Amerikaner in Portugal: Sie nennen sich Trump-Flüchtlinge

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Gail Aguiar ist ausgebucht. Seit Donald Trump zum zweiten Mal Präsident wurde, kann sie sich auf der anderen Seite des Atlantiks vor Anfragen aus den Vereinigten Staaten kaum noch retten. „Noch am Wahltag waren über Nacht alle Termine für die nächsten sechs Wochen vergeben“, erinnert sich die Kanadierin. Fast 6000 Kilometer von Washington entfernt, bleibt in ihrem Büro in Porto kaum Zeit zum Durchatmen.

Seit der Wiederwahl von Donald Trump interessieren sich immer mehr Amerikaner für die Iberische Halbinsel. Früher wanderten viele Portugiesen in die Vereinigten Staaten aus. Seit dem Regierungswechsel in Washington zieht es Amerikaner in das kleine Portugal – aus politischen Gründen, denn ihre eigene Heimat ist ihnen fremd geworden. Sie kommen, um zu bleiben.

„Relocate to Portugal“ heißt die Firma, die Gail Aguiar 2017 gegründet hat. „Die Beratungsanfragen haben um 700 Prozent zugenommen“, sagt die 52 Jahre alte Kanadierin, die selbst schon in vielen Ländern gelebt hat. In einer Woche kümmern sie und ihre Mitarbeiter sich um so viele Visumanträge wie früher in einem ganzen Monat. Zu einem Paketpreis helfen sie bei der Entscheidung, den Visumanträgen, der Wohnungssuche.

„Ganze Familien ziehen um“

„Früher waren sie in Amerika allergisch gegen hohe Steuern, jetzt sind sie allergisch gegen Trump“, sagt sie über ihre Kunden. Schon vor der Wahl zog es Amerikaner in das kleine preiswerte Land mit niedrigen Steuern. Dem einstigen Steuerparadies setzte die portugiesische Regierung ein Ende, aber das stört viele Ausreisewillige jetzt nicht mehr: Sie wollen so schnell wie möglich weg aus den USA, denn seit Trumps erster Amtszeit machen sie sich keine Illusionen. Einige kamen sogar schon vor der Wahl, weil sie Unruhen wie beim Sturm aufs Kapitol nach Trumps Niederlage im Januar 2021 fürchteten. Visa sind in Portugal relativ einfach und schnell zu bekommen.

„Ganze Familien ziehen um. Manchmal gleich drei Generationen. Kinder möchten nicht, dass ihre Eltern in den USA bleiben“, beobachtet Gail Aguiar. Unter den Interessenten sind Bundesbeamte im Vorruhestand, die sich Sorgen um ihre Pensionen machen, und frühere Militärangehörige. Misstrauen und Angst wachsen. Mit Journalisten wollen nur wenige reden. Ihre Namen und ihr Foto möchten sie selbst in einer deutschen Zeitung nicht veröffentlicht sehen – aus Angst, der lange Arm von Elon Musk und Donald Trump könne sie auch im fernen Europa erreichen. Sie befürchten Nachteile für sich oder ihre Familien in den USA, etwa beim Rentenanspruch oder bei Versicherungsleistungen.

Agentin Gail Aguiar leitet die Firma „Relocate to Portugal“
Agentin Gail Aguiar leitet die Firma „Relocate to Portugal“privat

Kyra und Julia haben schon ein Lieblingscafé schräg gegenüber dem Bolhão-Markt im Zentrum von Porto. Dort gibt es den Iced Coffee, den sie besonders mögen. Die neue Wohnung der beiden Frauen liegt nicht weit weg. „Wir lieben es hier“, sagen sie nach nur gut einem Monat in ihrem neuen Land. Das Paar, das noch kein Jahr verheiratet ist, verkörpert ein Feindbild von Trump und Musk: Julia traut sich erst, offen als Frau zu leben, seit sie in Portugal angekommen ist. Beide haben sich als Soldaten in der Ukraine kennengelernt, als sie vor 2022 dort stationiert waren. Damals war Julia noch ein Mann.

Sie hatten auf die Demokratin Kamala Harris gehofft

„Wir haben unser Haus in Texas und alles verkauft, was nicht in ein paar Koffer passte“, sagt die 26 Jahre alte Kyra. Bis zuletzt hatten sie auf die Demokratin Kamala Harris gehofft. Nach deren Niederlage im November wollten sie nur noch weg. Im Februar saßen sie im Flugzeug nach Europa, zogen nach Porto und lernen Portugiesisch. Ihr Nachbar, ein amerikanischer Autor, kommt aus Portland. Ihm wird bald seine restliche Familie folgen, berichten sie.

„Für Transmenschen sind die USA kein sicherer Ort mehr. Eigentlich hätte man schon gestern einen Exitplan gebraucht. Ich weiß nicht, worauf andere noch warten“, sagt Julia. Beide versuchen, ihre Freunde davon zu überzeugen, keine Zeit mehr zu verlieren, um das Land zu verlassen. „Wir konnten uns nicht vorstellen, dass es so irre wird. Und sie werden in Washington noch verrücktere Dinge tun“, sagt Kyra.

Sie ist 26 Jahre alt, ihre Frau 27 Jahre, und für beide ist klar, dass sie nicht mehr zurückkehren werden. Sie hoffen darauf, dass sie nach der Aufenthalts- auch bald eine Arbeitserlaubnis erhalten. Beide sind IT-Fachleute. Nach fünf Jahren können sie in Portugal einen Pass beantragen. Sie schließen nicht aus, später aufs Land zu ziehen, wenn sie besser Portugiesisch sprechen.

Das Leben ist billig und der Lebensstandard hoch

Kyra wollte schon als Austauschschülerin nach Portugal. Julia schwärmt von der Stadt im Norden. „Selbst das Fast Food ist hier besser und gesünder. Die Leute sind so aufgeschlossen und freundlich, auch gegenüber LGBTQ-Paaren wie uns.“ Aber die Angst begleitet sie auch nach Portugal, weshalb sie lieber nicht mit ihren richtigen Namen genannt oder fotografiert werden wollen: Beide bekommen als Veteranen aus gesundheitlichen Gründen noch Leistungen der Armee, die sie auch dringend brauchen, um ihr neues Leben aufzubauen. Sie befürchten, dass sie solche Leistungen verlieren könnten.

Wie viele Amerikaner wegen Trump kommen, kann wenige Monate nach dem Machtwechsel noch niemand genau sagen, weder in Portugal noch im benachbarten Spanien. An die Facebook-Gruppe der „Expats“ in Porto wenden sich immer mehr Amerikaner, die eine Erkundungsreise planen. „Trump regime refugees“ heißt in Madrid ein neues Facebook-Forum mit Umzugstipps.

Schon in den Jahren zuvor zog es viele Amerikaner in beide Länder. Im Vergleich zu New York und Los Angeles ist das Leben billig und der Lebensstandard hoch. Früher war Barcelona besonders beliebt, inzwischen haben sich in Madrid mehr als 10.000 US-Amerikaner niedergelassen. Unter ihnen auch Schauspieler wie Richard Gere und Amber Heard.

Nicht nur Reiche und Spitzenkräfte kommen

Valencia und die Balearen sind ebenfalls gefragt. Bei der „American Associa­tion of Mallorca“ häufen sich seit Ende 2024 die Fragen von Amerikanern, die einen Umzug auf die Balearen erwägen und wissen wollen, wie es sich dort lebt. Die Zeitung „El País“ berichtete im März von Dutzenden amerikanischen Wissenschaftlern, die sich in führenden Forschungseinrichtungen nach Arbeitsmöglichkeiten erkundigen. „Ich habe Angst vor dem Faschismus“, lautete das Zitat eines dieser Wissenschaftler in der Überschrift.

Aber es sind nicht nur Reiche und Spitzenkräfte, die kommen. Spanien beendet im April die „Goldenen Visa“, bei denen sie im Gegenzug für Immobilienkäufe Schengen-Visa für die EU erhielten. Portugal hat ein ähnliches Programm schon vor einigen Jahren zurückgefahren. Jetzt gibt es diese Visa nur noch für Investitionen, Geldanlagen und kulturelles Mäzenatentum in Portugal. Das ist bürokratisch aufwendig und langwierig – nichts für Amerikaner, die schnell wegwollen und oft bald aus Europa weiterarbeiten möchten. Das geht mit den entsprechenden Visa in Portugal schneller und einfacher als in Spanien.

Auf einmal kommen Familien aus der Mittelschicht, das war vor der Pandemie selten. Jetzt wird es Mainstream“, sagt Kylie Adamec, die in Lissabon Ausländern beim Umzug nach Portugal und bei der Wohnungssuche hilft. Zwei Firmen hat sie gegründet, seit es sie 2022 in die portugiesische Hauptstadt verschlagen hatte, aus der sie bald nicht mehr wegwollte. „Mein Arbeitspensum hat sich verdoppelt. Das hat eine Menge mit Trump zu tun, aber nicht nur“, sagt sie.

Regierung hat Steuer- und Visumsprivilegien verringert

In den Vereinigten Staaten hätten schon vor Trumps Wiederwahl viele das Gefühl gehabt, dass sich das Land in die falsche Richtung bewege, unabhängig von der jeweiligen Regierung. Nun bekommt Kylie Adamec mit, dass immer mehr Amerikaner sich mit dem Gedanken tragen, ihr Land zu verlassen. Zu ihnen zählen zunehmend junge Paare und Familien mit Kindern. Früher waren es viele amerikanische Rentner, die bei ihren Kunden immer noch ein Drittel ausmachten, auch Wähler der Republikaner.

Aber neben der Politik sind andere Fragen für Auswanderer mindestens genauso wichtig. Zum Beispiel die Krankenversicherung, sagt Kylie Adamec. In Portugal ist die beste private Krankenversicherung so teuer wie die schlechteste in den USA, schwärmen Neuankömmlinge. Und bis vor wenigen Jahren war das Land für Ruheständler aus aller Welt noch attraktiver. Bis 2020 waren Renten und Pensionen für Ausländer steuerfrei. Als danach ein Satz von zehn Prozent fällig wurde, schreckte das viele noch nicht. Erst als 2024 diese großzügige Regelung vollständig endete, wurden es weniger – bis November. „Höhere Steuern sind das kleinere Übel“, bringt es Gail Aguiar in Porto auf den Punkt. Sie war froh, als es im vergangenen Jahr zunächst ruhiger wurde, denn „ich stand kurz vor dem Burnout“. Doch die Verschnaufpause war nur von kurzer Dauer.

Das Leben in Portugal ist nicht mehr so billig wie früher. Für immer mehr Einheimische werden Wohnungen unbezahlbar. Knapp ein Viertel der portugiesischen Arbeitnehmer verdient den gesetzlichen Mindestlohn von 870 Euro. Auch deshalb hat die Regierung in Lissabon (wie die in Madrid) die Steuer- und Visumprivilegien verringert. Aber für zahlungskräftige Ausländer ist Portugal immer noch günstig. Mieten sind dort 40 bis 50 Prozent niedriger als in den Vereinigten Staaten. Porto ist zudem noch billiger als Lissabon.

„Die Wahl von Trump hat mir die Entscheidung leicht gemacht“

Kelley Miller und Diane Finnegan sitzen in der Stadt im Norden des Landes in der Konditorei „Bella Roma“ und trinken einen Galão, einen portugiesischen Milchkaffee, mit dessen Aussprache sie noch zu kämpfen haben. In Seattle waren sie Kolleginnen in einer Apotheke. Jetzt zieht Kelley ihrer Freundin Diane nach Porto hinterher. In den vergangenen Tagen waren sie viel in der Stadt unterwegs. Ihr Viertel hat Kelley schon gefunden, nun fehlt nur noch die Wohnung.

In Seattle haben sich beide nicht mehr sicher gefühlt. Sie erzählen von einem Messerüberfall auf ihre Apotheke, „wir fühlten uns ständig bedroht“. Schon während Trumps erster Amtszeit sei der Ton und der Umgang in ihrer alten Heimat harscher und härter geworden – und dazu wurde alles seit Jahren immer teurer. Beide haben Familienmitglieder, für die der amerikanische Präsident ein Idol ist.

„Die Wahl von Trump war nicht der ausschlaggebende Grund, aber sie hat mir die Entscheidung leicht gemacht“, sagt Kelley. Seit ihre Freundin Diane 2023 nach Porto gezogen war, dachte sie darüber nach, ihr zu folgen. Jetzt verliert sie keine Zeit mehr, obwohl die 59 Jahre alte Frau ihre vier Kinder und die Enkel zurücklässt. Sie geht in den Vorruhestand, verkauft ihr Haus. „In Seattle hätte ich von meiner Rente nicht leben können und hätte weiter arbeiten müssen“, sagt sie – auch wenn sie für den Umzug zwischen 20.000 und 30.000 Dollar kalkuliert.

Einige haben fast ein schlechtes Gewissen, wie gut es ihnen in Europa geht

Diane ist mit ihrem Ehemann schon vor gut zwei Jahren nach Porto umgesiedelt. „Ich sage allen meinen Freunden, dass sie kommen sollen“, erzählt die 68 Jahre alte Rentnerin. Schon während der ersten Amtszeit von Trump sei ihnen klar geworden, dass sie in den USA keine Zukunft mehr haben. „Es ist erschreckend, er benimmt sich wie ein Gangster. Er hat so viel Macht. Man weiß nicht, was er als Nächstes tun wird“, sagt sie über den Präsidenten. Sie macht sich Sorgen um ihr Land und ihren behinderten 71 Jahre alten Mann, der für Politiker wie Trump möglicherweise bald kein vollwertiger Mensch mehr sei.

Kelley war ihr Leben lang fast nur in den USA unterwegs. Diane und ihrem Mann fiel es leichter zu gehen, weil sie immer viel reisten. „Aber was macht man, wenn Landsleute auf einmal allen Ernstes beteuern: Die Welt ist eine Scheibe“, sagt Diane. Ihre eigene Schwester sei völlig abgedriftet. „Seit ich aus Seattle weg bin, schlafe ich besser“, sagt sie. Für sie und ihren Mann war die Entscheidung nicht schwer, sie waren auf einer Europareise zwei Tage in Porto und wussten, dass sie dortbleiben wollten. Aber nicht alles ist einfach. Die Sprache ist eine Hürde, sagen die beiden Frauen, die Kundinnen von Gail Aguiar sind, die nicht nur beim Visumantrag und dem Einzug hilft.

„Manchmal komme ich mir vor wie eine Therapeutin“, sagt die Kanadierin, die viele Amerikaner von ihrem Internetblog kennen, mit dem sie schon seit Jahren Portugal und Porto erklärt. Sie hat bei Hochzeiten, Todesfällen, Krebserkrankungen und komplizierten Geburten geholfen. Und sie weiß, was ihre Kunden sonst noch beschäftigt: Einige haben fast ein schlechtes Gewissen, wie gut es ihnen in Europa geht, während Trump ihre alte Heimat in Unruhe versetzt. Sie hielten sich deshalb mit begeisterten Posts in sozialen Medien zurück, sagt Gail Aguiar, die inzwischen auch besorgte Fragen zu portugiesischer Innenpolitik beantworten muss. Im Mai stehen Neuwahlen an. Die immer ausländerfeindlicher auftretenden portugiesischen Rechtspopulisten könnten dann ihren Vormarsch fortsetzen.