Begleitet von Protesten hat das ungarische Parlament mit großer Mehrheit eine Verfassungsnovelle beschlossen. Mit 140 Ja- zu 21 Nein-Stimmen erreichte der Vorschlag der Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orbán am Montagnachmittag die erforderliche Zweidrittelmehrheit von 133 Stimmen. Im Zentrum der Novelle steht der nun in die Verfassung des Landes aufgenommene Grundsatz, dass ein Mensch ausschließlich als Mann oder Frau definiert werden könne. Non-binäre Menschen sollen demnach nicht als solche anerkannt werden. Auch die Ehe wurde als eine „Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau“ definiert.
Die Novelle ist Teil einer von Orbán als „Frühjahrsputz“ angekündigten gesellschaftspolitischen Offensive. Schon Mitte März hatte das ungarische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das im Namen des Kinderschutzes die jährliche Pride-Parade von Homosexuellen und anderen sexuellen Minderheiten faktisch verbietet.
Gegner befürchten russische Verhältnisse
Auch dieses Vorhaben wurde nun durch eine Verfassungsänderung auf ein neues Fundament gestellt. „Ungarn schützt das Recht der Kinder auf eine ihrem Geburtsgeschlecht entsprechende Identität und gewährleistet eine Erziehung, die den Werten entspricht, die auf der verfassungsmäßigen Identität unseres Landes und seiner christlichen Kultur beruhen“, heißt es in der novellierten Verfassung. Dieses Recht habe Vorrang vor allen anderen Rechten, mit Ausnahme des Rechts auf Leben.
Vor dem Parlament in der Hauptstadt Budapest versammelten sich am Montag abermals Gegner von Orbáns Politik zum Protest. Wie schon am Tag des Verbots der Pride-Parade wurden vor dem Parlament Rauchbomben gezündet. Vertreter der liberalen Oppositionspartei Momentum hingen auch im Plenarsaal Protestbanner auf und störten die Stimmabgabe mit Trompetenlärm. Zeitweise wurde auch versucht, die Eingänge zum Parlament zu blockieren. Für Dienstagabend ist wie in den Vorwochen eine Großdemonstration in Budapest angekündigt.
Regierungsgegner befürchteten schon durch die mit der Gesetzesänderung im März erlaubte Gesichtserkennung auf Demonstrationen einen „Übergang vom hybriden System in die echte Diktatur“ nach dem Vorbild von Russland. So formulierte es der fraktionslose Abgeordnete Ákos Hadházy gegenüber der F.A.Z. Als potentielles Druckmittel für die Regierung nannte er auch eine nun in die Verfassung aufgenommene Regelung, wonach Doppelstaatsbürgern die ungarische Staatsangehörigkeit für eine bestimmte Zeit entzogen werden kann.