland und den USA. SPD-Chef Lars Klingbeil ist dort Mitglied und hat zeitweise in den Vereinigten Staaten gelebt. Im Koalitionsvertrag streben Union und SPD an mehreren Stellen einen Ausbau der transatlantischen Beziehungen an. Sogar ein Freihandelsabkommen halten die Koalitionäre für möglich. Gegenüber China soll dagegen das „De-Risking“ fortgesetzt werden, unter anderem mit einer Expertenkommission, die jährlich Empfehlungen zum weiteren Reduzieren der Abhängigkeiten gibt.

Die deutschen Wirtschaftsvertreter sind über diese Ausrichtung wenig erfreut. „Der Fokus auf China als ‚systemischer Rivale‘ stimmt nicht mit der Realität deutscher Unternehmen in China überein“: Mit diesen Worten kommentiert Oliver Oehms, Chef der Auslandshandelskammer in Peking, den Koalitionsvertrag. Aus Sicht der Mitglieder der Kammer ist der chinesische Markt „entscheidend für die globale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen“. Oehms Forderung: „Deswegen brauchen wir mehr Rückendeckung von der neuen Bundesregierung, die ,De-Risking‘ mit einem zielgerichteten China-Engagement verknüpft.“

Schärfer als der Kammerchef formulieren es die Autoren des Forderungskatalogs. In dem dreiseitigen Dokument ist von einem „De-Risking-Paradoxon“ die Rede. „Es besteht ein Widerspruch zwischen der geforderten Risikominimierung (De-Risking) und der notwendigen Lokalisierung vor Ort.“ Die Stoßrichtung ist klar: „Risikomanagement sollte nicht dazu führen, dass das China-Engagement reduziert wird“, heißt es an einer Stelle.

Von „De-Risking“ nicht viel zu sehen

Die Bundesregierung steckt in der Klemme. Die Vereinigten Staaten sind zwar im vergangenen Jahr zum wichtigsten Handelspartner Deutschlands aufgestiegen. Mit Trumps Zollpolitik könnte sich das aber auch wieder ändern. China, aktuell die Nummer zwei, ist für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland nach wie vor sehr wichtig.

Etliche Dax-Konzerne erwirtschaften ein Drittel ihres Umsatzes in der Volksrepublik. Bezogen auf den Gewinn dürfte die Abhängigkeit noch größer sein. Auch die Höhe der Direktinvestitionen in dem Land bewegt sich weiter auf einem hohen Niveau. „De facto ist von einem De-Risking gegenüber China nicht viel zu sehen“, fasst Jürgen Matthes, Leiter des Bereichs internationale Wirtschaftspolitik am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, die Lage zusammen.

Die Sorge der Verfasser des Schreibens an Merz ist, im Großkonflikt zwischen den USA und China auf der falschen Seite der Technikgeschichte aufzuwachen. Schon unter Joe Biden hat die amerikanische Regierung Druck auf die Europäer ausgeübt, keine Technik mehr nach China zu liefern, mit der das Land seine Bedeutung in der Weltwirtschaft weiter ausbauen kann. Trump könnte die Europäer früher oder später zwingen, sich für eine Seite zu entscheiden.

„Chinesische Unternehmen sind zunehmend Innovationsführer“, heißt es in dem Papier der Unternehmen. „Kooperationen mit chinesischen Unternehmen sind entscheidend, um bei Innovationen mithalten zu können und Einblicke in lokale Entwicklungen zu gewinnen.“ Hintergrund ist, dass in Zukunftsbranchen wie der Batterietechnik, dem autonomen Fahren, Flugtaxis, humanoiden Robotern und auch der Atomenergie China längst das prägende Land ist. Die Manager fordern in ihrem Papier: „China-Kompetenz stärken“. Das aktuelle China-Bild in Deutschland stelle „ein Hindernis für deutsche Unternehmen dar“.

Amerika ist mehr als Trump und Wut

Verena Hubertz, die für die SPD das Wirtschaftskapitel im Koalitionsvertrag mitverhandelt hat, verteidigt die Stoßrichtung der neuen Koalition in Berlin: „Die USA sind mehr als Trump und Wut“, sagt sie. „Unsere Länder verbindet eine lange Partnerschaft, die über Handel hinausgeht und auch bestehen bleibt, selbst wenn es schwierige Zeiten gibt.“ Die Fortsetzung des De-Risking von China verteidigt die Wirtschaftspolitikerin mit den Worten, die EU müsse „wirtschaftlich und politisch selbst in Extremsituationen handlungsfähig bleiben“. Ziel sei „strategische Souveränität“.

Laut Hubertz liegt der Fokus der Koalition darauf, dass Deutschland weniger verwundbar wird. „In sensiblen Bereichen der kritischen Infrastruktur dürfen künftig ausschließlich Komponenten aus vertrauenswürdigen Staaten verbaut werden.“ Die Politikerin sagt aber auch etwas, das die deutschen Manager in China etwas beruhigen könnte: „Eine pauschale Reduzierung der Geschäfte mit China streben wir nicht an.“

In der Union sieht man auch die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von Rohstoffen aus China – etwa seltene Erden und Magnesium – kritisch. „Unternehmen müssen ihre Resilienz erhöhen und ihre Geschäftsmodelle so gestalten, dass ein teilweiser oder vollständiger Wegfall der Aktivitäten in China beherrschbar bleibt“, sagt Hansjörg Durz, stellvertretender wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion. Die Unternehmen müssten ihre Lieferketten breiter aufstellen, die Politik könne den Abbau heimischer Rohstoffe unterstützen.

Für die wachsende Skepsis in der Wirtschaft gegenüber dem Handelspartner Amerika zeigt Durz Verständnis. „Die erratische Zollpolitik Trumps ist ein weiterer Anlass, um unsere Handelsbeziehungen auf ein breiteres Fundament zu stellen und EU-Freihandelsabkommen schnell und pragmatisch abzuschließen“, sagt er. Die Union stehe aber weiter zum transatlantischen Bündnis. „Die USA bleiben einer unserer wichtigsten Handelspartner.“

Zollgeschenk für Apple nur temporär

Der amerikanische Präsident Donald Trump hat in seiner Zollpolitik eine weitere Kehrtwende gemacht, die in erster Linie Technologiekonzernen wie Apple hilft. Die Behörde für Zölle und Grenzschutz veröffentlichte am späten Freitagabend Ortszeit eine Liste von Produkten, die von den reziproken Einfuhrzöllen ausgenommen werden sollen. Dazu gehören Smartphones, Computer, Computerchips und auch Maschinen, mit denen Chips gebaut werden. Viele dieser Produkte werden in China produziert.

Die Ausnahme läuft auf Zeit. Wirtschaftsminister Howard Lutnick sagte am Sonntag dem Fernsehsender ABC, dass die Elektronikprodukte in einem oder zwei Monaten einem speziellen „Halbleiterzoll“ unterworfen würden. 

Inmitten eines eskalierenden Handelskonflikts hatte Trump die Zölle für Einfuhren aus China in den vergangenen Tagen immer weiter angehoben. Zuletzt waren es 145 Prozent. Nach der jetzt verkündeten Ausnahmeregelung gilt für Produkte wie Smartphones nur noch der Zoll von 20 Prozent, den Trump schon vor der Ankündigung der reziproken Zölle verhängt hatte. Trump hatte in dieser Woche schon angekündigt, einen großen Teil der Anfang April verhängten Zölle auf Einfuhren aus anderen Ländern als China 90 Tage lang auszusetzen. Für sie gilt nun vorerst ein Basiszoll von 10 Prozent.

Der größte Gewinner der Ausnahmen ist Apple, das den Großteil seiner Produkte in China fertigen lässt, darunter die meisten iPhones. Apple-Chef Tim Cook war bei der  Amtseinführung Trumps vor Ort und hatte für die Feierlichkeiten gespendet. lid.